Nachfolgend ein Beitrag vom 12.4.2016 von Clausius, jurisPR-FamR 8/2016 Anm. 1

Orientierungssatz zur Anmerkung

Die elterliche Sorge ist dem Antragsteller und der Antragsgegnerin gemeinsam zu übertragen, weil dies dem Kindeswohl nicht widerspricht (§ 1626a Abs. 2 BGB).

A. Problemstellung

Das OLG Brandenburg setzt sich mit der Frage auseinander, unter welchen Voraussetzungen der Antrag eines Elternteils auf Herstellung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach § 1626a Abs. 2 BGB zurückgewiesen werden kann.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

In dem entschiedenen Sachverhalt erstrebte der Vater für das 2014 geborene Kind die Übertragung der gemeinsamen Sorge.
Das gegen die stattgebende erstinstanzliche Entscheidung eingelegte Rechtsmittel der Mutter blieb ohne Erfolg.
§ 1626a BGB erfordere keine positive Feststellung der Kindeswohldienlichkeit. Seien keine entgegenstehenden Gründe festgestellt, so sei die gemeinsame Sorge anzuordnen. Gebe ein Elternteil durch seinen Antrag zu erkennen, dass er die gemeinsame Sorge vorziehe, so spreche die Vermutung für deren Kindeswohldienlichkeit. Nur wenn sich aus dem Vortrag des anderen Elternteils oder sonstigen Erkenntnisquellen Gegengründe ergäben, dürfe es bei der Alleinsorge bleiben. § 155a Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Sätze 1, 2 FamFG unterstütze die Durchsetzung dieses gesetzlichen Leitbildes durch eine obligatorische Erwiderungsfrist, nach deren Ablauf ein schnelles schriftliches Verfahren zur Anordnung der gemeinsamen Sorge führen solle. In den Antragsverfahren, die sich gegen die bisherige Alleinsorge nach § 1626a Abs. 3 BGB richteten, bestehe die gesetzliche Vermutung für die Kindeswohldienlichkeit der gemeinsamen Sorge, d.h. der normative Vorrang dieser Sorgezuordnung vor anderen Varianten.
Im konkreten Sachverhalt seien dem Vortrag der Beteiligten keine Gründe entnehmbar, die gegen die gemeinsame Sorge sprächen. Im Mittelpunkt stehe die Einigungsfähigkeit und Verständigungsbereitschaft der Eltern im Interesse des Kindeswohls. Entscheidend sei dabei, ob sich der Elternstreit ungünstig auf das Kindeswohl auswirke und allein durch eine Alleinsorge Abhilfe zu erwarten sei. Die gemeinsame Sorge setze keinen in jeder Hinsicht wünschenswerten Zustand voraus, noch müsse er als Ergebnis sicher zu erwarten sein. Da der von der gemeinsamen Sorge betroffene Entscheidungsbereich gering sei, reduziere sich auch das erforderliche Ausmaß an Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit. Differenzen bei der Umgangsgestaltung sprächen nicht gegen die gemeinsame Sorge, da diese auch nicht unter Beibehaltung der Alleinsorge vermieden würden. Letztlich könne auch eine vermeintlich nachlässige Kinderpflege nicht der gemeinsamen Sorge entgegenstehen, da diese nur eine sehr vermittelte Beziehung zum Alltag aufweise und sich vielmehr auf die groben Linien der Lebensgestaltung des Kindes auswirke. Die Mitwirkung an solchen Entscheidungen hänge aber weniger vom Alltagsgeschick ab, als von der Fähigkeit und Bereitschaft eines Elternteils, die Kindesinteressen zu erkennen und eine geordnete Auseinandersetzung mit dem anderen Elternteil zu führen.

C. Kontext der Entscheidung

In Umsetzung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (BVerfG, Beschl. v. 21.07.2010 – 1 BvR 420/09 – FamRZ 2010, 1403) ist zum 19.05.2013 das Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern in Kraft getreten (BGBl 2013 I, 795). Zentrale Neuregelung war § 1626a BGB, der es dem nicht mit der Mutter verheirateten Vater ermöglicht, ggf. durch gerichtliche Entscheidung die gemeinsame elterliche Sorge zu erlangen. In der Gesetzesbegründung wurde zur Zielsetzung und Notwendigkeit der Reform darauf verwiesen, dass sie der Umsetzung eines neuen Leitbildes diene unter der Annahme, dass die gemeinsame elterliche Sorge den grundsätzlichen Bedürfnisses des Kindes zur Beziehungsunterhaltung zu beiden Elternteilen entspreche und ihm verdeutliche, dass beide in gleichem Maß zur Verantwortungsübernahme bereit seien (BT-Drs. 17/11048, S. 12). Orientiert an diesem neuen Leitbild ist der Gesetzgeber bei der Formulierung des § 1626a BGB dann auch bewusst von der positiven Feststellung des Kindeswohls im Rahmen einer zu treffenden Sorgerechtsentscheidung abgerückt – wie sie noch nach der Übergangsregelung des BVerfG im Beschl. v. 21.07.2010 galt – und hat sich für eine vorzunehmende negative Kindeswohlprüfung entschieden. Ebenso wie bei einem ehelich geborenen Kind ist damit die gemeinsame Sorge der Regelfall, von dem nur dann abzuweichen ist, wenn die gesetzliche Vermutung der Kindeswohldienlichkeit einer gemeinsamen elterlichen Sorge entweder durch konkreten Sachvortrag des jeweils anderen Elternteils entkräftet werden kann oder das Gericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungen aus anderen Erkenntnisquellen eine dahingehende Überzeugung erlangt. In entsprechender Konsequenz sind dann auch bei der negativen Kindeswohlprüfung als Prüfungsmaßstab spiegelbildlich jene Kriterien heranzuziehen, wie sie bei der Prüfung der Aufrechterhaltung einer gemeinsamen elterlichen Sorge für ein ehelich geborenes Kind gelten. Entscheidend ist damit eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern, beinhaltend ein Mindestmaß an Übereinstimmung sowie Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber in der Reformbegründung aber auch klargestellt, dass zur Überwindung etwaig bestehender Differenzen von den Eltern erwartet wird, dass sie vorrangig Hilfeleistungen seitens des Jugendamtes gemäß § 18 Abs. 2 SGB VIII in Anspruch nehmen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Auch wenn die Entscheidung des OLG Brandenburg keine grundlegend neuen rechtlichen Aspekte beinhaltet, überzeugt sie gleichwohl durch ihre umfassende Auseinandersetzung mit den rechtlichen Voraussetzungen der negativen Kindeswohlprüfung unter Gegenüberstellung der hierzu in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Meinungen. Darüber hinausgehend setzt sie sich aber auch in tatsächlicher Hinsicht mit zahlreichen in der Praxis typischen Einwänden gegen eine gemeinsame elterliche Sorge auseinander und liefert somit eine sehr gute Argumentationsbasis, um solchen Einwänden rechtlich fundiert entgegenzutreten bzw. bietet sie gleichermaßen für die Beratungspraxis eine Orientierungsleitlinie.