Nachfolgend ein Beitrag vom 29.3.2016 von Jahreis, jurisPR-FamR 7/2016 Anm. 6

Leitsatz

Ist zweifelhaft, ob eine Vorsorgevollmacht wirksam widerrufen worden ist, können die Angelegenheiten des Betroffenen durch den Bevollmächtigten wegen der dadurch bedingt eingeschränkten Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr regelmäßig nicht ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden.

A. Problemstellung

Besteht ein Betreuungsbedarf, wenn zweifelhaft ist, ob eine Generalvollmacht wirksam widerrufen wurde?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Betroffene erteilte im Juli 2014 ihrer Schwester und deren Ehemann eine notarielle General- und Vorsorgevollmacht. Diese widerrief sie schriftlich bereits im August 2014. Allerdings war aufgrund einer Demenzerkrankung der Betroffenen zweifelhaft, ob der Widerruf im Hinblick auf die Geschäftsfähigkeit der Betroffenen wirksam erfolgen konnte.
Das zuständige Betreuungsgericht bejahte den Betreuungsbedarf und begründete seine Entscheidung unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH damit, dass ein Betreuungsbedarf auch dann besteht, wenn Zweifel an der Wirksamkeit einer Generalvollmacht bestehen. Daraufhin wurde mit Beschluss des zuständigen Amtsgerichts im Oktober 2014 für die Betroffene eine Berufsbetreuerin für die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge und Behördenangelegenheiten bestellt. Die hiergegen von der Betroffenen als auch den beiden Beteiligten eingelegte Beschwerde beim LG Hannover blieb erfolglos.
Mit ihrer Rechtsbeschwerde wendeten sich die Betroffene und die Beteiligten gegen die Anordnung der Betreuung. Der BGH gab der Rechtsbeschwerde zwar statt, wies aber gleichzeitig darauf hin, dass die Rechtsbeschwerde weitestgehend nur wegen eines Verstoßes gegen Verfahrensrecht bei der Beweisaufnahme erfolgreich sei. Im Übrigen schloss sich der BGH der Rechtsauffassung der Vorinstanzen an und bejahte grundsätzlich einen Betreuungsbedarf i.S.d. § 1896 Abs. 2 BGB, wenn Zweifel bestünden, ob eine Vorsorgevollmacht wirksam widerrufen wurde.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung knüpft an die bisherige Rechtsprechung des BGH an, wonach ein Betreuungsbedarf auch dann gegeben ist, wenn Zweifel an der Wirksamkeit einer Vorsorgevollmacht bestehen (so bereits BGH, Beschl. v. 15.12.2010 – XII ZB 165/10 – FamRZ 2011, 285). Mit dem vorliegenden Beschluss konkretisiert der BGH diese Rechtsprechung dahingehend, dass ein Betreuungsbedarf gemäß § 1896 Abs. 2 BGB wegen begründeter Zweifel an der Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht auch dann vorliegt, wenn Zweifel daran bestehen, ob eine ursprünglich wirksam erteilte Vorsorgevollmacht wirksam widerrufen wurde. Ob der erfolgte Widerruf tatsächlich wirksam war, hält der BGH dagegen für nicht entscheidungserheblich. Denn soweit Zweifel bestehen, ob eine wirksame Vorsorgevollmacht vorliegt, kann die bevollmächtigte Person die Angelegenheiten des Betroffenen nicht genauso gut wahrnehmen wie ein Betreuer. Entsprechendes gilt, wenn zwar die Wirksamkeit der Erteilung der Vollmacht außer Frage steht, jedoch zweifelhaft ist, ob der Widerruf wirksam erfolgt ist.
Wie jede Vollmacht ist auch die General- bzw. Vorsorgevollmacht frei widerruflich. Da der Widerruf eine Willenserklärung des Vollmachtgebers erfordert, ist Geschäftsfähigkeit erforderlich. Sofern der Vollmachtgeber zum Zeitpunkt des Widerrufs etwa infolge einer Demenz-Erkrankung geschäftsunfähig ist, ist der Widerruf gemäß § 105 Abs. 2 BGB unwirksam. Grundsätzlich hat dies zur Folge, dass die Vollmacht weiterhin gültig ist und im Ergebnis weiterhin kein Betreuungsbedarf bestünde. Der BGH macht hiervon jedoch eine Ausnahme dahingehend, dass unabhängig von der tatsächlichen Wirksamkeit eines Widerrufs ein Betreuungsbedarf trotzdem gegeben ist, wenn Zweifel an der Wirksamkeit der Vollmacht bzw. des Widerrufs bestehen. Allerdings stützt der BGH seine Begründung nicht auf Erwägungen zur Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers, sondern löst das Problem auf Ebene des Betreuungsbedarfs, sodass unabhängig von der Wirksamkeit des Widerrufs und der Frage nach der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen eine Betreuung angeordnet werden kann.

D. Auswirkungen für die Praxis

Durch die Entscheidung wird es Vollmachtgebern erleichtert, sich von einer einmal erteilten Vorsorgevollmacht zu lösen, gleichzeitig wurden aber auch die Anforderungen an eine Vorsorgevollmacht tendenziell verschärft.