Nachfolgend ein Beitrag vom 25.9.2018 von Götsche, jurisPR-FamR 19/2018 Anm. 3
Leitsätze
1. In Umgangsverfahren gilt das Verschlechterungsverbot nicht.
2. Übernachtungs- und Ferienumgangskontakte entsprechen – zumal bei weiter voneinander entfernt liegenden Wohnorten der Eltern – auch bei einem Kleinkind in der Regel dem Kindeswohl, wobei der Sommerferienumgang bei einem zwei Jahre alten Kind mit zwei Wochen jedenfalls dann ausreichend bemessen ist, wenn die Elternbeziehung nicht spannungsfrei ist.
A. Problemstellung
Wie ist der Umgang im einzelnen auszugestalten, wenn es sich bei dem gemeinsamen Kind um ein sehr junges Kind handelt?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die getrenntlebenden, miteinander verheirateten Beteiligten sind die Eltern einer zweijährigen Tochter, die bei der Mutter lebt. Die Wohnorte der Eltern liegen rund 100 km voneinander entfernt. Zentraler Streitpunkt zwischen ihnen ist die Frage, ob und ggf. in welchem Ausmaß Übernachtungen der Tochter bei ihrem Vater kindeswohlgemäß sind.
Das Familiengericht hat den Umgang insbesondere an jedem zweiten Wochenende von freitags 15 Uhr bis sonntags 18 Uhr, ferner in der ersten Hälfte der Kindergartenschließzeiten vom letzten Kindergartentag 15 Uhr bis zum Tag der Hälfte der Kindergartenschließzeiten 18 Uhr sowie an bestimmten Feiertagen geregelt. Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Mutter eine Änderung der Umgangsregelung dahin, dass der vierzehntägige Umgang lediglich samstags oder sonntags und an den Feiertagen jeweils von 10 bis 18 Uhr ohne Übernachtung stattfindet und keinerlei Ferienumgang angeordnet wird.
Das OLG Saarbrücken hat die Beschwerde zurückgewiesen und die festgelegte Umgangsregelung im Wesentlichen bestätigt, wobei das Oberlandesgericht angesichts dessen, dass die vom Kind besuchte Kita grundsätzlich ganzjährig geöffnet bleibt, eine sich weitgehend an den saarländischen Schulferien orientierte „Ferienregelung“ angeordnet hat.
Übernachtungen des Kindes beim Umgang seien kindeswohlzuträglich, gerade angesichts der weiten Entfernung zwischen den Elternhäusern. Dies gelte auch für das hier sehr junge Kind, da es eine generelle Altersgrenze für Übernachtungen nicht gebe und das bloße Alter eines Kindes kein maßgebliches Kriterium für die Frage der Anordnung von Übernachtungskontakten sei. Die Übernachtungen seien auch hier grundsätzlich geeignet, die Beziehung des Kindes zum Vater zu festigen und dazu beizutragen, dass dieser vom Kind nicht ausschließlich als „Sonntagselternteil“ erlebt werde. Soweit mit der Entscheidung in der Beschwerde eine „Verböserung zu Lasten der Beschwerdeführerin“ erfolge, sei dies unbedenklich, da in Umgangsverfahren kein Verschlechterungsverbot gelte.
C. Kontext der Entscheidung
1. Materielles Recht
Das Umgangsrecht eines Elternteils steht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Es erwächst aus dem natürlichen Elternrecht und der damit verbundenen Elternverantwortung und muss von den Eltern im Verhältnis zueinander respektiert werden. Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben werden durch § 1684 Abs. 1 BGB konkretisiert, demzufolge das Kind das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil hat und jeder Elternteil zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt ist.
Können sich die Eltern über die Ausübung des Umgangsrechts nicht einigen, haben die Gerichte nach § 1697a BGB eine Entscheidung zu treffen, die sowohl die beiderseitigen Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigt (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 17.09.2016 – 1 BvR 1547/16 – FamRZ 2016, 1917). Insoweit sind insbesondere die Belastbarkeit des Kindes, die bisherige Intensität seiner Beziehungen zum Umgangsberechtigten und seine Vertrautheit mit diesem, die räumliche Entfernung der Eltern voneinander, die Interessen und Bindungen von Kind und Eltern, das Verhältnis letzterer zueinander, die persönliche, berufliche und Wohnsituation sowie Betreuungsmöglichkeiten des Umgangsberechtigten, der Wille des Kindes, soweit er mit seinem Wohl vereinbar ist, sowie dessen Alter und dadurch bedingtes Zeitempfinden, sein Entwicklungs- und Gesundheitszustand und das Konfliktniveau zwischen den Eltern in den Blick zu nehmen (vgl. OLG Saarbrücken, Beschl. v. 08.09.2014 – 6 UF 62/14 – FamRZ 2015, 62; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 23.01.2013 – 6 UF 20/13 – NJW-RR 2013, 452; OLG Saabrücken, Beschl. v. 04.01.2011 – 6 UF 132/10 – FamRZ 2011, 824).
Übernachtungen des Kindes beim umgangsberechtigten Elternteil entsprechen in der Regel dem Kindeswohl (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 23.01.2013 – 6 UF 20/13 – NJW-RR 2013, 452; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 26.09.2006 – 1 BvR 1827/06 – FamRZ 2007, 105 und BVerfG, Beschl. v. 23.03.2007 – 1 BvR 156/07 – FamRZ 2007, 1078; BVerfG, Beschl. v. 07.03.2005 – 1 BvR 552/04 – FamRZ 2005, 871; KG, Beschl. v. 10.01.2011 – 17 UF 225/10 – FamRZ 2011, 825; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 21.07.2008 – 5 UF 74/08 – FamRZ 2009, 134). In jüngerer Zeit wird in der Rechtsprechung eine generelle Altersgrenze für Übernachtungen nicht mehr vertreten. Es dient zudem nicht dem Entwicklungsprozess von Kindern, ihnen familiäre Auseinandersetzungen ersparen zu wollen. Auch junge Kinder müssen lernen, durch neue Strukturen, durch Veränderungen vielfältiger Art belastet zu werden, aus deren Wirklichkeit sie neue Kräfte beziehen. Kinder werden nicht dadurch „lebenstüchtig“, dass sie in überbehüteter und einseitig auf die Vorstellungen eines Elternteils ausgerichteter Weise „erzogen“ werden, sondern auch dadurch, dass ihnen die Realität hinreichend deutlich wird (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 23.01.2013 – 6 UF 20/13 – NJW-RR 2013, 452; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 20.12.1989 – 5 UF 199/89 – FamRZ 1990, 901).
Der Umfang von Übernachtungskontakten richtet sich daher insbesondere
•nach der Stabilität des Verhältnisses zwischen Kind und umgangsberechtigtem Elternteil
• danach, ob es sich bei der Wohnung dieses Elternteils um eine für das Kind vertraute Umgebung handelt (OLG Hamm, Beschl. v. 18.10.1989 – 5 UF 273/89 – FamRZ 1990, 654)
• danach, ob die Wohnung dem Grunde nach eine angemessene Unterbringung – insbesondere durch eine ausreichende Schlafmöglichkeit – darstellt (Schmid, NZFam 2014, 881)
• danach, ob der umgangsberechtigte Elternteil mitsorgeberechtigt ist (AG Saarbrücken, Beschl. v. 04.03.2003 – 39 F 14/03 UG – FamRZ 2003, 1200)
• danach, ob die Wohnorte der Eltern weiter voneinander entfernt liegen, da sich dann durch mit mehreren zusammenhängenden Übernachtungen auch die Belastungen für Kind und Umgangsberechtigten durch lange Fahrtstrecken vermindern.
2. Verfahrensrecht
Eine verbösernde Entscheidung ist im Beschwerdeverfahren zulässig, weil im Umgangsverfahren von Amts wegen und allein auf das Wohl des Kindes abstellend die nach materiellem Recht gebotene Regelung zu treffen ist, das Umgangsrecht dem Beschwerdegericht mit der Beschwerde in vollem Umfang angefallen ist und – anders als in Familienstreitsachen (vgl. § 117 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 528 ZPO) – der Beschwerdeführer auch eine für ihn nachteilige Entscheidung in Kauf nehmen muss. Das Verschlechterungsverbot gilt also nicht (vgl. zuletzt OLG Bremen, Beschl. v. 21.11.2017 – 5 UF 81/16 – FuR 2018, 263 m. Anm. Götsche, jurisPR-FamR 4/2018 Anm. 3 m.w.N.).
D. Auswirkungen für die Praxis
Droht dem Beschwerdeführer eine (zulässige) Verböserung, sollte er seine Beschwerde zurücknehmen.
Im Normalfall wird das Familiengericht dem Kindeswohl entsprechend Umgänge mit Übernachtungen ansetzen. Davon ist auch bei sehr jungen Kindern nicht abzusehen. Hat der obhutsberechtigte Elternteil Bedenken, muss er diese sehr eingehend darlegen und zugleich erläutern, welche Anstrengungen er selbst unternimmt, um zukünftig zu geregelten Übernachtungen zu kommen. Übliche Hinweise wie „das Kind ist nach dem Umgang immer sehr aufgedreht und hat Probleme, sich wieder einzuleben“ und dergleichen genügen nicht. Denn nach § 1684 Abs. 2 BGB obliegt es dem Obhutsberechtigten, auf das Kind erzieherisch einzuwirken, damit der persönliche Umgang nicht als belastend empfunden wird, ggf. psychische Widerstände gegen den Umgang mit dem anderen Elternteil abgebaut werden und eine positive Einstellung des Kindes zur Durchführung des Umgangs mit dem anderen Elternteil gewonnen wird. Kontakte zum anderen Elternteil sind nicht nur zuzulassen, sondern auch positiv zu fördern, um dem Kind mögliche Loyalitätskonflikte zu ersparen. Dies wird leider allzu oft vom Obhutsberechtigten negiert.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Das OLG Saarbrücken weist noch eingehend darauf hin, dass grundsätzlich auch die Einräumung von Ferienumgang angezeigt ist (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 11.10.2013 – 6 UF 128/13 – ZKJ 2014, 75). Hierdurch könne zum einen das Zusammensein von Kind und umgangsberechtigtem Elternteil normalisiert und die gefühlsmäßigen Bindungen des Kindes zum Umgangsberechtigten aufrechterhalten und gefestigt werden (BVerfG, Beschl. v. 23.03.2007 – 1 BvR 156/07 – FamRZ 2007, 1078; BVerfG, Beschl. v. 07.03.2005 – 1 BvR 552/04 – FamRZ 2005, 871; OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.01.2009 – 10 UF 155/08; vgl. auch Balloff/Vogel, FF 2017, 98, 104 f.), zum anderen – jedenfalls mittelfristig – auch zur Entspannung der Situation und damit zur Entlastung des Kindes beitragen werden (BVerfG, Beschl. v. 23.03.2007 – 1 BvR 156/07 – FamRZ 2007, 1078; BVerfG, Beschl. v. 09.06.2004 – 1 BvR 487/04 – FamRZ 2004, 1166), weil das Kind so den Umgangsberechtigten über einen längeren Zeitraum hinweg unter Alltagsbedingungen erleben kann.
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