Nachfolgend ein Beitrag vom 13.9.2016 von Jahreis, jurisPR-FamR 19/2016 Anm. 5

Orientierungssatz zur Anmerkung

Jedes im Betreuerbestellungsverfahren eingeholte und verwendete ärztliche Gutachten muss den formalen Anforderungen des § 280 FamFG entsprechen. Dies gilt auch für Gutachten, deren Einholung entbehrlich gewesen wäre.

A. Problemstellung

Unter welchen Voraussetzungen kann ein Kontrollbetreuer bestellt werden und welche verfahrensrechtlichen Anforderungen sind an die Würdigung ärztlicher Gutachten im Betreuungsverfahren zu stellen?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der 1925 geborene Betroffene leidet unter einer leichten bis mittelgradigen Demenz. Mit notarieller Urkunde vom 02.10.2014 erteilte er den Beteiligten (im Folgenden: Bevollmächtigte) eine Vorsorgevollmacht, die jeden der Bevollmächtigten jeweils zur Einzelvertretung berechtigte. Ende Januar 2015 glaubten Mitarbeiter der Seniorenberatung des zuständigen Landkreises bei einem Hausbesuch anhand von Kontoauszügen auf einem Konto des Betroffenen einen Fehlbetrag von 59.000 Euro festgestellt zu haben. Hierauf wurde beim zuständigen Amtsgericht die Einleitung eines Betreuungsverfahrens angeregt.
Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen, der mit der Bestellung eines Kontrollbetreuers einverstanden war, hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 24.02.2015 eine Berufsbetreuerin mit dem Aufgabenkreis „Wahrnehmung der Rechte des Betroffenen gegenüber den Bevollmächtigten“ bestellt. Mit Beschluss vom 27.02.2015 hat das Amtsgericht den Aufgabenkreis um die Entgegennahme und das Öffnen der Post, insbesondere unter Ausschluss der Bevollmächtigten erweitert. Zwischenzeitlich hatte sich auch der Verdacht ergeben, dass die Bevollmächtigten den Betroffenen dazu bestimmt hätten, sie durch notarielles Testament vom 20.02.2015 als Erben einzusetzen. Hierauf beantragte die Betreuerin eine neuerliche Erweiterung des Aufgabenkreises um die Berechtigung, Auskünfte über die vom Betroffenen vorgenommene Beurkundungstermine einzuholen. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 05.03.2015 dem Antrag der Betreuerin entsprochen.
Der Betroffene hat gegen die drei amtsgerichtlichen Beschlüsse Beschwerden eingelegt. Das Landgericht hat diese zurückgewiesen. Der BGH hat der hiergegen eingelegten Rechtsbeschwerde stattgegeben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
Nach Auffassung des BGH enthält der angefochtene Beschluss des Landgerichts keinerlei Feststellungen dazu, ob die vom Betroffenen mit den Beschwerden erklärte Ablehnung der Betreuerbestellung auf einem freien Willen i.S.d. § 1896 Abs. 1a BGB beruht. Gegen den freien Willen eines Volljährigen dürfe ein Betreuer gemäß § 1896 Abs. 1a BGB nicht bestellt werden. Dabei sei der Begriff der freien Willensbestimmung i.S.d. § 1896 Abs. 1a BGB im Prinzip mit dem des § 104 Nr. 2 BGB deckungsgleich. Entscheidende Kriterien für eine freie Willensbestimmung sind nach Ansicht des BGH zum einen die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen sowie dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Soweit es an einer dieser beiden Voraussetzungen fehle, liege kein freier, sondern nur ein natürlicher Wille vor. Eine Befassung mit dieser Frage sei zwingend erforderlich, wenn ein Betroffener Beschwerde gegen die Betreuerbestellung eingelegt habe und so zu erkennen gegeben habe, dass er mit der Anordnung der Betreuung nicht mehr einverstanden sei. Soweit ein ärztlicher Sachverständiger dem Betroffenen „grenzwertige“ Geschäftsunfähigkeit attestiere, müsse eine Würdigung dieser Feststellung auch im Zusammenhang mit den Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1a BGB erfolgen. Im Übrigen reiche die Feststellung, dass von „grenzwertiger“ Geschäftsunfähigkeit auszugehen sei, nicht aus, um auf ein Fehlen eines freien Willens i.S.d. § 1896 Abs. 1a BGB zu schließen.
Gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 FamFG soll der in einem Betreuungsverfahren mit der Erstellung des Gutachtens beauftragte Sachverständige ein Arzt für Psychiatrie oder ein Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein. Soweit sich die Qualifikation des Gutachters nicht ohne weiteres aus der Fachbezeichnung des Arztes ergebe, müsse seine Sachkunde vom Gericht geprüft und in der Entscheidung dargelegt werden (so bereits BGH, Beschl. v. 07.08.2013 – XII ZB 188/13 und BGH, Beschl. v. 16.05.2012 – XII ZB 454/11). Zwar lasse § 281 Abs. 1 Nr. 2 FamFG grundsätzlich ein ärztliches Zeugnis genügen, wenn ein Betreuer nur zur Geltendmachung von Rechten des Betroffenen gegenüber seinem Bevollmächtigten bestellt werde. Wenn aber darüber hinaus unabhängig von seiner Erforderlichkeit ein Sachverständigengutachten eingeholt werde, so müsse dieses auch den Anforderungen des § 280 FamFG genügen (so bereits BGH, Beschl. v. 07.08.2013 – XII ZB 188/13).
Daneben hätte das Beschwerdegericht von einer erneuten Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren nicht absehen dürfen. Der BGH führt hierzu aus, dass eine Anhörung im Beschwerdeverfahren immer dann erforderlich sei, wenn von ihr neue Erkenntnisse i.S.d. § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG zu erwarten sind. Dies sei in der Regel dann der Fall, wenn der Betroffene an seinem in der amtsgerichtlichen Anhörung erklärten Einverständnis mit der Betreuung im Beschwerdeverfahren nicht mehr festhält (so bereits BGH, Beschl. v. 24.06.2015 – XII ZB 98/15).

C. Kontext der Entscheidung

Mit der vorstehenden Entscheidung bestätigt der BGH seine bisherige Rechtsprechung, insbesondere BGH, Beschl. v. 14.10.2015 – XII ZB 177/15, BGH, Beschl. v. 07.08.2013 – XII ZB 188/13, BGH, Beschl. v. 16.05.2012 – XII ZB 454/11 und BGH, Beschl. v. 24.06.2015 – XII ZB 98/15. Darüber hinaus besitzt die Entscheidung vor allem verfahrensrechtliche Relevanz. Der BGH stellt klar, dass die Sachkunde des tätigen ärztlichen Gutachters vom Gericht zu überprüfen und darzulegen ist, falls sich diese nicht ohne weiteres aus der Fachbezeichnung des Arztes ergibt.
Selbst wenn ein ärztliches Sachverständigengutachten an sich nicht erforderlich ist, muss dieses den formalen Anforderungen des § 280 FamFG genügen, wenn trotz Entbehrlichkeit ein solches Gutachten eingeholt wird.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der BGH gibt den mit der Überprüfung von Betreuungsumständen befassten Bevollmächtigten mit dieser Entscheidung weitere Prüfkriterien an die Hand, insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an vorgelegte bzw. eigeholte ärztliche Stellungnahmen.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Unter Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung (BGH, Beschl. v. 23.09.2015 – XII ZB 624/14; BGH, Beschl. v. 16.07.2014 – XII ZB 142/14) weist der BGH darauf hin, dass Bedenken gegen die Redlichkeit der Bevollmächtigten jedenfalls dann bestehen, wenn diese den Betroffenen gegen seinen Willen zu einer Testierung zu ihren Gunsten bestimmt hätten. Denn ein solches Verhalten weise darauf hin, dass die Bevollmächtigten nicht mehr entsprechend der Vereinbarung und dem Interesse des Betroffenen handeln, sodass die Einrichtung einer Kontrollbetreuung geboten sei.