Nachfolgend ein Beitrag vom 22.11.2016 von Zempel, jurisPR-FamR 24/2016 Anm. 1

Leitsatz

Die Anforderungen an die Feststellung einer sozial-familiären Beziehung gemäß § 1685 Abs. 2 Satz 1 BGB sind geringer, wenn nur durch den Kontakt zu diesem, den Umgang begehrenden entfernten Verwandten (Großtante) dem Bedürfnis des Kindes Rechnung getragen werden kann, einen Teil seiner Herkunftsfamilie kennen zu lernen.

A. Problemstellung

Anders als beim Umgangsbegehren eines Elternteiles muss ein entfernterer Verwandter die positive Feststellung der Kindeswohldienlichkeit des Umgangs erreichen. Ist der Umgangsbegehrende nicht Großelternteil oder Geschwister des Kindes, so hat er nach § 1685 Abs. 2 Satz 1 BGB nur dann ein Recht auf Umgang, wenn zwischen ihm und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht und er eine Zeitlang für das Kind tatsächliche Verantwortung getragen hat.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Antragstellerin, Großtante väterlicherseits des Kindes, hatte ab der Geburt des Kindes Kontakt zum Kind. Nach der Trennung der Kindeseltern Ende 2012 hat sie das Kind über einen Zeitraum von ca. 10 Monaten jedes dritte Wochenende für die Dauer von fünf Stunden allein betreut. Das Kind war bei Abbruch der Beziehung maximal zwei Jahre alt. Der türkischstämmige Vater wurde wegen Tötung der Mutter zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Großtante ist die einzige in Deutschland verbliebene Verwandte väterlicherseits.
Das OLG Celle hat der Großtante Verfahrenskostenhilfe für das Umgangsverfahren bewilligt, obwohl das Kind weder im Haushalt gelebt noch die Beziehung bis zum Entscheidungszeitpunkt angedauert hat.
Der Begriff der sozial-familiären Beziehung setze eine gewachsene Familienbeziehung voraus, in der das Kind gelebt habe. Die Beziehung müsse nicht bis zum Feststellungszeitpunkt angedauert haben, es reiche, wenn an einen Kontakt, der zu einer vertrauten und persönlichen engen Beziehung geführt habe, wieder angeknüpft werden könne. Als besonders wichtiges Entscheidungskriterium habe das Gericht die Förderung der Beziehung zu beiden Herkunftsfamilien insbesondere bei unterschiedlichem kulturellem Hintergrund angesehen.

C. Kontext der Entscheidung

In § 1684 und § 1685 BGB sind die Voraussetzungen für die Gewährung des Umgangsrechts eines Kindes dargelegt. Neben Eltern und Großeltern haben sonstige Bezugspersonen dann ein Umgangsrecht, wenn sie mit dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung haben und tatsächliche Verantwortung für ein Kind getragen haben. Es muss also eine einer Familie ähnliche Beziehung vorliegen, eine elterngleiche Rolle. Dabei spielen zur Bewertung die Häufigkeit, Dauer und Ausgestaltung der Kontakte eine entscheidende Rolle. Es ist nicht erforderlich, dass das Kind und der Umgangswillige in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben. Das Gericht hat weiterhin dargestellt, dass in einem Fall, in dem der Umgangswillige das einzige Bindeglied zur väterlichen Familie darstellt, die aus einem anderen Kulturkreis stammt, ein großzügiger Maßstab bei der Prüfung geboten ist, ob eine sozial-familiäre Beziehung gegeben ist. Denn dies kann bei der Identitätsfindung für das Kind von großer Bedeutung sein. Bei der Abwägung kommt es weiter darauf an, dass dem Kind noch genügend Zeit für die eigenen Interessen und Freunde verbleibt und nicht die gesamte Zeit des Kindes im Sinne eines Umgangstourismus verplant wird.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das OLG Celle hat den Begriff der sozial-familiären Beziehung im Sinne der bisherigen Literatur und Rechtsprechung weiterentwickelt. Gleichzeitig hat es sehr deutlich gemacht, dass die hier vorgenommene weite Auslegung des Begriffs der Situation geschuldet ist, dass die umgangsbegehrende Großtante das einzige Bindeglied zur türkischstämmigen väterlichen Familie darstellt.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Es handelt sich um eine Entscheidung im Verfahrenskostenhilfeprüfungsverfahren. Das OLG Celle hat zutreffend darauf abgestellt, dass hier nur eine summarische Prüfung vorgenommen werden darf und somit die detaillierte Prüfung der einzelnen Kontakte zwischen Kind und Tante dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss.