Nachfolgend ein Beitrag vom 2.8.2016 von Adamus, jurisPR-FamR 16/2016 Anm. 1

Leitsatz

In einer Familienstreitsache ist der instanzbeendende Beschluss zu verkünden. Die nachfolgende Zustellung eines inhaltlich abweichenden Beschlusses setzt keine Rechtsmittelfristen in Gang.

A. Problemstellung

Für den Empfänger einer Zustellung ist in der Regel nicht erkennbar, ob die zugestellte Ausfertigung mit dem Original der verkündeten Entscheidung übereinstimmt. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass Original und Ausfertigung voneinander abweichen, besteht Unsicherheit, welche Folgen die Zustellung hat und welche Rechtsmittel zur Verfügung stehen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Nach rechtskräftiger Scheidung begehrte der Antragsteller den Zugewinnausgleich. Erstinstanzlich hatte der Antragsteller beantragt, die Antragsgegnerin zur Auskunft zu verpflichten, die erteilte Auskunft zu belegen, die Richtigkeit ihrer Angaben an Eides statt zu versichern sowie 40.957,43 Euro nebst Zinsen an den Antragsteller zu zahlen.
Nach mündlicher Verhandlung verkündete das Familiengericht am 28.05.2015 einen Beschluss, mit dem die Antragsgegnerin zur Auskunft verpflichtet wurde und die übrigen Anträge zurückgewiesen wurden. Am 29.05.2015/02.06.2015 wurde den Beteiligten ein Beschluss zugestellt, nach dem die Antragsgegnerin zur Zahlung von 40.957,43 Euro nebst Zinsen und zur Auskunft verpflichtet wurde. Hiergegen legte die Antragsgegnerin Beschwerde ein, die aber wieder zurückgenommen wurde. Bei Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung stellte das Amtsgericht fest, dass den Beteiligten am 29.05.2015/02.06.2015 eine Beschlussversion zugestellt worden war, die nicht dem am 28.05.2015 verkündeten Beschluss entsprach. Den Beteiligten wurde nunmehr der am 28.05.2015 verkündete Beschluss am 21.09.2015/22.09.2015 zugestellt. Der Antragsteller legte gegen diesen Beschluss Beschwerde ein.
Das OLG Hamm hat den Beteiligten in seinem Beschluss nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG die Erwägungsgründe für die beabsichtigte Entscheidung mitgeteilt, wonach die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 28.05.2015 zurückgewiesen und der Beschluss gleichzeitig dahin berichtigt wird, dass es sich nicht um einen Beschluss, sondern um einen Teilbeschluss handelt und Ziff. 2. des Beschlusses („Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen“) entfällt. Ferner ist zur Klarstellung angekündigt worden, dass der am 29.05.2015/02.06.2015 zugestellte Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben wird.
Der am 21.09.2015/22.09.2015 zugestellte Beschluss vom 28.05.2015 sei wirksam. Ein urteilsersetzender Beschluss in einer Familienstreitsache sei gemäß § 113 Abs. 1 FamFG, § 310 ZPO zu verkünden. Die zwingend gemäß § 310 ZPO erforderliche Verkündung könne nicht durch eine anschließende Zustellung (hier vom 29.05.2015/02.06.2015) ersetzt werden. Es handele sich bei dem zuerst zugestellten Beschluss um einen Scheinbeschluss, der klarstellend aufzuheben sei.

C. Kontext der Entscheidung

Mit Verkündung des Beschlusses (§ 113 Abs. 1 FamFG, § 310 ZPO) am 28.05.2015 wurde dieser wirksam und existent. Die nachfolgende Zustellung einer abweichenden Beschlussversion an die Beteiligten am 29.05.2015/02.06.2015 war damit unwirksam. Diese Beschlussversion ist nicht existent, es handelt sich daher lediglich um einen Scheinbeschluss oder einen Beschlussentwurf, der nur zur Klarstellung aufzuheben ist (vgl. BGH, Beschl. v. 13.06.2012 – XII ZB 592/11).
Anderes hätte gelten können, wenn ein Fehler bei der Verkündung oder der Zustellung einer Entscheidung geschehen wäre, also eine Verlautbarung des Gerichts beabsichtigt war (Verkündungstermin) und die förmlich unterrichteten Parteien dies als so beabsichtigt verstehen durften (vgl. Vollkommer in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 310 Rn. 7). Dann wäre der falsche Beschluss wirksam verkündet worden. Vorliegend war der Beschluss aber bereits verkündet und eine Verlautbarung war nicht beabsichtigt.
Die Abweichung des Scheinbeschlusses vom Original ist wesentlich, da dieser zusätzlich den Ausspruch zur Zahlung enthält. Lediglich bei kleineren, unwesentlichen Abweichungen wäre eine Berichtigung nach § 319 ZPO möglich gewesen. Dies ist nur bei Abweichungen, die auch im Original berichtigt werden könnten, möglich. Liegt aber ein wesentlicher Mangel vor, ist die Zustellung der Ausfertigung, die allein nach außen in Erscheinung tritt, unwirksam, so dass die Beschwerdefrist nicht zu laufen beginnt (Musielak in: MünchKomm ZPO, § 317 Rn. 8 m.w.N.). Die Beschwerdefrist wurde für die Beteiligten durch die Zustellung des Scheinbeschlusses am 29.05.2015/02.06.2015 nicht in Gang gesetzt. Vielmehr begann die Beschwerdefrist gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG erst mit Zustellung des mit dem Original übereinstimmenden Beschlusses an die Beteiligten am 21.09.2015/22.09.2015.
Der verkündete Beschluss war nach Ansicht des OLG Hamm inhaltlich nicht zu beanstanden, aber gemäß § 319 ZPO wegen offensichtlicher Unrichtigkeiten zu berichtigen. Eine Entscheidung ist unrichtig i.S.d. § 319 ZPO, wenn die Erklärung des richterlichen Willens in der Entscheidung von der der Entscheidung zugrunde liegenden Willensbildung abweicht. Mit Hilfe einer Berichtigung nach § 319 Abs. 1 ZPO kann hingegen nicht das vom Gericht Gewollte geändert werden. Eine Unrichtigkeit ist offenbar, wenn sie sich für den Außenstehenden aus dem Zusammenhang des Urteils ohne weiteres ergibt (BGH, Beschl. v. 16.10.2012 – II ZB 6/09). Vorliegend ergibt sich aus der Kostenentscheidung, die der Schlussentscheidung vorbehalten wurde, dass es sich offensichtlich um einen Teilbeschluss handeln muss. Den Gründen ist zu entnehmen, dass der Zahlungsanspruch und der Anspruch auf Abgabe der Versicherung an Eides statt nicht endgültig zurückgewiesen werden sollen, sondern nur derzeit als nicht begründet angesehen wurden.

D. Auswirkungen für die Praxis

Bei der Verkündung von Urteilen/Beschlüssen können sich Fehler einschleichen. Bei Urteilen in Zivilsachen und Familienstreitsachen ist die förmliche Verkündung des Urteils/Beschlusses vorgesehen. Nur die laut Protokoll verkündete Entscheidung ist wirksam. Ist ein Fehler aufgetreten, wird dies dem Zustellungsempfänger regelmäßig erst nach Aufklärung des Fehlers durch das Gericht bekannt. Vorliegend war der Fehler sogar erst aufgefallen, nachdem bereits eine Beschwerde zurückgenommen worden war. Solange der Fehler unbekannt ist, kann man nur gegen den zugestellten Beschluss vorgehen. Wird der Fehler allerdings später bekannt, ist darauf prozessual adäquat zu reagieren, um unnötige Kosten zu vermeiden.
Hierbei ist der Beschluss des OLG Hamm, der alle Facetten der Problematik aufzeigt, aufschlussreich. Rechtsmittel können danach nur erfolgreich sein, wenn der verkündete Beschluss fehlerhaft ist. Ein gegen einen Scheinbeschluss eingelegtes Rechtsmittel muss nach Bekanntwerden des Fehlers darauf umgestellt werden, den Beschluss deklaratorisch aufzuheben. Etwaige durch einen Scheinbeschluss verursachte Mehrkosten können bei gröblichen Verkündungsfehlern des Gerichts in Wege Amtshaftung geltend gemacht werden (OLG Koblenz, Urt. v. 07.01.2016 – 1 U 657/15).

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

In einer nichtstreitigen Familiensache wird ein Beschluss i.S.d. § 38 FamFG im Gegensatz zur Verkündung in einer Streitsache dadurch erlassen, dass die Entscheidungsformel entweder den anwesenden Beteiligten verlesen wird oder aber eine Übergabe der Entscheidung an die Geschäftsstelle erfolgt (§§ 38 Abs. 3 Satz 3, 41 Abs. 1 und 2 FamFG). Eine Verkündung der Entscheidung unter Abwesenheit der Beteiligten ist hier weder nötig noch hinreichend. Die Geschäftsstelle hat das maßgebliche Datum auf dem Beschluss zu vermerken (OLG Frankfurt, Beschl. v. 13.01.2016 – 4 UF 272/15).