Nachfolgend ein Beitrag vom 11.10.2016 von Götsche, jurisPR-FamR 21/2016 Anm. 4

Leitsatz

Der ehebedingte Erwerbsnachteil des unterhaltsberechtigten Ehegatten begrenzt regelmäßig die Herabsetzung seines nachehelichen Unterhaltsanspruchs gemäß § 1578b Abs. 1 BGB. Dieser Nachteil ist nicht hälftig auf beide geschiedenen Ehegatten zu verteilen, sondern in voller Höhe zugunsten des Unterhaltsberechtigten zu berücksichtigen.

A. Problemstellung

Soweit ehebedingte Nachteile bei dem Unterhaltsberechtigten bestehen, ist in diesem Umfang Unterhalt zu zahlen. Entsteht aber dadurch zugleich ein ehebedingter Nachteil auf Seiten des Unterhaltspflichtigen? Muss deshalb der ehebedingte Nachteil des Unterhaltsberechtigten hälftig zwischen den Ehegatten aufgeteilt werden?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Beteiligten hatten einen Vergleich über die Zahlung von monatlich 610 Euro nachehelichen Unterhalt vom Antragsteller an die Antragsgegnerin geschlossen. Im Vergleich war geregelt, dass dies weder eine abschließende Regelung darstelle noch eine Befristung enthalten sei und bei einem Abänderungsantrag die dann geltenden Einkommensverhältnisse der Beteiligten zugrunde zu legen seien. Der Antragsteller begehrt die Abänderung des Vergleichs auf Null. Er verdient monatlich netto rd. 3.000 Euro. Die Ehefrau ist gelernte Bürokauffrau und könnte in diesem Beruf aktuell rd. 1.300 Euro netto erzielen. Bei Fortsetzung dieser Tätigkeit ohne Geburt des gemeinsamen Kindes wäre ihr voraussichtlicher Monatsverdienst rd. 1.780 Euro.
Der BGH sieht im Einklang mit dem OLG Düsseldorf (Urt. v. 29.01.2015 – II-9 UF 96/14) den abgeänderten Unterhalt bei monatlichen 480 Euro im Umfange des ehebedingten Nachteils (1.780 Euro abzgl. 1.300 Euro) der Ehefrau. Er folgt damit nicht der Ansicht, den ehebedingten Nachteil des Unterhaltsberechtigten hälftig zwischen den Unterhaltsparteien aufzuteilen (Kieninger, FamRZ 2013, 1355; Schausten, FF 2011, 243). § 1578b Abs. 1 Satz 1 BGB sehe für die Bemessung des angemessenen Bedarfs des Unterhaltsberechtigten eine Berücksichtigung ehebedingter Nachteile des Unterhaltspflichtigen nicht vor, sondern stelle allein darauf ab, wie der Unterhaltsberechtigte ohne die gelebte Ehe bzw. Kindererziehung stünde, so dass dessen ehebedingte Erwerbsnachteile den Umfang der Herabsetzung begrenzten. Bei hälftiger Aufteilung dieser Nachteile würden dem Unterhaltsberechtigten dagegen nicht die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, um seinen eigenen angemessenen Lebensbedarf zu decken. Die Pflicht zur Zahlung nachehelichen Unterhalts sei eine von Gesetzes wegen an die Scheidung geknüpfte Rechtsfolge, die nicht die Einkunftserzielung, sondern die Verteilung des Einkommens beträfe. Der Gedanke der Nachteilshalbierung stütze sich auf den Zirkelschluss, bei der Ermittlung des Unterhaltsanspruchs eben diesen Anspruch als Bemessungsfaktor zu berücksichtigen.

C. Kontext der Entscheidung

§ 1578b BGB setzt das Bestehen eines Anspruchs auf nachehelichen Unterhalt voraus. Dieser Anspruch bemisst sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Erst wenn dieser Anspruch festgestellt ist, ermöglicht § 1578b BGB (neben einer Befristung) die Herabsetzung des Unterhalts, indem die Bedarfsbemessung von den ehelichen Lebensverhältnissen gelöst und stattdessen auf den angemessenen Lebensbedarf abgestellt wird. Erst an dieser Stelle wird die Frage ehebedingter Nachteile relevant. Der ehebedingte Nachteil begrenzt dann den nach den ehelichen Lebensverhältnissen bestehenden Unterhalt, ist aber nicht hälftig zu verteilen. Der Gedanke der Nachteilshalbierung würde zudem versagen, wenn der Unterhaltsberechtigte als Folge der in der Ehe praktizierten Rollenverteilung nach der Scheidung nicht mehr in der Lage ist, ein sein Existenzminimum sicherndes Einkommen zu erzielen. Zudem kann die Berücksichtigung eines ehebedingten Erwerbsnachteils des Unterhaltsberechtigten nie dazu führen, dass diesem ein höherer Unterhaltsanspruch als nach den ehelichen Lebensverhältnissen zuzuerkennen ist.
Der BGH stellt zudem klar, dass nach § 1578b Abs. 3 BGB stets auch eine Kombination aus Herabsetzung und Befristung in Betracht zu ziehen ist. Der Tatrichter könne bei der im Einzelfall zu treffenden Entscheidung im Wege einer teilweisen zeitlichen Begrenzung zu dem Ergebnis gelangen, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch ein Unterhalt zu zahlen ist, der den angemessenen Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten nicht vollständig abdeckt.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die teilweise vertretene Halbierung des ehebedingten Nachteils hat sich mit der BGH-Entscheidung erledigt. Der ehebedingte Nachteil ist grundsätzlich in vollem Umfang auszugleichen. Die ehebedingten Nachteile müssen angesichts der Möglichkeit „Herabsetzung/Befristung/Kombination von beidem“ aber nicht dauerhaft in voller Höhe ausgeglichen werden (je nach Lage des Falles könnte man also hier z.B. zunächst die vollen 480 Euro, dann z.B. nach zwei Jahren noch 240 Euro und nach weiteren zwei Jahren keinen Unterhalt mehr zuweisen). Den Gerichten bleibt hier viel Spielraum, was aber für die Beteiligten zu einem hohen Unsicherheitsfaktor bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs führt.