Nachfolgend ein Beitrag vom 18.7.2017 von Herberger, jurisPR-FamR 14/2017 Anm. 2

Leitsätze

1. Überlassen Eltern ihrem minderjährigen Kind ein digitales „smartes“ Gerät (z.B. Smartphone) zur dauernden eigenen Nutzung, so stehen sie in der Pflicht, die Nutzung dieses Geräts durch das Kind bis zu dessen Volljährigkeit ordentlich zu begleiten und zu beaufsichtigen.
2. Verfügen die Eltern selbst bislang nicht über hinreichende Kenntnisse von „smarter“ Technik und über die Welt der digitalen Medien, so haben sie sich die erforderlichen Kenntnisse unmittelbar und kontinuierlich anzueignen, um ihre Pflicht zur Begleitung und Aufsicht durchgehend ordentlich erfüllen zu können.
3. Wer den Messenger-Dienst „WhatsApp“ nutzt, übermittelt nach den technischen Vorgaben des Dienstes fortlaufend Daten in Klardaten-Form von allen in dem eigenen Smartphone-Adressbuch eingetragenen Kontaktpersonen an das hinter dem Dienst stehende Unternehmen. Wer durch seine Nutzung von „WhatsApp“ diese andauernde Datenweitergabe zulässt, ohne zuvor von seinen Kontaktpersonen aus dem eigenen Telefon-Adressbuch hierfür jeweils eine Erlaubnis eingeholt zu haben, begeht gegenüber diesen Personen eine deliktische Handlung und begibt sich in die Gefahr, von den betroffenen Personen kostenpflichtig abgemahnt zu werden.
4. Nutzen Kinder oder Jugendliche unter 18 Jahren den Messenger-Dienst „WhatsApp“, trifft die Eltern als Sorgeberechtigte die Pflicht, ihr Kind auch im Hinblick auf diese Gefahr bei der Nutzung des Messenger-Dienstes aufzuklären und die erforderlichen Schutzmaßnahmen im Sinne ihres Kindes zu treffen.

A. Problemstellung

Die mit der Nutzung von WhatsApp verbundenen datenschutzrechtlichen Probleme haben nunmehr das Familienrecht erreicht. Während sich das AG Bad Hersfeld in einer ersten Entscheidung vom 22.07.2016 (361/16 EASO) mit einer speziellen Konstellation beschäftigt hatte, in der Kinder mit „Sexting“ belästigt wurden, äußert sich das Gericht nunmehr generell zur elterlichen Aufsichtspflicht im Zusammenhang mit der Nutzung des Messenger-Dienstes WhatsApp. Der außerordentlich umfangreich begründete Beschluss geht in 208 Randnummern auf vielfältige datenschutzrechtliche Probleme ein, die in eine Prüfung von § 1666 Abs. 1 BGB eingebettet sind.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der 10 1/4 Jahre alte Sohn der geschiedenen Kindeseltern lebt bei seiner Mutter. Mit seinem Vater hat er an den Wochenenden in regelmäßigen Abständen Umgang. Die Mutter beantragte eine striktere Regelung des Umgangs mit dem Kindesvater. In Rahmen dieses Umgangsverfahrens ließ der Sohn verlautbaren, dass sein Vater ihn in der Messenger-App WhatsApp blockiert habe, sodass er ihn außerhalb der Umgangszeiten auf diesem Wege nicht erreichen könne. Daraufhin hat das AG Bad Hersfeld die Nutzung digitaler Dienste durch das Kind näher analysiert und Auflagen nach § 1666 Abs. 1 BGB getroffen.
Das AG Bad Hersfeld hat eine Gefahr für das Vermögen des Kindes gesehen. Durch die praktizierte Nutzung von WhatsApp bestehe die Gefahr, dass das Kind abgemahnt und zur Unterlassung aufgefordert werden könne, weil es als aktiver Nutzer der App kontinuierlich Datensätze von anderen Personen aus dem Adressbuch an die Betreiber von WhatsApp in die USA übertrage, ohne dazu befugt zu sein. In diesem Zusammenhang hat das Amtsgericht in umfangreicher Art und Weise die datenschutzrechtliche Problematik der Nutzung von WhatsApp dargestellt und die technischen Hintergründe, indem Vergleiche zu Sachverhalten aus der analogen Welt gezogen werden („[…] als würde der Nutzer sein Mobiltelefon an eine andere Person aushändigen, und diese andere Person dann das Adressbuch/Kontakteverzeichnis des Mobiltelefons mit Zustimmung des Telefonbesitzers frei aufrufen dürfen und daraus alle dort eingetragenen Namen und Telefonnummern im Klartext abschreiben“) veranschaulicht. Das Gericht hat dabei ausführlich Stellung zu datenschutzrechtlichen Streitfragen genommen, wie beispielsweise zur Diskussion, ob die §§ 27 ff. BDSG bei der Nutzung von WhatsApp einschlägig sei.
Auf dieser Grundlage hat das Gericht sinngemäß folgende Auflagen getroffen:
Die Kindesmutter wird verpflichtet,
– von allen Personen, die im Adressbuch des Handys ihres Sohnes verzeichnet sind, eine schriftliche Zustimmungserklärung mit der Speicherung einzuholen. Dabei muss sich die Zustimmung auch auf die konkrete Form der Speicherung beziehen (Vor- und/oder Nachname, Pseudonym, …);
– die Einholung der Zustimmungserklärungen dem Gericht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Beschlusses nachzuweisen;
– mindestens einmal monatlich Gespräche mit ihrem Sohn über die Handy-Nutzung zu führen, insbesondere über die gespeicherten Kontakte und dabei das Adressbuch selbst in Augenschein zu nehmen;
– dem Gericht zu näher genannten Daten schriftlich mitzuteilen, welcher neuere Stand sich in Bezug auf die Gespräche mit ihrem Sohn ergeben hat;
– sich auf der Internetplattform „Klicksafe“ über die digitale Mediennutzung weiterzubilden;
– WhatsApp von dem Handy ihres Sohnes zu löschen, wenn sie zu bestimmten Stichtagen nicht hinsichtlich aller im Adressbuch verzeichneten Kontakte eine schriftliche Zustimmungserklärung zur Speicherung nachweisen kann.

C. Kontext der Entscheidung

Das AG Bad Hersfeld hat sich – eigenen Aussagen zufolge – bereits in „diversen Fällen“ mit der Nutzung von WhatsApp beschäftigt. Eine besondere Öffentlichkeitswirksamkeit hat dabei der Fall des Sexting erfahren (AG Bad Hersfeld, Beschl. v. 22.07.2016 – 361/16 EASO m. Anm. Herberger, FuR 2016, 727), bei dem es sich wohl um die erste (veröffentlichte) Entscheidung handelte, in der ein Gericht – gestützt auf § 1666 Abs. 1 BGB – Maßnahmen hinsichtlich der Messenger-Nutzung auf Handys von Kindern trifft. In dieser Entscheidung ging es um die Frage, wie Eltern reagieren müssen, wenn ihre minderjährigen Kinder über den Messenger-Dienst „WhatsApp“ sexuell durch Dritte belästigt werden.
Nach der hier besprochenen Entscheidung aus dem März 2017 hat sich das AG Bad Hersfeld im Mai 2017 in nochmals gesteigerter Ausführlichkeit wiederum mit der Nutzung von WhatsApp durch Kinder bzw. Jugendliche unter 18 Jahre beschäftigt (AG Bad Hersfeld, Beschl. v. 15.05.2017 – F 120/17 EASO – Herberger, jurisPR FamR 14/2017 Anm. 3, in dieser Ausgabe).

D. Auswirkungen für die Praxis

Der Entscheidung des AG Bad Hersfeld liegt ein berechtigtes Anliegen zugrunde. Die Nutzung digitaler Dienste muss zum Schutze Minderjähriger pädagogisch begleitet werden. Gleichzeitig darf aber nicht die Praktikabilität vorgeschlagener Lösungen aus dem Auge verloren werden. Als Beispiel dafür kann der vom AG Bad Hersfeld angesprochene Gedanke der digitalen sozialen Isolation herangezogen werden. Die vom Gericht vorgeschlagene Nutzung einer anderweitigen Messenger-App, die mit dem geltenden Datenschutzrecht im Einklang steht, hilft Kindern nicht, wenn ihre Freunde diese App nicht installiert haben und kann gerade in die soziale Isolation führen, die das Gericht vermeiden will.
Für die Praxis bleibt – wie vom AG Bad Hersfeld angedeutet – die Frage zu klären, wie die in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von WhatsApp vorgesehene Altersgrenze von 13 Jahren („Du musst mindestens 13 Jahre alt sein, um unsere Dienste zu nutzen [bzw. so alt, wie es in deinem Land erforderlich ist, damit du berechtigt bist, unsere Dienste ohne elterliche Zustimmung zu nutzen].“) zu verstehen ist. Sollte diese Altersgrenze nämlich absolut gemeint sein – also selbst bei Zustimmung durch die Personensorgeberechtigten nicht unterschritten werden kann – bedürfte es bei unter 13-Jährigen keine umfassenden, auf § 1666 Abs. 1 BGB gestützten Auflagen (mehr). Vielmehr wäre jede Auflage, mit der die Nutzung von WhatsApp reguliert würde, auf ein AGB-widriges Ziel gerichtet.
Insgesamt muss sich die Praxis darauf einstellen, dass im Rahmen von § 1666 Abs. 1 BGB umfangreiche datenschutzrechtliche Fragen und eine mögliche Gefährdung des Kindesvermögens durch auf Datenschutzverstöße bezogene Abmahnungen zu prüfen sind.

Familiengerichtliche Maßnahmen bei Überlassen eines Smartphones an Minderjährige und WhatsApp-Nutzung (
Denise HübenthalRechtsanwältin
  • Fachanwältin für Familienrecht
  • Fachanwältin für Erbrecht
  • Wirtschaftsmediatorin (MuCDR)
Familiengerichtliche Maßnahmen bei Überlassen eines Smartphones an Minderjährige und WhatsApp-Nutzung (
Thomas HansenRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Steuerrecht
  • Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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