Nachfolgend ein Beitrag vom 19.7.2016 von Podewils, jurisPR-FamR 15/2016 Anm. 6

Leitsätze

1. Der Betreuer kann eine Vorsorgevollmacht nur widerrufen, wenn ihm diese Befugnis als eigenständiger Aufgabenkreis ausdrücklich zugewiesen ist (Abgrenzung zu BGH, Beschl. v. 13.11.2013 – XII ZB 339/13 – FamRZ 2014, 192 und BGH, Beschl. v. 01.08.2012 – XII ZB 438/11 – FamRZ 2012, 1631).
2. Dieser Aufgabenkreis darf einem Betreuer nur dann übertragen werden, wenn das Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des Wohls des Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere befürchten lässt und mildere Maßnahmen nicht zur Abwehr eines Schadens für den Betroffenen geeignet erscheinen.
3. Auch nach einem wirksamen Widerruf der Vorsorgevollmacht durch den Betreuer kann der Bevollmächtigte noch im Namen des Betroffenen Beschwerde gegen die Betreuerbestellung einlegen (Fortführung von BGH, Beschl. v. 15.04.2015 – XII ZB 330/14 – FamRZ 2015, 1015 und BGH, Beschl. v. 05.11.2014 – XII ZB 117/14 – FamRZ 2015, 249).

A. Problemstellung

Nicht zuletzt aus Furcht vor einer gerichtlichen Betreuung haben Vorsorgevollmachten immer größere Bedeutung erlangt. Wie jede Vollmacht besteht auch bei der Vorsorgevollmacht freilich ein inhärentes Missbrauchsrisiko. Ist in einem Fall von Missbrauch der Vollmachtgeber selbst nicht mehr in der Lage, die erteilte Vollmacht zu widerrufen, kann die Anordnung einer Betreuung erforderlich werden. Allerdings ist insoweit einiges zu beachten.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Eine ältere Dame war aufgrund fortgeschrittener Demenz nicht mehr in der Lage, sich selbst um ihre Angelegenheiten zu kümmern. Im Jahr 2004, als sie noch voll geschäftsfähig war, hatte sie eine notarielle Vorsorgevollmacht errichtet. In derselben Urkunde war für den Fall, dass trotz der Vorsorgevollmacht eine Betreuung notwendig werden sollte, der Bevollmächtigte, hilfsweise noch eine Ersatzbevollmächtigte, als Betreuer vorgeschlagen. Allerdings schöpfte die Vollmachtgeberin Anfang 2010 den Verdacht, von ihrem Bevollmächtigten hintergangen zu werden.
Im November 2010 bestellte das Betreuungsgericht einen ehrenamtlichen Betreuer für die Aufgabenkreise der Gesundheitsfürsorge, Vermögensangelegenheiten und Vertretung bei Behörden und Ämtern. Nachdem der Bevollmächtigte diesen ehrenamtlichen Betreuer auf die erteilte Vorsorgevollmacht nebst Betreuungsverfügung hingewiesen hatte, erklärte der Betreuer den Widerruf der Vollmacht. Das Betreuungsgericht reagierte, indem es zunächst einen Berufsbetreuer für die Aufgabenkreise Vermögensangelegenheiten und Vertretung bei Behörden und Gerichten und Sozialversicherungsträgern sowie den Bevollmächtigten als Betreuer für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge einschließlich Zustimmung zu unterbringungsähnlichen Maßnahmen bestimmte.
Mit weiterem Beschluss hob das Gericht die Betreuung durch den Bevollmächtigten gänzlich auf und erweiterte die Aufgabenkreise des (neuen) Betreuers um den Punkt „Widerruf der durch den Notar […] beurkundeten Vorsorgevollmacht betreffend die Aufgabenkreise Vermögensangelegenheiten und Vertretung vor Behörden, Gerichten und Sozialversicherungsträgern“. Unmittelbar danach erklärte der neue Betreuer nochmals den Widerruf der Vorsorgevollmacht gegenüber dem Bevollmächtigten.
Anschließend legte der Bevollmächtigte für die Betroffene Beschwerde ein mit dem Begehren, die Betreuung aufzuheben bzw. zumindest den Betreuer auszuwechseln. Diese Beschwerde verwarf das LG Dortmund als unzulässig, da die Beschwerdeberechtigung des Bevollmächtigten nach § 303 Abs. 4 Satz 1 FamFG in Folge des Widerrufs der Vorsorgevollmacht erloschen sei. Auf die nunmehr eingelegte Rechtsbeschwerde hob der BGH den Beschluss des Landgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Behandlung zurück.
Zunächst stellte der BGH – soweit noch im Einklang mit Betreuungsgericht und Landgericht – fest, dass der zunächst bestellte erste Betreuer die Vorsorgevollmacht nicht wirksam widerrufen konnte. Die Befugnis hierzu hätte ihm nämlich ausdrücklich als eigenständiger Aufgabenkreis zugewiesen werden müssen, was eben nicht geschehen war. Einigkeit mit der Vorinstanz bestand ferner dahingehend, dass der Widerruf durch den anschließend bestellten Berufsbetreuer wirksam war, da dieser hierzu vom Betreuungsgericht ausdrücklich ermächtigt war. Insbesondere stehe der Vollmachtswiderruf durch den Betreuer nicht unter der materiellen Voraussetzung, dass hierfür ein wichtiger Grund bestünde (so aber Rieger in: Festschrift Schwab, 2005, S. 1043, 1050 f.).
Allerdings bleibe die Beschwerdeberechtigung nach § 303 Abs. 4 Satz 1 FamFG von einem solchen – wirksamen – Widerruf unberührt. Die Norm müsse nämlich dahingehend verfassungskonform ausgelegt werden, dass der Widerruf der Vollmacht durch den Betreuer nicht die Vertretungsmacht des Bevollmächtigten im Beschwerdeverfahren zur Überprüfung eben dieser Betreuerbestellung beseitige. Ansonsten könnte der Betreuer der Beschwerde nämlich schlicht per Widerruf der Vollmacht die Grundlage entziehen. Damit wäre dem Rechtsmittel die nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotene Effektivität genommen.

C. Kontext der Entscheidung

Die soeben referierte verfassungskonforme Auslegung von § 303 Abs. 4 Satz 1 FamFG ist nicht zuletzt im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG zur Betreuung als besonders starkem Grundrechtseingriff sowie zum Gebot effektiven Rechtsschutzes zu sehen (BVerfG, Beschl. v. 10.10.2008 – 1 BvR 1415/08 – FamRZ 2008, 2260; eingehend auch Nedden-Boeger, FamRZ 2014, 1589 ff.).
Die Bedeutung des durch Art. 1, 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen zeigt sich nicht zuletzt in den Hinweisen des BGH für die erneute Befassung durch das LG Dortmund.
Sämtliche betreuungsgerichtlichen Entscheidungen, die in das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen eingreifen, sind unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu treffen. Das bedeutet insbesondere, dass die Maßnahme auch erforderlich sein muss (vgl. § 1896 Abs. 2 BGB; siehe ferner bereits BGH, Beschl. v. 13.04.2011 – XII ZB 584/10 – FamRZ 2011, 964 m. Anm. Hamdan/Hamdan, jurisPR-FamR 18/2011 Anm. 7; ferner BGH, Beschl. v. 07.03.2012 – XII ZB 583/11 – NJW-RR 2012, 772). Es muss daher festgestellt werden, dass der Bevollmächtigte das Wohl der Vollmachtgeberin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere verletzen würde. Bei behebbaren Mängeln im Verhalten des Bevollmächtigten ist zunächst an die Einrichtung einer Kontrollbetreuung zu denken. In diesem Zusammenhang wird das LG Dortmund ferner zu prüfen haben, weswegen nicht zumindest die von der Vollmachtgeberin benannte Ersatzbevollmächtigte Gebrauch von der Vorsorgevollmacht machen könnte.
Gerade wegen des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen wird in der Literatur vielfach vertreten, dass dann, wenn auf die Beschwerde hin die Betreuerbestellung oder jedenfalls der Aufgabenkreis des Vollmachtwiderrufs aufgehoben wird, ein vorheriger Vollmachtwiderruf als nichtig anzusehen sei (so insbesondere Damrau/Zimmermann, Betreuungsrecht, 4. Aufl. 2010, § 303 FamFG Rn. 173; Budde in: Keidel, FamFG, 18. Aufl. 2014, § 303 Rn. 12; Fröschle, FamRZ 2015, 251, 252). Allerdings ordnet § 47 FamFG zum Schutz des Vertrauens im Rechtsverkehr auf den Bestand einer wirksam gewordenen Gerichtsentscheidung gerade an, dass die spätere Aufhebung die Wirksamkeit der zwischenzeitlich auf deren Grundlage getroffenen Rechtsgeschäfte unberührt lässt. Der von der Literatur geforderten einschränkenden Auslegung von § 47 FamFG hat der BGH daher zu Recht eine Absage erteilt.

D. Auswirkungen für die Praxis

Wenn ein Betreuer (ausdrücklich) zum Widerruf einer Vorsorgevollmacht ermächtigt ist, lässt sich der Widerruf grundsätzlich nicht mehr rückgängig machen. Auch bedarf es keines besonderen Grundes zum Widerruf. Entsprechende Entscheidungen sollten daher sorgsam bedacht sein.
Ausdrücklich offengelassen hat der BGH, ob auch ein Rechtspfleger im Rahmen der ihm nach den §§ 3 Nr. 2, 15 Abs. 1 Satz 2 RPflG übertragenen Geschäfte den Aufgabenkreis des Vollmachtwiderrufs zuweisen könnte. Denn vorliegend hatte ein Richter entschieden. M.E. sollte diese Entscheidung wegen des besonderen Gewichts des Grundrechtseingriffs dem Richter vorbehalten bleiben (so auch Nedden-Boeger, FamRZ 2015, 554, 555).
Was aber lässt sich für die vorsorgende Rechtspflege aus der Entscheidung „lernen“?
Zunächst sollten sachgerechte Regelungen in die Vollmacht aufgenommen werden, die bereits dem Risiko eines Missbrauchs entgegenwirken. So sollten, wenn vorhanden, mehrere Personen bevollmächtigt werden, und jedenfalls für wesentliche Angelegenheiten ein „Vier-Augen-Prinzip“ verankert werden (vgl. G. Müller in: Würzburger Notarhandbuch, 3. Aufl. 2012, S. 1470; Bühler, FamRZ 2001, 1585, 1589). Erwägenswert ist ferner die Festlegung eines „Hierarchieprinzips“ unter den Bevollmächtigten (vgl. G. Müller in: Würzburger Notarhandbuch, S. 1470; Bühler, FamRZ 2001, 1585, 1589). Auch sollte der Vollmachtgeber ausdrücklich regeln, ob und inwieweit ein Bevollmächtigter die Vollmacht des anderen widerrufen kann – hier wird eine Bestimmung, dass ein solcher Widerruf (nur) bei Vorliegen eines wichtigen Grundes möglich ist, regelmäßig die sachgerechteste Lösung sein (vgl. G. Müller in: Würzburger Notarhandbuch, S. 1470; Bühler, FamRZ 2001, 1585, 1590).
Außerdem sollten klare Regelungen für das Innenverhältnis zwischen Vollmachtgeber und Bevollmächtigtem getroffen werden. Grundsätzlich findet auf das Innenverhältnis Auftragsrecht Anwendung; Klarstelllungen und ggf. Modifizierungen sind jedoch sinnvoll.