Nachfolgend ein Beitrag vom 21.6.2016 von Götsche, jurisPR-FamR 13/2016 Anm. 6
Leitsatz
Entschließt sich ein Rechtsanwalt, einen fristgebundenen Schriftsatz selbst bei Gericht einzureichen, übernimmt er die alleinige Verantwortung für die Einhaltung der Frist. Er hat dann geeignete Maßnahmen zu treffen, um einen fristgerechten Eingang des Schriftsatzes zu gewährleisten.
A. Problemstellung
Welche Sorgfaltspflichten bestehen, wenn der Rechtsanwalt die Rechtsmittelschrift selbst (und nicht durch seine Bürokraft) beim Rechtsmittelgericht einreichen will?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Gegen den am 11.09.2014 zugestellten Beschluss (Zugewinnausgleichssache) hat die Antragsgegnerin fristgerecht Beschwerde eingelegt. Auf ihren Antrag hat das Beschwerdegericht die Frist zur Begründung der Beschwerde bis zum 11.12.2014 verlängert. Am 12.12.2014 hat der Streithelfer, ein Rechtsanwalt, für die Antragsgegnerin per Telefax die Beschwerdebegründung eingereicht und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat der Anwalt vorgetragen: Da er am 11.12.2014 einen Termin vor dem Landgericht wahrzunehmen gehabt habe, habe er die fertiggestellte Beschwerdebegründung mitgenommen, um sie auf dem Weg zum Landgericht beim Oberlandesgericht abzugeben. Die Fahrt habe er zusammen mit seiner Ehefrau angetreten, die während der Zeit seiner Teilnahme am Gerichtstermin Besorgungen habe machen wollen. Aufgrund von unerwartet langen Verkehrsstockungen sei er erst kurz vor Terminsbeginn beim Landgericht eingetroffen. Deshalb habe er sich entschlossen, die Beschwerdebegründung erst nach Ende des Termins beim Oberlandesgericht abzugeben. Zuvor habe er seine Ehefrau darum gebeten, ihn vor der gemeinsamen Rückfahrt daran zu erinnern, dass er noch die Beschwerdebegründung in dieser Sache beim Oberlandesgericht abgeben müsse. Als er nach Abschluss des Termins beim Landgericht gegen 18.15 Uhr seine Ehefrau wieder getroffen habe, sei diese in einem gesundheitlich angegriffenen Zustand gewesen. Deshalb habe sie ihn darum gebeten, sogleich nach Hause zu fahren. Dabei habe sie es versäumt, ihn an die Abgabe des Schriftsatzes beim Oberlandesgericht zu erinnern. Das Oberlandesgericht hatte die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt und die Beschwerde verworfen.
Der BGH hat die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde verworfen.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheide aus, denn die Antragsgegnerin habe die Beschwerdebegründungsfrist nicht unverschuldet i.S.d. § 117 Abs. 5 FamFG, § 233 Satz 1 ZPO versäumt. Das Versäumnis beruhe auf einem Verschulden des Streithelfers, welches sich die Antragsgegnerin nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse. Entschließe sich ein Rechtsanwalt, einen fristgebundenen Schriftsatz selbst bei Gericht einzureichen, komme eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur in Betracht, wenn der Rechtsanwalt alle erforderlichen Schritte unternommen habe, die bei einem normalen Verlauf der Dinge mit Sicherheit dazu führen würden, dass die Frist gewahrt werde (BGH, Beschl. v. 21.12.1988 – VIII ZB 35/88 – NJW 1989, 1158 m.w.N.). Eine geeignete Vorkehrung, um die Einhaltung der Rechtsmittelbegründungsfrist zu gewährleisten, könne in der Bitte des Streithelfers an seine Ehefrau, ihn an die Abgabe der Rechtsmittelbegründungsschrift beim Oberlandesgericht zu erinnern, nicht gesehen werden. Zwar dürfe sich ein Rechtsanwalt für Verrichtungen einfachster Art wie etwa Botengänge auch Ehegatten und anderer Familienangehöriger bedienen (BGH, Beschl. v. 13.09.2011 – XI ZB 3/11 – NJW-RR 2012, 124; vgl. aber BGH, Beschl. v. 13.09.2006 – XII ZB 103/06 – FamRZ 2006, 1663, 1664), sofern diese ihm persönlich bekannt sind, hinreichend unterrichtet wurden und sich mehrfach in ähnlichen Fällen als zuverlässig erwiesen haben (BGH, Beschl. v. 05.09.2001 – XII ZB 81/01 – FamRZ 2003, 368 m.w.N.). Diese Voraussetzungen (Unterrichtung, Zuverlässigkeit in vergleichbaren Fällen) seien bei der Ehefrau aber nicht erkennbar. Es sei dem Rechtsanwalt auch unschwer möglich gewesen, nachdem er seine Ehefrau nach Hause gebracht hatte, in seine Kanzlei zu fahren und den Schriftsatz per Telefax fristgerecht beim Beschwerdegericht einzureichen.
C. Kontext der Entscheidung
Entschließt sich ein Rechtsanwalt, einen fristgebundenen Schriftsatz selbst bei Gericht einzureichen, übernimmt er die alleinige Verantwortung für die Einhaltung der Frist. Er hat alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um einen fristgerechten Eingang des Schriftsatzes zu gewährleisten. Schöpft ein Rechtsanwalt – wie im vorliegenden Fall – eine Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum letzten Tag aus, hat er wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos zudem erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen (BGH, Beschl. v. 09.05.2006 – XI ZB 45/04 – NJW 2006, 2637 m.w.N.).
Bedient sich der Rechtsanwalt Dritter, darf er diese grundsätzlich anweisen, ihn an die Abgabe zu erinnern. So hat der BGH mit Beschluss vom 21.12.1988 (VIII ZB 35/88 – NJW 1989, 1158) entschieden, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht kommen kann, wenn der Rechtsanwalt eine Kanzleiangestellte angewiesen hat, ihn nach Rückkehr in die Kanzlei darauf anzusprechen, ob er den Schriftsatz abgegeben habe, weil die Anweisung gerade der Kanzleikraft erteilt worden ist, die die Berufungsbegründung geschrieben hat und ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt (vgl. auch BGH, Beschl. v. 21.04.2010 – XII ZB 64/09 – FamRZ 2010, 1067).
Bei sonstigen Privatleuten sind dagegen erhöhte Anforderungen an deren Geeignetheit für eine solche Erinnerung zu stellen (besondere Unterrichtung durch den Rechtsanwalt; bisherige Zuverlässigkeit in ähnlichen Fällen).
D. Auswirkungen für die Praxis
Will der Rechtsanwalt einen fristgebundenen Schriftsatz selbst bei Gericht einreichen, hat er besondere Sicherungsmaßnahmen gegen ein mögliches Versäumnis zu treffen. Gerade wenn er den Schriftsatz am letzten Tag vor Fristablauf einreichen will, muss er besonders vorsichtig sein. Die Anweisung an Dritte, ihn an die Abgabe zu erinnern, kann ein geeignetes Instrument sein. Jedoch muss dem Dritten die besondere Bedeutung dieser „Erinnerungsfunktion“ bewusst sein. Angestellte des Anwalts werden diese Voraussetzung oftmals erfüllen. Bei Privatleuten werden hier vielfach Zweifel angebracht sein, umso mehr muss der Rechtsanwalt sie auf die besondere Bedeutung hinweisen.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Der Rechtsanwalt hatte noch vorgebracht, dass er aufgrund einer vorangegangenen Grippeerkrankung an dem Abend völlig erschöpft war. Auch dies wertet der BGH nicht entschuldigend. Selbst bei einer unvorhergesehenen Erkrankung muss ein Rechtsanwalt alle ihm dann noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Wahrung einer Frist ergreifen. Der krankheitsbedingte Ausfall des Rechtsanwalts am letzten Tag einer Rechtsmittelfrist rechtfertigt daher für sich genommen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand noch nicht (BGH, Beschl. v. 22.10.2014 – XII ZB 257/14 – FamRZ 2015, 135).