Nachfolgend ein Beitrag vom 10.5.2016 von Viefhues, jurisPR-FamR 10/2016 Anm. 1

Leitsatz

Gemäß § 1361 Abs. 2 BGB kann der nicht erwerbstätige Ehegatte nur dann darauf verwiesen werden, seinen Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen, wenn dies von ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen, insbesondere wegen einer früheren Erwerbstätigkeit und unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe und nach den wirtschaftlichen Verhältnissen beider Ehegatten erwartet werden kann. Danach kann zwar in der Regel davon ausgegangen werden, dass während des ersten Trennungsjahres eine Erwerbstätigkeit nicht aufgenommen werden muss. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um einen ausnahmslos geltenden Grundsatz. War der Trennungsunterhalt begehrende Ehegatte während des ehelichen Zusammenlebens (weitgehend) erwerbstätig, so dass keine klassische sog. Haushaltsführungsehe vorlag, kann er auch bei zum Zeitpunkt der Trennung bestehender Erwerbslosigkeit bereits mit der Trennung zur Aufnahme bzw. Fortsetzung seiner Erwerbsbemühungen verpflichtet sein. Das gilt insbesondere bei einem recht kurzen Zeitraum zwischen Eheschließung und Trennung (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 26.03.2012 – 8 UF 109/10 (juris)).

A. Problemstellung

Trennen sich Eheleute und wird um Unterhalt gestritten, geht es vielfach um den Umfang der Erwerbsobliegenheit des Ehegatten, der Trennungsunterhalt verlangt. Die Entscheidung des OLG Koblenz ergänzt die vorhandene und sich mehr und mehr verschärfende Rechtsprechung zu dieser Frage um eine weitere Facette.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Das Amtsgericht hatte der Ehefrau Trennungsunterhalt zugesprochen für insgesamt sechs Monate ohne Berücksichtigung eines eigenen Einkommens und danach ein fiktives Einkommens in Höhe des zuletzt erzielten bereinigten Nettoeinkommens angerechnet.
Das OLG Koblenz hat die gegen diese Entscheidung eingelegte Beschwerde der Ehefrau zurückgewiesen.
Zu Recht habe das Amtsgericht eine Erwerbsverpflichtung bereits vor Ablauf des Trennungsjahres – hier gut sechs Monate nach der Trennung – angenommen. Gemäß § 1361 Abs. 2 BGB könne zwar der nicht erwerbstätige Ehegatte nur dann darauf verwiesen werden, seinen Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen, wenn dies von ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen, insbesondere wegen einer früheren Erwerbstätigkeit und unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe und nach den wirtschaftlichen Verhältnissen beider Ehegatten erwartet werden könne.
Es könne also nicht davon ausgegangen werden, dass grundsätzlich während des ersten Trennungsjahres eine Erwerbstätigkeit nicht aufgenommen werden müsse. Das sei zwar in der Regel der Fall, aber nicht immer und nicht im vorliegenden Fall.
Die Ehefrau, eine Dipl.-Betriebswirtin mit Schwerpunkt „Steuerrecht“, habe, nachdem sie mit dem späteren Ehemann bereits vor der Heirat zusammengezogen sei, eine Erwerbstätigkeit bei einer Steuerberatungsfirma aufgenommen, die sie allerdings mit Ablauf der Probezeit verloren habe.
Danach habe sie zwar beim Arbeitsamt vorgesprochen, sich aber nicht arbeitslos gemeldet und sich in der Folge verschiedentlich beworben. Es sei also davon auszugehen, dass sie wieder einer Erwerbstätigkeit nachgehen wollte, sich also dem angeblichen (bestrittenen) Wunsch des Ehemannes nicht gebeugt habe, im Hinblick auf die angestrebte Kindererziehung zu Hause zu bleiben, so dass die Trennung für ihr Erwerbsleben keinen Einschnitt bedeutete und sie ohne weiteres ihre Bemühungen um Arbeit umgehend fortsetzen konnte und musste.
In der Zeit seit der Trennung im April 2015 bis November 2015 habe sie jedoch nur drei Bewerbungen und eine Absage vorgelegt. Das seien völlig unzureichende Bemühungen, für ihren Unterhalt selbst zu sorgen. Zudem habe sie zum Wintersemester 2015 ein zweites Studium – Jura – begonnen, um ihre Kenntnisse in Steuern und Recht zu vertiefen. Diese Zweitausbildung müsse der Ehemann nicht finanzieren. Ein ernsthaftes Bemühen um eine Erwerbstätigkeit sei nicht ersichtlich.
Es sei auch anzunehmen oder jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die Antragstellerin binnen sechs Monaten hätte eine Arbeit finden können.
Auch aus der Dauer der Ehe vom Zeitpunkt der standesamtlichen Trauung bis zur Trennung ergebe sich nichts anderes.

C. Kontext der Entscheidung

Während früher dem getrenntlebenden Ehegatten eine längere Zeit mit dem Argument einer „Bestandsgarantie“ zugutegehalten worden ist, ist die Rechtsprechung heute viel strenger und bejaht eine vollschichtige Erwerbsobliegenheit eines Ehegatten, der keine Kinder betreut, oft schon nach Ablauf des ersten Trennungsjahres (OLG Schleswig, Beschl. v. 06.01.2015 – 10 UF 75/14 – FuR 2015, 301; vgl. auch BGH, Urt. v. 05.03.2008 – XII ZR 22/06 – FamRZ 2008, 963 m. Anm. Büttner = FF 2008, 248 m. Anm. Graba = NJW 2008, 1946 m. Anm. Griesche). Das Trennungsjahr wird dabei schon als Orientierungsphase bewertet, an deren Ende bereits eine entsprechende Erwerbstätigkeit ausgeübt werden muss (OLG Köln, Beschl. v. 18.10.2011 – 4 UF 170/11 – FuR 2012, 497).
In dem hier entschiedenen Fall geht das OLG Koblenz sogar noch weiter und bejaht aufgrund der besonderen Umstände des Falles eine vollschichtige Erwerbsobliegenheit bereits nach einem Jahr seit der Trennung.
Wird für die Frage der Erwerbsobliegenheit auch auf die Dauer der Ehe abgestellt, ist das Heiratsdatum maßgeblich. Eine Zeit des vorehelichen Zusammenlebens hat hierfür keine Bedeutung.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der getrenntlebende Ehegatte, der Unterhalt geltend machen will, muss sich darauf einrichten, dass ihm eine vollschichtige Erwerbsobliegenheit entgegengehalten wird. Nur ausreichende Bewerbungen um eine solche Arbeitsstelle können verhindern, dass fiktive Einkünfte in Höhe des erzielbaren Einkommens angerechnet werden. Um in diesem Fall die Anrechnung eines zu hohen fiktiven Einkommens zu verhindern, sind auch konkrete Darlegungen zur Ausbildung und der beruflichen Entwicklung der Unterhaltsberechtigten unverzichtbar.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Das OLG Koblenz betont noch, dass nach Art. 13 Abs. 3 EGBGB eine in Deutschland geschlossene Ehe nach deutschem Recht zu bewerten ist. Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn der Ehe ist daher der Zeitpunkt der standesamtlichen Trauung. Im Übrigen sei eine nur vor dem Imam geschlossene Ehe auch in der Türkei nicht wirksam.