Nachfolgend ein Beitrag vom 12.4.2016 von Götsche, jurisPR-FamR 8/2016 Anm. 3

Leitsatz

Zur Wirksamkeit eines vereinbarten Ausschlusses des Versorgungsausgleichs, wenn der Ausgleichsberechtigte, der das Rentenalter bereits erreicht hat, wegen des Ausschlusses auf Sozialhilfeleistungen angewiesen sein kann.

A. Problemstellung

Eine Vereinbarung über den Versorgungsausgleich kann gemäß § 8 Abs. 1 VersAusglG unwirksam sein, wenn sie voraussichtlich dazu führt, individuelle Vorteile zum Nachteil der Sozialkassen zu erzielen. Sind bei dieser Bewertung auch Kompensationsregeln zu beachten, wenn ein Ehegatte, der das Rentenalter bereits erreicht hat, auf den für ihn vorteilhaften Versorgungsausgleich verzichtet?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der mittlerweile 66 Jahre alte Antragsgegner ist noch selbstständig tätig. Er verfügt nur über verhältnismäßig geringe eigene Versorgungsanrechte.
Nachdem das Amtsgericht den Versorgungsausgleich (mit Ausnahme geringfügiger Anrechte) durchgeführt hatte, haben die Beteiligten im Beschwerdeverfahren wechselseitig auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs verzichtet. In der achtjährigen Ehezeit hätte der Antragsgegner bei Durchführung des Versorgungsausgleichs einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt, welcher kapitalisiert etwa 50.000 Euro entsprach. In etwa gleicher Höhe hatte die Antragstellerin auf vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Antragsgegner verzichtet.
Das OLG Nürnberg hat auf der Grundlage der von den Ehegatten geschlossenen Vereinbarung den Versorgungsausgleich insgesamt ausgeschlossen.
Somit habe der zwischen den Beteiligten geschlossenen Vereinbarung kein kompensationsloser Verzicht des Antragsgegners auf Versorgungsrechte zugrunde gelegen. Die Vereinbarung der Beteiligten halte der Wirksamkeitskontrolle stand.
Im konkreten Fall könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsgegner ehebedingte Nachteile im Erwerb von Versorgungsanrechten erlitten habe. Bei dieser Konstellation gestatte es die Vertragsfreiheit dem ausgleichsberechtigten Ehegatten, auf den Ausgleich von Anrechten zu verzichten, selbst wenn dies die Gefahr späterer Sozialhilfebedürftigkeit in sich trage.

C. Kontext der Entscheidung

Vereinbarungen zum Versorgungsausgleich müssen einer Inhalts- und Ausübungskontrolle gemäß § 8 Abs. 1 VersAusglG standhalten. Bei der Inhaltskontrolle geht es um die Sittenwidrigkeit des Vertrages bei Abschluss gemäß § 138 BGB. Bei der Ausübungskontrolle geht es um die Frage, ob dem begünstigten Ehegatten gemäß § 242 BGB versagt ist, sich auf die Vereinbarung zu berufen. Die vorzunehmende Kontrolle einer Vereinbarung zum Versorgungsausgleich beschränkt sich allerdings, wenn diese scheidungsnah oder wie hier nach dem Scheidungsausspruch geschlossen wurde, auf die Inhaltskontrolle.
Für die Unwirksamkeit ehevertraglicher Regelungen zum Versorgungsausgleich kommen zwei Ansatzpunkte in Betracht:
– eine evident einseitige Lastenverteilung zulasten eines Ehegatten;
– Vereinbarungen zulasten der Sozialkassen.
Bei der Prüfung einer Vereinbarung zulasten der Sozialkassen kommt es darauf an, dass nach einer anzustellenden Prognose ein Ehegatte künftig im Alter oder bei Erwerbsminderung auf die Grundsicherung angewiesen ist, dies aber ohne die Vereinbarung nicht der Fall sein würde (BGH, Urt. v. 08.12.1982 – IVb ZR 333/81 – FamRZ 1983, 137; BGH, Urt. v. 25.10.2006 – XII ZR 144/04 – FamRZ 2007, 197); die subjektive Komponente, d.h. ob dies den Ehegatten bewusst ist, spielt insoweit eine untergeordnete Rolle. Ist der Ehegatte bereits Rentner, kann dies in der Regel zuverlässig beurteilt werden. Dabei sind aber alle Umstände des Einzelfalles zu beachten. Erhält der nur wenige Altersrenten besitzende Rentner eine annähernd gleichwertige Kompensation für seinen Verzicht, kann dies gegen eine Unwirksamkeit sprechen. Eine solche Kompensation mag auch darin liegen, dass der Rentner seinerseits keinen vermögensrechtlichen Ausgleich an den anderen Ehegatten erbringen muss.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die erforderliche Prognoseentscheidung (wird der benachteiligte Ehegatte auf Sozialleistungen angewiesen sein?) kann regelmäßig nur dann getroffen werden, wenn der Versorgungsfall (die Erwerbsminderung oder das Erreichen der Altersgrenze) des durch den Ausschluss benachteiligten Ehegatten zur Zeit des Ausschlusses des Versorgungsausgleichs relativ nah bevorsteht (OLG Hamm, Beschl. v. 11.04.2013 – 4 UF 232/12; Götsche in: HK-VersAusglG, 2. Aufl. 2015, § 8 Rn. 33).
Entscheidend ist insbesondere, wie viel Zeit noch bis zum Eintritt in den Ruhestand verbleibt. Stehe der benachteiligte Ehegatte bei Abschluss der Vereinbarung etwa in der Mitte seines Erwerbslebens, wird in der Regel eine Vereinbarung zulasten der Sozialkassen ausscheiden.
Steht er dagegen wenige Jahre vor der Altersrente bzw. bezieht er bereits Altersrente oder ist er bereits erwerbsunfähig, wird in aller Regel die Prognose für eine Sittenwidrigkeit sprechen. Ob eine güter- oder sonstige vermögensrechtliche Kompensation des benachteiligten Ehegatten dieser Sittenwidrigkeit ohne weiteres entgegensteht, wie es das OLG Nürnberg annimmt, kann aber bezweifelt werden. Denn die durch den Versorgungsausgleich erlangten Anrechte stehen dem Ehegatten regelmäßig lebenslang zur Verfügung, wohingegen erspartes Kapitalvermögen sich leicht verbrauchen lässt.