Nachfolgend ein Beitrag vom 24.10.2017 von Henn, jurisPR-FamR 21/2017 Anm. 8
Orientierungssätze
1. Die Entscheidung für die gemeinsame elterliche Sorge setzt die Feststellung voraus, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl entspricht.
2. Liegen Umstände vor, welche eine Kindeswohlgefährdung als möglich erscheinen lassen, ist der Sachverhalt vom Familiengericht umfassend und ergebnisoffen aufzuklären. Dabei ist regelmäßig eine Anhörung auch eines unter 14jährigen Kindes notwendig.
3. Ein nachhaltiger und tiefgreifender Elternkonflikt kann zur Folge haben, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl widerspricht. Die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus.
4. Unerheblich ist, auf welchen Elternteil die Konflikte und die fehlende Kooperationsmöglichkeit zurückzuführen sind. Selbst wenn die Mutter den überwiegenden Teil der Verantwortung dafür tragen würde, würde dies die Anordnung einer gemeinsamen Sorge nicht rechtfertigen.
5. Der Anordnung einer gemeinsamen Sorge steht auch entgegen, wenn zwischen Vater und Kind seit über zwei Jahren kein Kontakt besteht. Eine verantwortliche Entscheidung im Interesse des Kindes ist kaum denkbar, wenn dessen Interessen und Wünsche mangels Kontakt nicht bekannt sind.
A. Problemstellung
Wie wirkt sich besonders nachhaltiges und tiefgreifendes Konfliktpotential zwischen den Elternteilen auf die Überlegung aus, das gemeinsame Sorgerecht auszuüben? Beeinflusst die Frage, welcher Elternteil den überwiegenden Teil der Meinungsverschiedenheiten hervorruft, die Entscheidung?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Verfahrensbeteiligten haben sich wenige Tage nach der Geburt des gemeinsamen Kindes getrennt, die Mutter übte die elterliche Sorge alleine aus, der Vater hatte bereits zweieinhalb Jahre vor Antragstellung das letzte Mal Kontakt zu dem gemeinsamen Kind. In der Vergangenheit wurden bereits diverse familiengerichtliche Verfahren durchgeführt, teils den Umgang, teils das Sorgerecht betreffend.
Erstinstanzlich wurde dem Kindesvater im Einklang mit den Ausführungen des Sachverständigen, der Verfahrensbeiständin und des Jugendamts auch das Sorgerecht übertragen, da beide Elternteile erziehungsgeeignet seien und die Übertragung der elterlichen Sorge auch auf den Kindesvater trotz des unbestrittenen Konfliktpotentials dem Kindeswohl nicht schade.
Hiergegen wandte sich die Kindesmutter erfolgreich mit der der Entscheidung zugrunde liegenden Beschwerde.
Das KG ist der Auffassung, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die gemeinsame elterliche Sorge nicht vorliegen, da das Verhältnis der Eltern so von Konflikten geprägt ist, dass ein Mindestmaß an Übereinstimmung, welches für die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge zwingend vonnöten ist, nicht erreicht werden kann. Es führe zu einer zusätzlichen Belastung des Kindes, wenn man nun auch noch die Eltern zur Ausübung der gemeinsamen Sorge zwingen würde. Dabei ist es nach Auffassung des KG auch nicht entscheidend, welches Elternteil in der Vergangenheit für Konflikte gesorgt hat und eine adäquate Kommunikation vereitelt hat, denn die Anordnung der gemeinsamen elterlichen Sorge dürfe insofern nicht als Sanktionsmittel verwendet werden. Vielmehr müsse das Kindeswohl vorrangig im Auge behalten werden. Nur die tatsächliche Erfüllung der Pflicht zur Konsensfindung sei dem Kindeswohl dienlich, nicht alleine das Bestehen der Pflicht, welche in der Realität oftmals nicht umgesetzt werden könne. Darüber hinaus habe das Gericht vorliegend in seine Entscheidung miteinbezogen, dass der Kindesvater über zwei Jahre keinerlei Kontakt zu seinem Kind hatte, sodass eine verantwortliche Entscheidung im Interesse des Kindes mangels entsprechender Kenntnis der Wünsche und Erwartungen des Kindes auch aus diesen Gründen nicht möglich sei.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des KG verdeutlicht einmal mehr, dass ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, welches einen Vorrang oder eine Vermutung zugunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge begründet, im Gesetz keine Stütze findet und orientiert sich damit an der herrschenden Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschl. v. 15.06.2016 – XII ZB 419/15 – NJW 2016, 2497). Die gemeinsame elterliche Sorge kann nur dann ausgeübt werden, das heißt auch nur dann auf den sie beantragenden Elternteil übertragen werden, wenn keine Gründe vorliegen, die hiergegen sprechen. In § 1671 Abs. 1 BGB findet sich dies positiv formuliert wieder, in § 1626a Abs. 2 BGB negativ formuliert. Für die Aufhebung der elterlichen Sorge oder aber auch für die Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist entscheidend, ob wenigstens ein Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Elternteile vorhanden ist und ob die Pflicht zur Erfüllung der Konsensfindung erfüllt werden kann. Kann die gemeinsame elterliche Sorge in der Praxis nicht ausgeübt werden, da tatsächlich keinerlei Konsensmöglichkeit oder erhebliche Kommunikationsschwierigkeiten bestehen, ist die Alleinsorge im Hinblick auf das Kindeswohl vorzuziehen.
D. Auswirkungen für die Praxis
Möchte man dem Antrag auf Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegentreten, sollten die Gründe, die der Übertragung entgegenstehen könnten, unbedingt vorgetragen werden. § 1626a Abs. 2 Satz BGB formuliert nämlich die Vermutung dafür, dass die Übertragung der gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl entspricht, wenn die sich gegen den Antrag stellende Seite keine entgegenstehenden Gründe vorträgt. Hierbei ist es ausreichend, dass konkrete Umstände dargelegt werden, aus denen sich ergibt, dass zwischen den Eltern schon in der Vergangenheit gravierende Kommunikationsdefizite bestanden oder aber auch, dass zu befürchten ist, dass auch zukünftig keine Einigung gefunden werden wird, sei es aus Gründen der fehlenden Kooperation oder aber aufgrund der Tatsache, dass schon lange kein Umgang mehr zwischen AntragstellerIn und Kind besteht.
Ratsam ist in solchen Fällen, Umgangskontakte herzustellen, in denen sich das Elternteil, das die Übertragung der gemeinsamen Sorge auch auf ihn begehrt, dem Kind wieder annähert und von Wünschen, Interessen und Einstellungen des Kindes überhaupt erst Kenntnis erlangt. In Fällen der Kommunikationsschwierigkeiten bietet sich die Durchführung von Kommunikationstrainings an, die von Lebensberatungsstellen durchgeführt werden.
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