Nachfolgend ein Beitrag vom 15.3.2016 von Clausius, jurisPR-FamR 6/2016 Anm. 3

Orientierungssätze

1. Da bei besonders günstigen Einkommensverhältnissen die Vermutung naheliegt, dass nicht sämtliche Einkünfte für den Lebensunterhalt eingesetzt werden, sondern ein Teil der Vermögensbildung zugeführt wird, hat das Einkommen für die Unterhaltsbemessung grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, weshalb in derartigen Fällen eine konkrete Bedarfsbemessung vorzunehmen ist (Anschluss BGH, Urt. v. 30.11.2011 – XII ZR 34/09 – NJW 2012, 1578).
2. Steht fest, dass der Unterhaltsberechtigte über einen längeren Zeitraum (hier: nahezu fünf Jahre) Unterhaltsleistungen in einer bestimmten Höhe akzeptiert hat, so haben die Beteiligten durch ihr Verhalten in tatsächlicher Hinsicht zum Ausdruck gebracht, der Unterhaltsberechtigte benötige zur Deckung seines Lebensbedarfs jedenfalls den ihm vom Unterhaltsverpflichteten zur Verfügung gestellten Geldbetrag.
3. Allerdings ist bei einer konkreten Bedarfsbemessung eine Abänderung zum Zweck der Anpassung des Unterhalts an allgemein gestiegene Lebenshaltungskosten möglich.

A. Problemstellung

Das OLG Frankfurt hatte zu entscheiden, ab welchem Einkommen eine konkrete Bedarfsermittlung erforderlich ist und wie dabei das Einkommen der Beteiligten zu ermitteln ist. Daneben prüft es die Voraussetzungen einer Unterhaltsverwirkung nach § 1579 BGB.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Antragsgegner wurde zur Zahlung rückständigen Trennungsunterhalts verpflichtet. Seine Beschwerde hat das OLG Frankfurt zurückgewiesen. Auf die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin wurde die Ausgangsentscheidung teilweise abgeändert.
Das OLG Frankfurt bestätigte die konkrete Bedarfsermittlung, da der Antragsgegner im streitigen Zeitraum – auch nach Steuerklassenwechsel sowie Eintritt in den Vorruhestand – durchgängig über ein Einkommen von mehr als 5.100 Euro verfüge. Die von ihm zur Einkommensermittlung vorgetragenen Einwände seien nicht begründet. Unterhaltsleistungen etwa für die Töchter seien nur teilweise anzuerkennen, da übernommene Fahrzeugkosten freiwillige Leistungen darstellten und auch nicht aus dem laufenden Einkommen, sondern aus existentem Kapital getragen worden seien. Eine Erwerbstätigkeit sei nicht bereits deshalb überobligatorisch, weil sie über die Zeit hinaus fortgeführt werde, zu der unter Inanspruchnahme einer Übergangsversorgung ein Ausscheiden aus dem aktiven Dienst möglich gewesen sei, da hierdurch nicht die unterhaltsrechtliche Erwerbsobliegenheit entfalle. Selbst wenn während der Ehe ein Tätigkeitsende zu einem bestimmten Alter geplant worden sei, entfalle die Grundlage dieses Lebensplans mit der Trennung.
Zu ihrem konkreten Bedarf habe die Antragstellerin zwar keine näheren Angaben gemacht, doch habe sie die vom Antragsgegner über fast fünf Jahre erbrachten Leistungen als bedarfsdeckend akzeptiert. Dies rechtfertige den Schluss, dass übereinstimmend von einem Bedarf in dieser Höhe ausgegangen worden sei. Habe der Antragsgegner einen Teil dieser Leistungen als Kindesunterhalt verstanden wissen wollen – etwa im Zusammenhang mit Hausnebenkosten – so habe er dies klarstellen müssen.
Bedarfsdeckende Einkünfte aus Erwerb seien der Antragstellerin ab Anfang 2011 zuzurechnen. Nach der Trennung Ende 2004 habe kein Anlass für Erwerbsbemühungen bestanden, da der Antragsgegner erklärt habe, es werde sich durch die Trennung für sie und die Kinder nichts ändern. Parallel zu einer 2009 erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung habe sie eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt. Dabei habe der Antragsgegner sie aufgefordert, diese voranzutreiben. Erst ab 2010 sei die dauerhafte Erfolglosigkeit dieser Tätigkeit klar geworden, so dass die Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung geschuldet gewesen sei. Die sodann veranlassten Bewerbungen seien aber nicht ausreichend, so dass ab 2011 ein fiktiv erzielbares Einkommen zuzurechnen sei.
Anzurechnen sei ab Anfang 2013 auch ein objektiver Wohnvorteil. Bis 2012 habe der Antragsgegner eine wirtschaftliche Verwertung der ehelichen Wohnung nicht gewünscht, so dass nur der subjektive Wohnwert heranzuziehen gewesen sei, der aber dem konkreten Wohnbedarf entspreche.
Dem Unterhaltsanspruch stünden letztlich auch keine Einwände aus § 1579 BGB entgegen. Selbst wenn die Antragstellerin in einem Eilverfahren erklärt habe, über keine Einkünfte zu verfügen, entsprächen die Einkünfte aus einer selbstständigen Tätigkeit nicht dem erzielten Gewinn. Da sie nicht über finanzielle Mittel zur Bedarfsdeckung verfügt habe, sei der Antragsgegner nicht zur Leistung eines nicht geschuldeten Unterhalts verpflichtet worden. Ein dem Sachvortrag des Antragsgegners widersprechender Vortrag zum Trennungszeitpunkt sei kein versuchter Prozessbetrug, da es sich hierbei um eine Rechtsfrage handele. Zudem erfordere die Täuschung des Gerichts ein vorsätzliches Handeln. Die Verschaffung unbefugten Zugangs zum E-Mail-Konto des Antragsgegners sei zwar nicht zu billigen, doch handele es sich nicht um eine schwerwiegende Straftat. Letztlich sei auch der Härtegrund des § 1579 Nr. 2 BGB nicht erfüllt, da die Antragstellerin nach der Trennung zwar verschiedene Beziehungen unterhalten, keine jedoch sich in einem Maß verfestigt habe, dass sie an die Stelle der Ehe getreten wäre.
Zu Recht mache die Antragstellerin mit ihrer Anschlussbeschwerde geltend, dass sich der allgemeine Lebenshaltungsindex erhöht habe, so dass der zuerkannte konkrete Bedarf anzupassen sei.

C. Kontext der Entscheidung

Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Frage, ab welchem Einkommen von einer konkreten Bedarfsermittlung auszugehen ist. Das OLG Frankfurt folgt dabei seinen Leitlinien (Ziff. 15.3) unter Verweis auf die Rechtsprechung des BGH. Dieser hat bislang jedoch keinen verbindlichen Richtwert festgelegt, sondern nur betont, dass das Einkommen von gegenwärtig 5.100 Euro die Höchstgrenze des vom Einkommen des besser verdienenden Ehegatten abgeleiteten Quotenunterhalts bildet (BGH, Urt. v. 11.08.2010 – XII ZR 102/09 – FamRZ 2010, 1637). Ob eine konkrete Bedarfsermittlung vorzunehmen ist, wird daher in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich bewertet. Teilweise soll ein Elementarbedarf ab 2.500 Euro ausreichend sein (z.B. Ziff. 15.3 der Leitlinien des OLG Jena) bzw. wird eine konkrete Bedarfsermittlung erst ab einem Bedarf von mehr als 5.000 Euro zugestanden (OLG Brandenburg, Beschl. v. 23.10.2014 – 15 UF 109/12 – FamRZ 2015, 1118; OLG Stuttgart, Beschl. v. 17.09.2015 – 11 UF 100/15).
Bei den im Übrigen der Entscheidung zugrunde liegenden Wertungen folgt das OLG Frankfurt einer gefestigten Rechtsprechung und Literatur. Dies gilt etwa für die Tatsache, dass bei der konkreten Bedarfsermittlung kein Erwerbstätigenbonus zuzuerkennen ist (BGH, Urt. v. 10.11.2010 – XII ZR 197/08 – NJW 2011, 303), den Erwerbsobliegenheiten der Beteiligten, aber auch der Abänderung einer konkreten Bedarfsermittlung zugunsten des Berechtigten bei gestiegenen Lebenshaltungskosten.

D. Auswirkungen für die Praxis

Auch wenn die Entscheidung des OLG Frankfurt keine grundlegend neuen Rechtsfragen thematisiert, zeigt sie gleichwohl praxisrelevante und haftungsträchtige Fragen auf. Dies gilt für die Erwerbsobliegenheit des Unterhaltsschuldners bis zur gesetzlichen Altersgrenze ebenso wie das im Rechtsmittel zu beachtende Risiko einer Unterhaltsanpassung durch den gestiegenen Lebenshaltungsindex.