Nachfolgend ein Beitrag vom 9.5.2017 von Oldenburger, jurisPR-FamR 9/2017 Anm. 4

Leitsätze

1. Zum Betreuungsbedarf nach § 1896 Abs. 2 BGB und zur Betreuerauswahl.
2. Zu den inhaltlichen Anforderungen an ein Sachverständigengutachten in einem Betreuungsverfahren (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 19.01.2011 – XII ZB 256/10 – FamRZ 2011, 637).

A. Problemstellung

Die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung erfordert die tatrichterliche Feststellung, dass der Betroffene aufgrund Krankheit oder Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr besorgen kann. Eine etwaige Erkrankung ist (neben den damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Lebensführung) gemäß § 280 Abs. 3 FamFG regelmäßig sachverständigenseits festzustellen; der Tatrichter muss sich jedoch selbst eine Meinung von der Richtigkeit der gutachterlichen Schlussfolgerungen bilden – und das auch anhand des erstellten Gutachtens können. Regelmäßig ist dabei auch die Kausalität der Erkrankung in Bezug auf die durch diese beeinträchtigten Aufgabenbereiche problematisch. Welche tatsächlichen und rechtlichen Anforderungen sind insofern an die richterliche Prüfpflicht i.S.v. § 1896 BGB sowie an die Qualität von Sachverständigengutachten zu stellen?
Werden die Voraussetzungen der Betreuungseinrichtung bejaht, hat das Gericht einen geeigneten Betreuer zu bestellen. Schlägt der Betroffene selbst eine Person vor, stellt sich die Frage, ob das Gericht daran i.S.v. § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB gebunden ist oder ob ein eigenes Auswahlermessen nach § 1908 b Abs. 3 BGB besteht.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Aufgrund einer halbseitigen Lähmung konnte die Betroffene eine vorbereitete Vorsorgevollmacht in Bezug auf ihren Ehemann nicht unterschreiben. Sie schlug ihn daher im Betreuungsverfahren hilfsweise als Betreuer vor, falls das Gericht die von ihr zuvor erteilte, jedoch nicht unterschriebene, Vorsorgevollmacht für unwirksam halten würde. Ihre Kinder wurden als Zeugen für die Vollmachtserteilung benannt. Ihr Ehemann lebt von ihr getrennt und hat eine neue Lebensgefährtin. Das Betreuungsgericht bestellte für die Betroffene dementgegen eine Berufsbetreuerin, da der von ihr vorgeschlagene Ehemann in einer neuen Partnerschaft lebe und deshalb eine Interessenkollision bestehe, die dessen Bestellung zum Betreuer ausschließe. Konkrete Umstände wurden dafür jedoch nicht dargelegt. Die Betreuung wurde außerdem für den Aufgabenkreis Widerruf der Vorsorgevollmacht eingerichtet. Eine Entlassung des Berufsbetreuers und Bestellung des Ehemannes i.S.v. § 1908b Abs. 3 BGB komme wegen der damit verbundenen Gefährdung des Wohls der Betroffenen nicht in Betracht.
An die Feststellungen des § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB sind nach Ansicht des BGH sehr hohe Ansprüche zu stellen. Das gerichtlich in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten müsse insbesondere den Vorgaben des § 280 Abs. 3 FamFG entsprechen. Es habe deshalb sowohl die Art und das Ausmaß der Erkrankung im Einzelnen darzustellen als auch die durchgeführten Untersuchungen und sonstigen Erkenntnisse, welche insgesamt wissenschaftlich begründet werden müssen. Nur unter diesen Voraussetzungen sei eine Überprüfung und eigene Meinungsbildung des Gerichts möglich. Fehlen diesbezügliche Angaben, dürfe das Gericht seine Entscheidung nicht auf das Gutachten stützen (vgl. bereits BGH, Beschl. v. 19.01.2011 – XII ZB 256/10 – FamRZ 2011, 637). Zudem müssten die konkreten Auswirkungen der Erkrankung auf die einzelnen Lebensbereiche i.S.d. § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB, für die eine Betreuung eingerichtet werden soll, dargestellt werden (§ 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB).
Liege bereits eine wirksame Vorsorgevollmacht vor, sei sie vorrangig zu berücksichtigen. Eine Betreuerbestellung scheide in diesen Fällen dann von vorneherein aus, da sie nicht erforderlich i.S.v. § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB sei. Das könne nur dann anders sein, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass durch die Ausübung der Vollmacht eine Gefahr für das Wohl der Betroffenen bestehe. Allein der Umstand, dass der vorgeschlagene Betreuer eine Lebensgefährtin habe, reicht nach Auffassung des BGH dafür jedoch nicht. Es sei im Übrigen verkannt worden, dass sich die Betreuerauswahl – auch im laufenden Rechtsmittelverfahren – nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB richte und nicht aus § 1908b Abs. 3 BGB abgeleitet werden könne. Es habe folglich kein richterliches Auswahlermessen bestanden.

C. Kontext der Entscheidung

Der BGH hat in der Vergangenheit wiederholt auf die hohen Anforderungen in Bezug auf Sachverständigengutachten und deren tatrichterliche Überprüfung hingewiesen; er betont und bestätigt nunmehr, dass Sachverständigengutachten dem § 280 Abs. 3 FamFG entsprechen und insofern exakt tatrichterlich überprüft werden müssen. Nur dann, wenn das Gutachten diesen Anforderungen entspricht, besteht eine geeignete Grundlage für eine ausreichend (dokumentierte) tatrichterliche Meinungsbildung von der Richtigkeit der dortigen Aspekte einschließlich darauf fußender Schlussfolgerungen. Gutachten haben folglich nachvollziehbar darzustellen, woraus sich die Diagnose konkret ergibt und welche Tests und Untersuchungen einschließlich der verwendeten wissenschaftlichen Methoden ihnen jeweils zugrunde liegen. Fehlt es daran, muss das Gericht das Gutachten nachbessern lassen und darf es nicht einfach seiner Entscheidung zugrunde legen. Damit steigen die qualitativen (dokumentarischen) Anforderungen sowohl an Sachverständige als auch an Tatrichter. Vor dem Hintergrund des Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts, das am 15.10.2016 in Kraft getreten ist, präzisiert der BGH ganz explizit für den Bereich des Betreuungsrechts gutachterliche Mindestanforderungen i.S.v. § 280 Abs. 3 FamFG.
Für Tatrichter wird zudem die Verpflichtung betont, die Auswirkungen der Erkrankung auf die einzelnen Aufgabenbereiche i.S.d. § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB selbst festzustellen. Das gilt auch in Bezug auf die Überprüfung von Vorsorgevollmachten: Nur konkrete Einzelfallumstände können deren Widerruf legitimieren. Dazu müssen sie erheblich sein und künftige Verletzungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit befürchten lassen.
Außerdem wird nun höchstrichterlich bestätigt, dass eine Ermessensentscheidung i.S.v. § 1908b Abs. 3 BGB bei einer Neubestellung, auch im Beschwerdeverfahren, nicht einschlägig ist (vgl. bereits BGH, Beschl. v. 15.09.2010 – XII ZB 166/10 – FamRZ 2010, 1897; BGH, Beschl. v. 17.09.2014 – XII ZB 220/14 – FamRZ 2014, 1998).

D. Auswirkungen für die Praxis

Ideal dürfte es nach Auffassung des BGH sein, die tatsächlichen Vorgaben des § 280 Abs. 3 FamFG bei der Erteilung von Gutachteraufträgen aufzunehmen und diesen beizufügen. Die erstellten Gutachten sind sodann konkret auf ihre innere Logik und Schlüssigkeit sowie dahingehend zu prüfen, ob die einzelnen Begutachtungsschritte transparent unter Hinweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden dargestellt worden sind. Demgemäß können Angriffe der Parteien, auch des Betroffenen, vermieden oder abgewehrt werden. Fehlt es daran, werden in dieser Hinsicht rechtlich relevante Einwendungen erhoben werden können. Liegen Erkrankungen i.S.v. § 1896 BGB vor, die wiederum zu konkret darzustellenden Beeinträchtigungen in einzelnen Lebensbereichen führen, wird zudem regelmäßig dem geäußerten Wunsch der Betroffenen nachzukommen sein, anstatt eines Berufsbetreuers eine natürliche Person für die maßgeblichen Aufgabenbereiche zu bestellen. Aus Sicht der Betroffenen sollte also in Fällen, in denen eine geeignete Person zur Verfügung steht, eine Vorsorgevollmacht erteilt werden und hilfsweise dem Gericht ein konkreter (gleichlautender) Betreuungsvorschlag unterbreitet werden. Ein richterliches Ermessen ist nach der vorliegenden Entscheidung des BGH dann regelmäßig nicht vorhanden; nur bei durchgreifenden erheblichen Bedenken kann davon abgewichen werden.