Nachfolgend ein Beitrag vom 5.7.2016 von Viefhues, jurisPR-FamR 14/2016 Anm. 2

Orientierungssatz zur Anmerkung

Ein Selbstständiger kann Aufwendungen für seine Altersversorgung nur in Höhe der gesetzlichen Rentenversicherung bilden, wenn der Mindestunterhalt für ein minderjähriges Kind andernfalls nicht aufgebracht werden kann.

A. Problemstellung

Hohe Schulden und damit verbundene monatliche Ratenbelastungen sind heute auch bei verhältnismäßig geringen Einkünften keine Seltenheit. Während bei einer intakten Familie alle Familienmitglieder von dem Einkommen leben müssen, das danach noch übrig bleibt, beginnt nach dem Auseinanderbrechen der Familie meist eine heftige Diskussion über die weitere Abzugsfähigkeit der monatlichen Belastungen. Besonders strenge Regeln werden hier aufgestellt, wenn nach Abzug der Belastungen nicht einmal der Mindestunterhalt für ein minderjähriges Kind gezahlt werden kann.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Das OLG Koblenz stellt heraus, dass es sich bei der Darlehenstilgung zwar um Vermögensbildung handelt. Eine solche darf der Unterhaltsschuldner als (fiktiv) Selbstständiger jedoch zum Aufbau einer Altersversorgung in einem der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbaren Umfang betreiben.
Das Jahresbruttoeinkommen des Antragsgegners beläuft sich auf rund 33.450 Euro. Der Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung lag in 2015 und liegt in 2016 bei 18,7%. Das sind also 6.255,15 Euro, mithin rund 521 Euro/mtl. Die darüber hinausgehenden Tilgungen sind demgegenüber nicht zu berücksichtigten, da der Antragsgegner keine zusätzliche Altersvorsorge betreiben darf. Denn eine solche hat hinter der Gewährung des Mindestkindesunterhalts zurückzustehen.
Bei der Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Weise Schulden des Unterhaltspflichtigen beim Verwandtenunterhalt zu beachten sind, hat ein Ausgleich der Belange von Unterhaltsgläubiger, Unterhaltsschuldner und Drittgläubiger stattzufinden. Dabei sind in Fällen, in denen der Mindestbedarf Unterhaltsberechtigter beeinträchtigt würde, insbesondere der Zweck der eingegangenen Verpflichtungen, der Zeitpunkt und die Art ihrer Entstehung, die Dringlichkeit der beiderseitigen Bedürfnisse, die Kenntnis des Unterhaltsschuldners von Grund und Höhe der Unterhaltsschuld und seine Möglichkeiten bedeutsam, die Leistungsfähigkeit in zumutbarer Weise wiederherzustellen. Beim Verwandtenunterhalt der §§ 1601 ff. BGB wird hierbei der Umstand, dass Verbindlichkeiten im Einverständnis mit dem Ehegatten und im Zuge der gemeinsamen Lebensführung eingegangen worden sind, allerdings nicht in gleichem Maße Bedeutung gewinnen können wie im Rahmen des Ehegattenunterhalts (vgl. BGH, Beschl. v. 19.03.2014 – XII ZB 367/12 – FamRZ 2014, 923).
Bei minderjährigen Kindern ist darüber hinaus zu beachten, dass für diese wegen ihres Alters von vornherein die Möglichkeit ausscheidet, durch eigene Anstrengungen zur Deckung ihres notwendigen Lebensbedarfs beizutragen, weswegen ihnen gegenüber nach § 1603 Abs. 2 BGB eine gesteigerte Unterhaltspflicht besteht. Eine Unterschreitung des Mindestunterhalts wegen anderer Verbindlichkeiten kommt demzufolge regelmäßig nicht in Betracht. Sie erscheint andererseits aus Rechtsgründen nicht in jedem Fall ausgeschlossen. Sie ist ausnahmsweise etwa dann möglich, wenn und soweit dem Unterhaltsschuldner wegen Grund und Höhe seiner anderweitigen Schulden die Berufung auf diese Verpflichtungen nicht nach Treu und Glauben versagt ist und ihm deshalb billigerweise nicht abverlangt werden kann, ohne Bedienung der anderen Schulden weiterhin Unterhalt in Höhe des vollen Mindestbedarfs der Kinder zu leisten.
Da hier Mindestkindesunterhalt geschuldet wird, ist es nicht unbillig, die über die anerkannten Tilgungszahlungen hinausgehenden Darlehensrückführungen zur Sicherstellung des Mindestbedarfs der Kinder auszusetzen bzw. zu strecken. Dass dies nicht möglich wäre, hat der Antragsgegner nicht aufgezeigt.

C. Kontext der Entscheidung

Rücklagen für eine Altersversorgung kann ein Selbstständiger in Höhe der für das betreffende Jahr geltenden Werte der gesetzlichen Rentenversicherung bilden. Eine darüberhinausgehende Rücklage ist aber unterhaltsrechtlich nicht berücksichtigungsfähig, wenn der Mindestunterhalt für ein minderjähriges Kind andernfalls nicht aufgebracht werden kann (BGH, Urt. v. 30.01.2013 – XII ZR 158/10 – NJW 2013, 1005 = FamRZ 2013, 616).
Eine solche Rücklage in zulässiger Höhe kann auch durch die Tilgung eines mit einem Vermögensgegenstand verbundenen Darlehens – hier vermutlich einer Immobilie – gebildet werden (vgl. BGH, Urt. v. 11.01.2012 – XII ZR 22/10 – FamRZ 2012, 956).

D. Auswirkungen für die Praxis

Unterhaltsansprüchen kommt kein allgemeiner Vorrang vor anderen Verbindlichkeiten des Unterhaltspflichtigen zu (BGH, Urt. v. 10.07.2013 – XII ZB 297/12 – FamRZ 2013, 1558; BGH, Beschl. v. 19.03.2014 – XII ZB 367/12 – NJW 2014, 1531 = FamRZ 2014, 923 m. Anm. Götz). Jedoch muss der Verfahrensbeteiligte, der die Belastungen unterhaltsrechtlich abziehen möchte, substantiierte Darlegungen zu den besonderen Umständen (Ausgleich der Belange von Unterhaltsgläubiger, Unterhaltsschuldner und Drittgläubiger) bringen, um eine Anrechnung im Rahmen der Einzelfallentscheidung zu erreichen (vgl. Viefhues in: jurisPK-BGB, § 1603 Rn. 118, m.w.N.).