Nachfolgend ein Beitrag vom 20.11.2018 von Viefhues, jurisPR-FamR 23/2018 Anm. 3

Leitsätze

1. Auch ein rechtshängiger (hier: nachehelicher) Unterhaltsanspruch kann verwirkt werden.
2. Das Zeitmoment der Verwirkung ist jedenfalls bei einem fast dreijährigen Verfahrensstillstand erfüllt.
3. Die Untätigkeit des Unterhaltsgläubigers in einem derart langen Zeitraum darf bei dem Unterhaltsschuldner den Eindruck erwecken, der Unterhaltsanspruch werde trotz Rechtshängigkeit des Verfahrens nicht weiterverfolgt. Insoweit ist jedenfalls das Umstandsmoment der Verwirkung erfüllt, wenn das Gericht erkennbar nicht gewillt ist, dem Verfahren Fortgang zu geben, der Antrag des Unterhaltsgläubigers auf Verfahrenskostenhilfe noch nicht beschieden ist und die Erfolgsaussicht des Unterhaltsanspruchs unsicher ist (hier: wegen des Einwands, die Unterhaltsgläubigerin habe in einer verfestigten Lebensgemeinschaft gelebt).

A. Problemstellung

Das OLG Düsseldorf befasst sich mit dem besonderen Fall der Verwirkung eines bereits rechtshängig gemachten Unterhaltsrückstandes.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Antragstellerin machte gegenüber dem Antragsgegner Ansprüche auf rückständigen nachehelichen Unterhalt für den Zeitraum September 2010 bis Dezember 2016 i.H.v. insgesamt 55.130 Euro geltend.
Am 31.08.2011 hat sie einen Antrag auf Zahlung rückständigen Trennungs- und Scheidungsunterhalts sowie laufenden nachehelichen Unterhalts beim Amtsgericht anhängig gemacht, verbunden mit Anträgen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe sowie auf sofortige Zustellung der Antragsschrift. Die Antragsschrift ist am 22.12.2011 zugestellt worden. Nach Abtrennung der Verfahren auf Trennungs- und Scheidungsunterhalt hat das Amtsgericht die Antragstellerin unter dem 09.05.2012 erfolglos aufgefordert, ihre Sachanträge zu aktualisieren. Danach hat das Verfahren geruht bis zum 12.02.2015. An diesem Tag hat die Antragstellerin die Bitte um Terminierung und Entscheidung über das Verfahrenskostenhilfegesuch bei Gericht eingereicht. Aktualisiert wurde der Sachantrag am 03.06.2015 nach erfolgter Terminierung und Verfahrenskostenhilfe-Bewilligung. Das Amtsgericht hat den Antrag teilweise wegen Befristung zurückgewiesen, aber auch den bis dahin entstandenen Rückstand als verwirkt angesehen.
Auch das OLG Düsseldorf hat eine Verwirkung der Unterhaltsrückstände für den Zeitraum vor März 2014 bejaht.
Eine Verwirkung kommt nach allgemeinen Grundsätzen in Betracht, wenn der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde. Auf dieser Grundlage kann das Zeitmoment der Verwirkung regelmäßig schon dann erfüllt sein, sobald die Rückstände Zeitabschnitte betreffen, die ein Jahr oder länger zurückliegen.
Diese Grundsätze gelten auch für bereits rechtshängige Unterhaltsansprüche. Die Rechtshängigkeit als solche steht der Annahme einer Anspruchsverwirkung nicht entgegen, ebenso wie eine bereits erfolgte Titulierung von Unterhaltsansprüchen eine Verwirkung nicht ausschließt. Auch von einem Unterhaltsgläubiger, dessen Ansprüche bereits vor ihrer Fälligkeit tituliert sind, kann erwartet werden, dass er seine Ansprüche zeitnah durchsetzt. Denn auch in diesen Fällen können ansonsten Unterhaltsrückstände zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen. Der Schuldnerschutz muss somit auch im Falle der Titulierung künftig fällig werdender Unterhaltsforderungen besonders beachtet werden. Das erforderliche Zeitmoment der Verwirkung ist angesichts des Verfahrensstillstandes zwischen Mai 2012 und Februar 2015 gegeben.
Auch das erforderliche Umstandsmoment ist erfüllt. Die Untätigkeit der Antragstellerin zwischen Mai 2012 und Februar 2015 dürfte bei dem Antragsgegner den Eindruck erwecken, sie verfolge ihren nachehelichen Unterhaltsanspruch trotz Rechtshängigkeit des Verfahrens nicht weiter. Das Amtsgericht hatte erkennbar keine Veranlassung gesehen, dem Verfahren über den nachehelichen Unterhalt nach der erfolgten Abtrennung von dem Trennungsunterhaltsverfahren Fortgang zu geben, nachdem die Antragstellerin auf die gerichtliche Auflage zu Aktualisierung ihres Sachantrages vom 09.05.2012 nicht reagiert hatte. Da sie der gerichtlichen Auflage in der Folgezeit nicht nachkam, wäre von ihr zu erwarten gewesen, dass sie spätestens nach Ablauf eines Jahres auf eine Fortsetzung des Verfahrens durch das Gericht gedrungen oder jedenfalls dem Antragsgegner gegenüber signalisiert hätte, dass sie trotz des Verfahrensstillstandes an der Verfolgung ihres Unterhaltsanspruches festhalte. Da zudem von Anfang an das Bestehen des nachehelichen Unterhaltsanspruchs wegen der Frage der Erwerbsobliegenheit der Antragstellerin und der etwaigen Verwirkung wegen einer angeblichen verfestigten Lebensgemeinschaft der Antragstellerin im Streit stand, konnte der Antragsgegner vermuten, dass die Antragstellerin ihren vormaligen Rechtsstandpunkt zwischenzeitlich aufgegeben hatte. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den vom Antragsgegner von Beginn an erhobenen Einwand, die Antragstellerin habe schon seinerzeit mit ihrem heutigen Ehemann in einer verfestigten Lebensgemeinschaft gelebt. Angesichts der gegebenen Indizienlage durfte der Antragsgegner aber die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die Untätigkeit der Antragstellerin nach Mai 2012 darauf zurückzuführen war, dass die von ihm vermutete verfestigte Lebensgemeinschaft tatsächlich bestand und die Antragstellerin deshalb von der Weiterverfolgung ihres nachehelichen Unterhaltsanspruches absah.

C. Kontext der Entscheidung

Der BGH hat jüngst klargestellt, dass das bloße Unterlassen der Geltendmachung des Unterhalts oder der Fortsetzung einer begonnenen Geltendmachung das Umstandsmoment der Verwirkung nicht begründen kann (BGH, Beschl. v. 31.01.2018 – XII ZB 133/17 – NJW 2018, 1013; ausführlich hierzu Rake, FuR 2018, 446; Viefhues, jurisPR-FamR 7/2018 Anm. 5). Die Entscheidung des OLG Düsseldorf widerspricht dem nicht, da hier im konkreten Fall zusätzlich besondere Umstände hinzukommen.
Zur Verwirkung des Rechts der Erhöhung des Unterhaltsbetrages bei einer Wertsicherungsklausel vgl. KG, Beschl. v. 20.03.2018 – 13 UF 22/17 – FamRZ 2018, 1242.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung macht deutlich, dass es erhebliche Risiken auslöst, wenn ein einmal eingeleitetes gerichtliches Zahlungsverfahren nicht relativ zeitnah weiterbetrieben wird. Der Verfahrensbevollmächtigte sollte in diesem Fall zumindest auf andere Weise aktiv werden, um beim Unterhaltsschuldner nicht den berechtigten Eindruck entstehen zu lassen, „es werde nichts mehr kommen“. Beide Seiten – sowohl der Berechtigte als auch der Verpflichtete – sollten Aktivitäten entfalten, um hier Klarheit zu schaffen und Unsicherheiten zu vermeiden (ausführlich hierzu Rake, FuR 2018, 446, 449).
Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzung der Verwirkung trägt der Pflichtige, und zwar auch für diejenigen Umstände, nach denen er davon ausgehen konnte, dass die Berechtigte die aufgelaufenen Rückstände nicht mehr geltend machen würde (OLG Jena, Beschl. v. 24.10.2013 – 1 UF 353/13 m.w.N.; OLG Hamm, Beschl. v. 13.05.2013 – 2 WF 82/13 – FuR 2013, 723; OLG Stuttgart, Beschl. v. 17.03.2016 – 11 UF 252/15). Die Berechtigte ist allerdings darlegungspflichtig dafür, wann und wie sie den Anspruch geltend gemacht hat (OLG Brandenburg, Beschl. v. 12.07.2011 – 10 UF 115/10 – FamRZ 2012, 1223).

Verwirkung des nachehelichen Unterhaltsanspruchs trotz Rechtshängigkeit
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Verwirkung des nachehelichen Unterhaltsanspruchs trotz Rechtshängigkeit
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