Nachfolgend ein Beitrag vom 30.8.2016 von Zschiebsch, jurisPR-FamR 18/2016 Anm. 4
Leitsatz
Die Formulierung, dass die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe auf den Abschluss einer Vereinbarung erstreckt wird, kann auch außerhalb der Regelung des § 48 Abs. 3 RVG dazu führen, dass dem beigeordneten Rechtsanwalt für einen Mehrvergleich über nicht rechtshängige Ansprüche eine Verfahrens- und Terminsdifferenzgebühr aus der Staatskasse zu erstatten sind.
A. Problemstellung
Wird in einem gerichtlichen Verfahren ein Vergleich über nicht rechtshängige Ansprüche geschlossen (sog. Mehrvergleich), entstehen kraft Gesetzes für einbezogene, nicht verfahrensgegenständliche Angelegenheiten neben einer 1,5 Einigungsgebühr (Nr. 1000 VV-RVG) eine 0,8 Verfahrensdifferenzgebühr (Nr. 3101 Ziff. 2 VV-RVG) und eine 1,2 Terminsgebühr (Nr. 3104 VV-RVG). Erhält der Verfahrensbevollmächtigte diese Gebühren aus der Staatskasse vergütet, wenn die für das Hauptsacheverfahren gewährte Verfahrenskostenhilfe auf den Abschluss des Vergleichs erstreckt worden ist?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
In einem Trennungsunterhaltsverfahren schlossen die beteiligten Ehegatten einen Vergleich zur Regelung des Trennungs-, des Kindes- und des nachehelichen Unterhalts, des Wohnrechts und zum Versorgungsausgleich. Antragsgemäß erstreckte das Familiengericht die der Antragstellerin für das Trennungsunterhaltsverfahren bewilligte Verfahrenskostenhilfe auf den Abschluss der getroffenen Vereinbarung. Im Kostenfestsetzungsverfahren sprach das Amtsgericht hinsichtlich der nicht gerichtlich anhängigen, aber im Vergleich einbezogenen Sachen dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin neben der Erstattung der Einigungsgebühr auch die Erstattung der Verfahrensdifferenz- und der Terminsgebühr aus der Staatskasse zu, wogegen sich die Bezirksrevisorin wandte.
Das OLG Stuttgart hat die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.
Der Vergütungsanspruch des im Wege der Verfahrenskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts richte sich gemäß § 48 Abs. 1 RVG nach dem Beschluss, mit dem die Verfahrenskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet worden sei. Der Bewilligungsbeschluss müsse ausgelegt werden.
Der entscheidende Unterschied zwischen § 48 Abs. 3 RVG und § 48 Abs. 5 RVG liege darin, dass § 48 Abs. 3 RVG in Ehesachen die Erstreckung der Verfahrenskostenhilfe auf den Abschluss des Mehrvergleichs kraft Gesetzes anordne, während der § 48 Abs. 5 RVG in anderen mit dem Hauptverfahren zusammenhängenden Angelegenheiten eine ausdrückliche Erstreckung durch gerichtlichen Beschluss verlange. Habe das Gericht auf Antrag die Erstreckung der Verfahrenskostenhilfe auf den Abschluss des Mehrvergleichs bewilligt, bestehe kein zwingender Grund, die Fallkonstellationen unterschiedlich zu behandeln. Formulierungen wie „für den Abschluss eines Vergleichs“ oder „auf den Abschluss der getroffenen Vereinbarung erstreckt“ würden es nahelegen, dass nicht nur die Einigungsgebühr, sondern auch die Verfahrensdifferenz- und die Terminsgebühr von der Verfahrenskostenhilfe erfasst sein sollen, zumal mit Vergleichsabschluss die Gebühren ausgelöst werden.
C. Kontext der Entscheidung
Für Vergleiche in Scheidungsverfahren, die nicht rechtshängige Scheidungsfolgesachen betreffen, werden dem Verfahrensbevollmächtigten alle in diesem Zusammenhang anfallenden Gebühren von Gesetzes wegen nach § 48 Abs. 3 RVG erstattet, ohne dass es hierzu einer besonderen Erstreckung der Verfahrenskostenhilfe, die für das Scheidungsverfahren gewährt worden ist, bedarf. In allen anderen Angelegenheiten erhält der für das Hauptverfahren beigeordnete Rechtsanwalt eine Vergütung der Gebühren aus der Staatskasse nur, wenn er ausdrücklich hierfür beigeordnet worden ist (§ 48 Abs. 5 RVG). Unabhängig vom Entstehen der Gebühren kommt es für die Frage, welche Gebühren erstattungsfähig sind, in erster Linie auf den Wortlaut des Beschlusses an, mit dem die Verfahrenskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet worden ist (§ 48 Abs. 1, 5 RVG). Der Beschluss ist ggf. auszulegen (OLG Dresden, Beschl. v. 09.02.2016 – 19 WF 125/16). Umstritten ist, ob bei Formulierungen der Erstreckung „auf den Abschluss des Vergleichs“ oder „auf den Mehrvergleich“ der Vergütungsanspruch gegenüber der Staatskasse auch die Verfahrensdifferenz- und Terminsgebühr umfasst (verneinend u.a. OLG Celle, Beschl. v. 26.02.2015 – 10 WF 28/15; OLG Dresden, Beschl. v. 07.05.2015 – 19 WF 1424/14; OLG Koblenz, Beschl. v. 19.05.2014 – 13 WF 369/14; OLG Köln, Beschl. v. 02.10.2014 – II-12 WF 130/14; bejahend u.a.: OLG Celle, Beschl. v. 13.06.2016 – 21 WF 118/16; OLG Hamm, Beschl. v. 24.09.2015 – 6 WF 89/15).
D. Auswirkungen für die Praxis
Ein Verfahrensbevollmächtigter hat auch die finanziellen Interessen seines Mandanten im Blick zu haben. Es empfiehlt sich, dass der Rechtsanwalt darauf achtet, dass er den Bewilligungsantrag so formuliert, dass unmissverständlich deutlich wird, dass von der beantragten Verfahrenskostenhilfe alle mit Abschluss des Mehrvergleichs anfallenden Anwaltsgebühren umfasst werden sollen. Beispielsweise könnte ein Zusatz in der Antragstellung wie „… einschließlich der mit Abschluss des Vergleichs entstehenden Verfahrensdifferenz- und Terminsgebühr“ für Klarheit sorgen (Schneider, NZFam 2015, 231). Bewilligt der Familienrichter – nach Prüfung der allgemeinen Voraussetzungen der Gewährung von Verfahrenskostenhilfe (§§ 76, 113 FamFG, § 114 ZPO) – antragsgemäß die Erstreckung der Verfahrenskostenhilfe auf den Abschluss des Vergleichs unter Beiordnung des Rechtsanwalts, dürfte im späteren Kostenfestsetzungsverfahren kein Streit mehr darüber aufkommen, welche Gebühren dem beigeordneten Anwalt aus der Staatskasse zustehen.
Will der Familienrichter die Verfahrenskostenhilfe nur auf die Einigungsgebühr erstrecken, muss er im Übrigen den weitergehenden Antrag zurückweisen. In diesem Fall ist dem Rechtsanwalt zu empfehlen, seinen Mandanten ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass er nach dem Bewilligungsbeschluss bei Abschluss des beabsichtigten Vergleichs die beiden Gebühren selbst tragen müsste. Mit ihm sollte er die Möglichkeiten beraten, entweder den beabsichtigten Vergleich trotzdem zu schließen und gegen den Beschluss sofortige Beschwerde mit dem Ziel einzulegen, dass die Verfahrenskostenhilfe erstreckt wird auf die Verfahrensdifferenz- und Terminsgebühr oder den Vergleich nicht zu schließen und einen gesonderten Hauptsacheantrag in der noch nicht anhängigen Sache, verbunden mit einem neuen Verfahrenskostenhilfeantrag, zu stellen, worüber das Gericht erneut entscheiden müsste.