Nachfolgend ein Beitrag vom 2.2.2016 von Stockmann, jurisPR-FamR 3/2016 Anm. 5

Leitsätze

1. Der Anspruch des Kindes auf Herausgabe seiner persönlichen Unterlagen (hier: Impfpass und Untersuchungsheft) gegen einen Elternteil beruht auf §§ 1601, 1610 Abs. 2 BGB analog.
2. Es handelt sich gleichwohl um keine eigentliche Unterhaltssache, sondern um eine sonstige Familiensache, mit der ein Anspruch aus dem Eltern-Kind-Verhältnis geltend gemacht wird.
3. Leben die Eltern getrennt, kann der Anspruch durch den Obhutselternteil in gesetzlicher Verfahrensstandschaft analog § 1629 Abs. 3 BGB geltend gemacht werden.
4. Auf das Eigentum an den Unterlagen kommt es im Elternstreit nicht an.

A. Problemstellung

In welchem Verfahren und unter welchen Voraussetzungen kann die Herausgabe von persönlichen Gegenständen des Kindes im Verhältnis zwischen den gemeinsam sorgeberechtigten Elternteilen verlangt werden?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Nach der Trennung seiner noch verheirateten und gemeinsam sorgeberechtigten Eltern verblieb das Kind bei der Mutter. Diese begehrte vom Vater den Impfpass des Kindes und das Untersuchungsheft, in dem die Ergebnisse der Vorsorgeuntersuchungen eingetragen sind. Da der Vater die Herausgabe mit dem Argument verweigerte, es bestehe keine Notwendigkeit, beantragte die Mutter beim Familiengericht die „Verurteilung“ des Vaters zur Herausgabe der Unterlagen. Das Amtsgericht hat das Begehren als Verfahren zur elterlichen Sorge geführt, jedoch eine Güteverhandlung durchgeführt und ist in das streitige Verfahren eingetreten. Letztlich hat es den Antragsgegner verpflichtet, Impfpass und Untersuchungsheft an die Antragstellerin herauszugeben und begründete dies damit, es handle sich hierbei um Haushaltsgegenstände gemäß § 1361a BGB. Es entspreche der Billigkeit, der Mutter, bei der das Kind momentan lebe, auch die hierfür erforderlichen Unterlagen und Urkunden zur Verfügung zu stellen. Hiergegen wendet sich der Vater mit seiner Beschwerde.
Das OLG Nürnberg hält das Rechtsmittel für zulässig, aber nicht begründet. Die strittigen Gegenstände dienten nicht in wesentlicher Weise auch der Wahrung wirtschaftlicher Belange, deswegen liege eine nicht vermögensrechtliche Streitigkeit vor. Eine Mindestbeschwer nach § 61 Abs. 1 FamFG sei damit nicht erforderlich.
Ausdrückliche Regelungen für derartige Gegenstände habe der Gesetzgeber nicht getroffen. Sie seien aber jedenfalls nicht als Haushaltsgegenstände der Eltern zu qualifizieren, vielmehr handle es sich um zum persönlichen Gebrauch des Kindes bestimmte Gegenstände. Teilweise werde die Auffassung vertreten, eine Anspruchsgrundlage lasse sich aus der extensiven Auslegung von § 1632 Abs. 1 BGB gewinnen. Hieraus ließe sich jedoch eine Regelung im Streit gemeinsam sorgeberechtigter Eltern allenfalls mittelbar (über § 1687 Abs. 1 BGB) ableiten. Das OLG Nürnberg entscheidet sich für die Auffassung, das Begehren sei als Annex zum Unterhaltsanspruch nach den §§ 1601, 1610 Abs. 2 BGB geltend zu machen. Betroffen seien elementare Bedürfnisse des Kindes.
Verfahrensrechtlich handle es sich gleichwohl um keine Unterhaltssache, sondern um eine sonstige Familiensache, mit der ein Anspruch aus dem Eltern-Kind-Verhältnis (§ 266 Abs. 1 Nr. 4 FamFG) geltend gemacht wird.
In der Sache hält das Oberlandesgericht das Begehren ebenfalls für begründet: Die fraglichen Unterlagen stünden dem Kind zu. Die Eigentumsverhältnisse an den Unterlagen seien im Elternstreit ohne Bedeutung. Unter den in § 1629 Abs. 3 BGB genannten Voraussetzungen habe der Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind befindet, den Anspruch in gesetzlicher Verfahrensstandschaft geltend zu machen.
Da die Problematik noch nicht abschließend geklärt, aber von grundsätzlicher Bedeutung ist, hat das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zugelassen.

C. Kontext der Entscheidung

In Trennungssituationen werden Meinungsverschiedenheiten der (gewesenen) Partner über die ihnen – vermeintlich – zustehenden Ansprüche bekanntermaßen oft verbissen und fern von rationalen Erwägungen ausgetragen. Bei vielen Streitpunkten lässt sich eine gerichtliche Auseinandersetzung dadurch vermeiden, dass anwaltliche Berater die gesetzliche Regelung verdeutlichen.
Wenn es beim Streit von Eltern aber darum geht, wem von ihnen künftig der Besitz der persönlichen Gegenstände des Kindes zustehen soll, versagt dieser Lösungsansatz: Der Gesetzgeber hat zwar vor 40 Jahren einmal eine gesetzliche Regelung erwogen, dann aber – ohne Begründung – davon abgesehen (vgl. Peschel-Gutzeit, MDR 1984, 890).
Auf der Suche nach einer materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlage wird, wie das OLG Nürnberg darstellt, die „extensive Auslegung“ der §§ 1632, 1687 BGB einerseits oder der §§ 1601, 1610 BGB andererseits vertreten. Beide (analoge) Herleitungen sind gleichermaßen fernliegend und unbefriedigend, so dass eine Entscheidung zwischen ihnen schwerfällt.
Am ehesten gelingt noch die verfahrensrechtliche Qualifizierung: Denn mit dem in § 266 Abs. 1 Nr. 4 FamFG erwähnten Anspruch aus dem Eltern-Kind-Verhältnis hat der Gesetzgeber eine Zuordnung zu den „sonstigen Familiensachen“ ermöglicht, die angemessen und brauchbar erscheint. Sie wird auch überwiegend von der Literatur vorgenommen (vgl. z.B. Brudermüller in: Palandt, BGB, 75. Aufl. 2016, § 1361a Rn. 20; Giers, FamRB 2009, 176; Stockmann, jurisPR-FamR 8/2009 Anm. 2; anders [Zuordnung zu den Kindschaftsverfahren] Götz in: Palandt, BGB, 77. Aufl. 2016, § 1632 Rn. 7).
Die mangels gesetzlicher Regelung erforderlich gewordene Anwendung an sich nicht passender materiell-rechtlicher Vorschriften darf aber nicht automatisch auf verfahrensrechtlicher Seite beibehalten werden. Denn das geschriebene Verfahrensrecht ermöglicht eine passende Zuordnung.
Es wird nämlich nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt, dass zu den aus dem „Eltern-Kind-Verhältnis“ herrührenden Ansprüchen auch solche gehören, die zwischen den beiden Elternteilen geltend gemacht werden (vgl. Heiter in: Prütting/Helms, FamFG, 3. Aufl. 2014, § 266 Rn. 57; Giers in: Keidel, FamFG, 18. Aufl. 2014, § 266 Rn. 18).
Damit steht für die verfahrensmäßige Behandlung auch fest, dass das Verfahren eine Familienstreitsache ist (§ 112 Nr. 3 FamFG) und dass deswegen über § 113 Abs. 1 FamFG grundsätzlich die Verfahrensprinzipien der ZPO Anwendung finden. Für die Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung ergibt sich daraus, dass die Vollstreckungsnormen der ZPO direkt anwendbar sind und es nicht des Umwegs über § 95 Abs. 1 Nr. 2 FamFG bedarf.
Weiter muss man sich – wie das OLG Nürnberg – klarmachen, dass die Einordnung als Familienstreitsache nicht automatisch dazu führt, auch bei der Prüfung des Beschwerdewertes eine „vermögensrechtliche Angelegenheit“ anzunehmen. Familienstreitsachen können auf nichtvermögensrechtliche Ansprüche gerichtet sein, ebenso können vermögensrechtliche Ansprüche in Nichtstreitverfahren geltend gemacht werden (anders aber Meyer-Holtz in: Keidel, FamFG, § 61 Rn. 3).

D. Auswirkungen für die Praxis

Wenngleich die Fragestellung in verfahrensrechtlicher Hinsicht mit dem geltenden Recht einigermaßen befriedigend gelöst werden kann, bleibt es wünschenswert, dass der Gesetzgeber auch für materiell-rechtliche Klarheit sorgt. Die Auffassung des OLG Nürnberg, die fraglichen Unterlagen sollten in der Hand desjenigen Elternteils sein, der die Obhut für das Kind ausübt, erscheint überzeugend. Allerdings könnte die weitere Schlussfolgerung des Gerichts, der Herausgabeanspruch müsse (wegen der analogen Anwendung der Unterhaltsnormen) gegebenenfalls im Wege der gesetzlichen Verfahrensstandschaft nach § 1629 Abs. 3 BGB geltend gemacht werden, auch anders beantwortet werden.
Bis zu einer ausdrücklichen Regelung sollte der anwaltliche Berater aber von der Anwendbarkeit dieses Instituts ausgehen: Sind die Eltern (noch) miteinander verheiratet, hat der Elternteil, der das Kind in Obhut hat, das Herausgabebegehren im eigenen Namen geltend zu machen. Die theoretisch dadurch ermöglichte Einbeziehung des Begehrens in ein Scheidungsverbundverfahren erscheint aber nicht sinnvoll: Die persönlichen Gegenstände werden regelmäßig nicht erst für den Fall der Scheidung begehrt, sondern bereits während der Trennungszeit der Eltern benötigt.