Nachfolgend ein Beitrag vom 9.10.2018 von Götsche, jurisPR-FamR 20/2018 Anm. 3

Leitsätze

1. Besteht zwischen den Eltern keine ausreichende Kommunikations- und Kooperationsbasis und konnte eine solche auch trotz unterschiedlicher Versuche in der Vergangenheit mittels professioneller Hilfe Dritter nicht hergestellt werden, scheidet nicht nur die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells aus.
2. Vielmehr kommt auch kein in einer Weise stark erweiterter Umgang in Betracht, der einen regelmäßigen Austausch und eine regelmäßige Abstimmung der Kindeseltern über die Kinder betreffende Alltagsfragen und -belange erfordert.

A. Problemstellung

Unter welchen Voraussetzungen kann der Umgang erweitert (bis hin zu einem Wechselmodell) werden, wenn Kommunikationsstörungen der Eltern bestehen?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kindesvater hat seit Jahren mit seinen 14 und 11 Jahre alten Söhnen Umgang an jedem Wochenende, im Wechsel mit einer und mit zwei Übernachtungen, sowie von Mittwochnachmittag bis Donnerstagmorgen und zudem in den Ferien und bei Feiertagen.
Mit der Begründung, die Kinder hegten seit langem den Wunsch, gleich viel Zeit mit Vater und Mutter zu verbringen, begehrte der Kindesvater die Ausweitung des Umgangs bis hin zur Anordnung eines Wechselmodells. Die Kindesmutter lehnte dies ab. Die Eltern sind dem Jugendamt seit vielen Jahren als problematisch und mit einem erheblichen Konfliktpotential bekannt. Jugendamt und Verfahrensbeistand sahen die Voraussetzungen einer Erweiterung als nicht gegeben an.
Das Familiengericht hatte nach Anhörung der Kinder sowie der übrigen Beteiligten den Umgang des Kindesvaters im Einzelnen geregelt und dabei im Ergebnis gegenüber der gelebten Regelung im Umfang sogar leicht reduziert. Hiergegen wandte sich der Kindesvater mit seiner Beschwerde und erstrebte weiterhin einen gleichmäßigen Umgang entsprechend dem (behaupteten) Wunsch der Kinder; als Vater dürfe er nicht für die Weigerungshaltung der Kindesmutter „bestraft“ werden.
Das OLG Koblenz hat die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.
Zentrales Entscheidungskriterium gegen einen weiter ausgedehnten Umgang oder ein Wechselmodell sei die fehlende Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern. Nicht nur der Verfahrensbeistand und das Jugendamt hätten dies hier aufgezeigt, sondern die Äußerungen der Kinder selbst hätten ergeben, dass die elterliche Kooperation und Kommunikation bis heute überwiegend über die Kinder erfolge, die sich als Übermittler von Nachrichten schlecht fühlen und Schuldgefühle hätten. Müssten sich die Kindeseltern bei erweitertem Umgang noch häufiger absprechen, bestünde die naheliegende Gefahr, dass die Kinder noch mehr zu Nachrichtenübermittlern würden. Solche Botengänge seien aber nicht die Aufgabe von Kindern und stünden auch einem wie auch immer gearteten Wechselmodell entgegen.

C. Kontext der Entscheidung

Das Umgangsrecht schließt eine Umgangsregelung, die einem Wechselmodell gleichkommt, nicht aus. Eine zum paritätischen Wechselmodell führende Umgangsregelung steht wie eine gleichlautende Elternvereinbarung mit dem gemeinsamen Sorgerecht in Einklang (BGH, Beschl. v. 01.02.2017 – XII ZB 601/15 – FamRB 2017, 136). Entscheidender Maßstab für die Regelung im Einzelfall ist letztlich die für das konkrete Kind beste Alternative: Diese bestimmt sich allein nach dem Kindeswohl.
Das Wechselmodell verlangt deutlich mehr als nur ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen bzw. eine tragfähige soziale Beziehung. Die Eltern müssen in der Lage sein, bestehende Konflikte einzudämmen und sich hochmotiviert an den Bedürfnissen des Kindes zu orientieren. Ein paritätisches Wechselmodell auf der Ebene des Umgangs scheidet damit ebenso wie eine gemeinsame elterliche Sorge im Fall hoher elterlicher Konfliktbelastung aus (BGH, Beschl. v. 01.02.2017 – XII ZB 601/15).
Nichts anderes gilt bei einem stark erweiterten Umgang, wie das OLG Koblenz hier zutreffend ausgeführt hat. Durch einen stark erweiterten, wenngleich auch hinter einem paritätischen Modell zurückbleibenden Umgang würde der Umgangsberechtigte mehr Präsenz im Alltag zeigen und somit mehr Alltagsverantwortung für die Kinder übernehmen. Dies bedarf jedoch einer permanenten regelmäßigen Kooperation zwischen den Eltern verbunden mit vielfältigen Absprachen im Bereich des täglichen Lebens der Kinder und damit einer guten Kommunikationsfähigkeit zwischen den Eltern.
Die problematische Frage ist, wann eine elterliche Konfliktbelastung „hoch“, also für das Kindeswohl schädlich ist. Allein dass eine komplexe Umgangsregelung über mehrere Jahre gelebt wurde, besagt noch nichts über eine erforderlich werdende alltägliche Kommunikation und Kooperation der Eltern. Vorliegend fand eine unmittelbare Kommunikation der Eltern praktisch nicht statt, die Kinder wurden vielmehr als Sprachrohr „missbraucht“. Dann aber scheidet ein zu intensiver Umgang zwingend aus.

D. Auswirkungen für die Praxis

Auch wenn sich der konkrete Umgang stets nach dem Kindeswohl und daher dem jeweiligen Einzelfall richtet: In der Praxis findet ein „normales“ Umgangsrecht dahingehend statt, dass der regelmäßige Umgang (neben Ferien-/Feiertagesumgängen) an jedem zweiten Wochenende von Freitag bis Sonntag (oder vergleichbar) stattfindet. Streiten die Eltern um eine Ausweitung, ist sorgfältig zu prüfen, ob ihre Kommunikation dies trägt. Je mehr Umgang gewährt wird, desto höhere Anforderungen werden an die Kommunikationsfähigkeit zu stellen sein. Bei der Bewertung der Kommunikation kommt es auch darauf an, inwieweit die Eltern die Kinder „außen vor lassen“ können, also sich allein untereinander absprechen. Dies entspricht im Übrigen auch der elterlichen Sorgepflicht: Kinder sind aus dem elterlichen Streit weitestgehend herauszuhalten. Leider verkennen streitende Eltern dies viel zu häufig und suchen in solchen Fällen die Schuld allein bei dem anderen Elternteil.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Das OLG Koblenz hat die Beschwerde zu Recht schriftlich zurückgewiesen. Es ist auch verfassungsrechtlich nicht gehalten, Anhörungen durchzuführen, wenn das Amtsgericht bereits alle notwendigen Ermittlungen durchgeführt hat und weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, welchen weiteren Erkenntnisgewinn die erneute Anhörung der Beteiligten im Beschwerdeverfahren hätte haben können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.09.2016 – 1 BvR 1547/16 – FamRZ 2016, 1917, 1921).

Kommunikationsfähigkeit als Voraussetzung für stark erweiterten Umgang oder ein Wechselmodell
Denise HübenthalRechtsanwältin
  • Fachanwältin für Familienrecht
  • Fachanwältin für Erbrecht
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