Nachfolgend ein Beitrag vom 2.2.2016 von Götsche, jurisPR-FamR 3/2016 Anm. 3
Leitsätze
1. Ein Unterhaltsschuldner, der die Abänderbarkeit einer Vereinbarung über nachehelichen Unterhalt vertraglich ausgeschlossen hat, kann sich zur Abwehr des Unterhaltsanspruchs nur dann auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen, wenn die Zahlung des vereinbarten Unterhaltsbetrags seine wirtschaftliche Existenz gefährden würde.
2. Die wirtschaftliche Existenz des Unterhaltsschuldners ist gefährdet, wenn ihm bei Zahlung des vereinbarten Unterhaltsbetrags weniger als der notwendige Selbstbehalt verbliebe.
A. Problemstellung
Die Entscheidung befasst sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein vor der Änderung der Rechtsprechung zu § 1573 Abs. 5 BGB a.F. (BGH, Urt. v. 12.04.2006 – XII ZR 240/03 – FamRZ 2006, 1006 = FamRB 2006, 263) geschlossener Vergleich auf Zahlung unbefristeten Ehegattenunterhalts nachträglich befristet werden kann. Im konkreten Fall hatten die Beteiligten im Jahr 1992 auf eine Abänderung der Unterhaltsvereinbarung „gleich aus welchem Rechtsgrund“ verzichtet.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die ehemals miteinander verheirateten Beteiligten schlossen 1992 eine notarielle Vereinbarung zum nachehelichen Unterhalt; der Antragsteller verpflichtete sich darin, der Antragsgegnerin einen nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich 1.000 DM (511,29 Euro) zu zahlen. Es wurde eine Wertsicherungsklausel vereinbart; weiter haben die Beteiligten auf eine Abänderung der Unterhaltsvereinbarung gleich aus welchem Rechtsgrund verzichtet.
Der in zweiter Ehe verheiratete Antragsteller und seine Ehefrau sind mittlerweile beide Altersrentner. Die Antragsgegnerin ist ebenfalls Altersrentnerin. Insbesondere aufgrund der veränderten Einkommenslage hat der Antragsteller die Änderung der notariellen Unterhaltsvereinbarung sowie deren Herabsetzung/Befristung begehrt.
Das KG Berlin sieht den Änderungsantrag des Antragstellers wegen der vertraglich ausgeschlossenen Abänderbarkeit als unbegründet an. Zwar sei auch in solchen Fallgestaltungen der die ganze Rechtsordnung beherrschende Grundsatz (§ 242 BGB), dass niemand sein Recht gegen Treu und Glauben geltend machen darf und ihm andernfalls der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegengesetzt werden kann, zu beachten. Eine daraus folgende Änderbarkeit komme aber nur in Betracht, wenn die wirtschaftliche Existenz – das Existenzminimum – des Unterhaltsschuldners gefährdet wäre. Aus Vereinfachungsgründen könne bei Unterhaltssachen anstelle des Existenzminimums direkt auf den aus diesem entwickelten notwendigen Selbstbehalt abgestellt werden. Bei einer Anknüpfung an den deutlich höheren eheangemessenen Selbstbehalt würde dagegen nicht ausreichend berücksichtigt werden, dass der Unterhaltspflichtige, der auf die Abänderbarkeit der Unterhaltsabrede verzichtet hat, sich erst dann auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen kann, wenn seine eigene wirtschaftliche Existenz gefährdet ist.
Vorliegend war eine solche Existenzgefährdung des Antragstellers auch dann nicht ersichtlich, wenn er den vereinbarten Unterhalt leistet.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung entspricht der aktuellen Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH, Beschl. v. 11.02.2015 – XII ZB 66/14 – FamRZ 2015, 734 Rn. 27) als auch der Obergerichte (vgl. etwa OLG Saarbrücken, Urt. v. 02.10.2003 – 6 UF 22/03 – FuR 2004, 245 Rn. 14; OLG Karlsruhe, Urt. v. 04.09.1997 – 2 UF 170/96 – FamRZ 1998, 1436 Rn. 39; OLG Bamberg, Urt. v. 22.04.1997 – 7 UF 225/96 – FamRZ 1998, 830 Rn. 20 f.; OLG Köln, Urt. v. 11.11.1988 – 25 UF 62/88 – FamRZ 1989, 637; OLG Zweibrücken, Urt. v. 24.09.1981 – 6 UF 7/81 – FamRZ 1982, 302). Im Ergebnis kann sich ein Unterhaltspflichtiger, der die Abänderbarkeit einer Unterhaltsvereinbarung vertraglich ausgeschlossen hat, zur Abwehr des Unterhaltsanspruchs bzw. zu dessen Ermäßigung nur dann auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen, wenn andernfalls seine wirtschaftliche Existenz gefährdet wäre. An diesen Einwand sind strenge Anforderungen zu stellen.
Der im Zwei-Jahres-Turnus erstellte Existenzminimumbericht führt zuletzt im Jahr 2015 zu einem Existenzminimum von 706 Euro. Dieser dem Sozialrecht entstammende Betrag wird im Unterhaltsrecht an die notwendigen Selbstbehalt angepasst, was auch der BGH für zulässig bzw. möglich erachtet hat (vgl. BGH, Urt. v. 05.11.2008 – XII ZR 157/06 – BGHZ 178, 322 = FamRZ 2009, 198 Rn. 28). Daraus folgt insgesamt ein Betrag von 880 Euro/Monat für Nichterwerbstätige (der auch für den Antragsteller als Rentner zugrunde zu legen war) bzw. von insgesamt 1.080 Euro für Erwerbstätige. Diese Beträge markieren die Grenze, bis zu der der Unterhaltspflichtige auf den vereinbarten Unterhalt in Anspruch genommen werden kann.
D. Auswirkungen für die Praxis
Soll eine als unabänderlich vereinbarte Unterhaltsvereinbarung nach unten abgeändert werden, muss der Unterhaltspflichtige darlegen und beweisen, dass er bei Zahlung des vereinbarten Unterhalt unter die Grenze von 880 Euro bzw. von 1.080 Euro rutscht. Nur dann kommt eine Reduzierung des Unterhalts in Betracht.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Eine weitergehende (pauschale) Reduzierung des dem Antragstellers zu belassenden Betrages aufgrund des Zusammenlebens mit der heutigen Ehefrau um 10% erschien dem Kammergericht nicht angebracht.