Nachfolgend ein Beitrag vom 3.7.2018 von Götsche, jurisPR-FamR 13/2018 Anm. 3

Leitsatz

Zu der Frage, wie der Verfahrenswert zu bestimmen ist, wenn die beteiligten Ehegatten auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs formwirksam verzichtet haben und das Amtsgericht daraufhin, ohne Auskünfte der Versorgungsträger einzuholen, den Versorgungsausgleich ausschließt.

A. Problemstellung

Die Eheleute haben im laufenden Scheidungsverfahren formwirksam auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs verzichtet. Wie hoch ist der dafür festzusetzende Verfahrenswert?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Im Termin vor dem Amtsgericht haben die Eheleute durch gerichtlich protokollierten Vergleich wechselseitig auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs (= VA) verzichtet und die Verzichtserklärung des jeweils anderen Beteiligten angenommen. Das Amtsgericht hatte sodann die Ehe geschieden, festgestellt, dass ein VA nicht stattfinde sowie die Verfahrenswerte festgesetzt, dabei für den VA auf den Mindestwert von 1.000 Euro. Auskünfte zum VA lagen bis zu dieser Zeit nicht vor, auch waren die Fragebögen zum VA noch nicht zurückgesandt.
Hiergegen richten sich die Beschwerden beider Verfahrensbevollmächtigten der Ehegatten, die geltend machen, angesichts der Erwerbstätigkeit beider Eheleute sei vom Vorhandensein zumindest je eines dem Versorgungsausgleich unterfallenden Anrechts auszugehen.
Das OLG Brandenburg hat die Beschwerden zurückgewiesen.
Zwar komme es für die Wertbemessung auf die Anzahl derjenigen Anrechte im VA an, über deren Behandlung entschieden worden sei und die damit Gegenstand des Verfahrens waren, und zwar auch dann, wenn hinsichtlich der behandelten Anrechte kein Ausgleich angeordnet wurde oder das Gericht nur festgestellt habe, dass kein Ausgleich stattfinde. Wenn das Amtsgericht jedoch wegen einer Verzichtsvereinbarung davon absehe, Auskünfte der Versorgungsträger einzuholen, sei regelmäßig die Anzahl dieser Anrechte offen. Auch im vorliegenden Fall könne anhand der Aktenlage allein vermutungshalber festgestellt werden, dass die nichtselbstständig erwerbstätige Frau Anrechte der gesetzlichen Rentenversicherung erworben haben dürfte. Für den Mann seien die Art seines Erwerbsverhältnisses und daher seine rentenrechtliche Absicherung dagegen offen. Im Übrigen wäre selbst dann, wenn bei jedem Ehegatten ein Anrecht zu beachten wäre, der Mindestwert nicht überschritten. Wenn aber in erster Instanz oder im Beschwerdeverfahren zu den von den Ehegatten in der Ehezeit erworbenen Anrechten keine näheren Angaben erfolgt seien, bestehe keine Amtsermittlungspflicht dahingehend, noch nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens nähere Feststellungen zu den von den Ehegatten in der Ehezeit erworbenen Anrechten zu treffen.

C. Kontext der Entscheidung

Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 FamGKG beträgt in Versorgungsausgleichssachen der Verfahrenswert für jedes Anrecht 10% des in drei Monaten erzielten Nettoeinkommens der Ehegatten. § 50 Abs. 1 Satz 2 FamGKG ordnet an, dass der Wert mindestens 1.000 Euro beträgt. Ist der nach § 50 Abs. 1 FamGKG bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder einen niedrigeren Wert festsetzen, § 50 Abs. 3 FamGKG.
Dies gilt auch dann, wenn hinsichtlich der behandelten Anrechte kein Ausgleich angeordnet wurde oder das Gericht nur festgestellt hat, dass kein Ausgleich stattfindet. Auch hier kommt es also grundsätzlich auf die Anzahl der an sich dem VA unterfallenden Anrechte an (Götsche/Rehbein/Breuers, Versorgungsausgleichsrecht, 3. Aufl. 2018, § 6 Rn. 75; vgl. auch OLG Brandenburg, Beschl. v. 04.01.2018 – 10 WF 169/17 für vereinbarten Ausschluss; OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.01.2017 – 10 WF 133/15 – FamRZ 2017, 2044). Eine Herabsetzung nach § 50 Abs. 3 FamGKG, der als Ausnahmevorschrift restriktiv zu handhaben ist, scheidet grundsätzlich aus (OLG Naumburg, Beschl. v. 13.06.2013 – 3 WF 139/13 – FamRZ 2014, 1809). Kann das Gericht allerdings nicht feststellen, wie viele Anrechte des VA vorhanden sind, kommt allein die Festsetzung des Mindestwerts von 1.000 Euro in Betracht.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Hinweise des OLG Brandenburg sind deutlich: In den Ausschlussfällen ermittelt das Gericht nicht von sich aus die Anzahl der vorhandenen Anrechte. Um zu vermeiden, dass das Gericht lediglich den in der Regel geringeren Mindestwert festsetzt, sollten die dem Versorgungsausgleich an sich unterfallenden Anrechte dem Gericht daher vor Festsetzung des Verfahrenswerts kurz aufgezählt werden (Götsche/Rehbein/Breuers, Versorgungsausgleichsrecht, 3. Aufl. 2018, § 6 Rn. 75). Die Äußerung von Vermutungen (wie im vorliegenden Fall geschehen) genügt dafür nicht. Dies sollte auch gar nicht nötig sein: Um über den Abschluss einer Verzichtsvereinbarung pflichtgemäß zu beraten, ist der Anwalt gehalten, sich zumindest einen groben Überblick über die beiderseits vorhandenen Anrechte zu verschaffen (vgl. näher BGH, Urt. v. 21.09.2017 – IX ZR 34/17 – FamRZ 2017, 1979).

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Nach Ansicht des OLG Brandenburg ist das Familiengericht im Hinblick auf die nach § 8 VersAusglG vorzunehmende Prüfung der materiellen Wirksamkeitsvoraussetzungen einer etwaigen Vereinbarung über den Versorgungsausgleich grundsätzlich gehalten, Auskünfte der Versorgungsträger einzuholen, um die Auswirkungen eines (teilweisen) Ausschlusses des Versorgungsausgleichs abschätzen zu können. Der BGH geht dagegen vom „Veranlassungsprinzip“ aus, wonach eine nähere Prüfung des § 8 Abs. 1 VersAusglG nur vorzunehmen ist, d.h. wenn Verdachtsmomente für eine Unwirksamkeit erkennbar sind – selbst bei scheidungsnahen Vereinbarungen (BGH, Beschl. v. 29.01.2014 – XII ZB 303/13 – FamRZ 2014, 629; OLG Rostock, Beschl. v. 24.09.2014 – 11 WF 165/11 – FamRZ 2015, 410; Götsche/Rehbein/Breuers, Versorgungsausgleichsrecht, 3. Aufl. 2018, § 8 VersAusglG Rn. 57 m.w.N.).

Bestimmung des Verfahrenswerts bei wechselseitigem Verzicht auf den Versorgungsausgleich
Denise HübenthalRechtsanwältin
  • Fachanwältin für Familienrecht
  • Fachanwältin für Erbrecht
  • Wirtschaftsmediatorin (MuCDR)

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