Nachfolgend ein Beitrag vom 15.3.2016 von Adamus, jurisPR-FamR 6/2016 Anm. 4

Orientierungssätze

1. Ein Versorgungsträger ist grundsätzlich auch dann in seiner Rechtsstellung unmittelbar betroffen, wenn bei ihm bestehende Anrechte zu Unrecht nicht in den Versorgungsausgleich einbezogen werden (vgl. u.a. BGH, Beschl. v. 12.11.2014 – XII ZB 235/14).
2. § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass für einen am Verfahren nicht Beteiligten, aber nach § 59 Abs. 1 FamFG Betroffenen, die Rechtsmittelfrist gar nicht bzw. erst durch Zustellung der Entscheidung zu laufen beginnt (vgl. u.a. OLG Dresden, Beschl. v. 22.11.2013 – 19 UF 686/13; entgegen u.a. OLG Celle, Beschl. v. 04.10.2011 – 17 W 16/11).

A. Problemstellung

Wann beginnt für einen unmittelbar Betroffenen, aber nicht formell am Verfahren Beteiligten die Beschwerdefrist?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Ehe der Beteiligten wurde vom Amtsgericht rechtskräftig geschieden und das Versorgungsausgleichsverfahren gemäß § 2 VAÜG ausgesetzt. Während der Ehezeit (01.08.1997 bis 30.06.2007) war der Antragsgegner als Beamter tätig.
Nach Wiederaufnahme des ausgesetzten Versorgungsausgleichsverfahrens wurden die gesetzlichen Rentenversicherungsträger zur Auskunft aufgefordert. Die Bundesrepublik Deutschland als Träger der beamtenrechtlichen Versorgung wurde am Verfahren nicht beteiligt. Durch Beschluss vom 21.11.2012 hat das Amtsgericht den Versorgungsausgleich dahingehend geregelt, dass es die ehezeitanteiligen Anrechte der Antragstellerin in der gesetzlichen Rentenversicherung durch interne Teilung ausgeglichen hat. Mit Schreiben vom 08.07.2015 teilte die Bundesfinanzdirektion … dem Amtsgericht mit, dass sie nunmehr die Bundesrepublik Deutschland als Beteiligte im Verfahren vertrete, und bat um Sachstandsmittlung. Unter dem 11.08.2015 übermittelte das Amtsgericht eine Ausfertigung des Beschlusses vom 21.11.2012. Gegen diesen Beschluss hat die Bundesrepublik Deutschland mit Schriftsatz der Bundesfinanzdirektion … vom 25.08.2015 Beschwerde eingelegt. Sie rügt, dass die vom Antragsgegner in der Ehezeit erworbenen beamtenrechtlichen Versorgungsanwartschaften nicht ausgeglichen worden seien.
Das OLG Brandenburg hält die Beschwerde für zulässig. Die Beschwerdeführerin sei gemäß § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdeberechtigt, da sie als Versorgungsträgerin grundsätzlich auch dann in ihrer Rechtsstellung unmittelbar betroffen ist, wenn bei ihr bestehende Anrechte zu Unrecht nicht in den Versorgungsausgleich einbezogen werden.
Durch die zeitlich letzte Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses an einen der formell Beteiligten sei für die Beschwerdeführerin weder die Monatsfrist gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG noch die fünfmonatige Auffangfrist gemäß § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG in Lauf gesetzt worden. Die Monatsfrist des § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG beginne mit der schriftlichen Bekanntgabe an die Beteiligten. Die Beschwerdeführerin war nicht Beteiligte in diesem Sinne, weil sie zu Unrecht nicht formell am Verfahren beteiligt worden war (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG), obwohl sie unmittelbar gemäß § 219 Nr. 2 FamFG zu beteiligen gewesen wäre. Versorgungsträger, bei denen ein auszugleichendes Anrecht besteht, seien zu beteiligen. Das Amtsgericht habe keinerlei Beteiligungshandlungen gegenüber der Beschwerdeführerin vorgenommen und dieser auch die angefochtene Entscheidung nicht bekanntgegeben.
Das OLG Brandenburg schließt sich der Meinung an, dass der bisher nicht Beteiligte aber materiell Beeinträchtigte auch nach Ablauf der Fristen des § 63 FamFG in zulässiger Weise Beschwerde einlegen kann. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie der Gewährleistung von Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) würden nicht hinreichend beachtet, wenn ein zu Unrecht nicht Beteiligter an die Ergebnisse eines Verfahrens gebunden werde, auf das er keinen Einfluss nehmen konnte, weil er keine Kenntnis vom Verfahren erlangt hat. Die Rechtsmittelfrist beginne in einem solchem Fall gar nicht bzw. erst durch die Zustellung der Entscheidung an den zuvor nicht Beteiligten zu laufen. Die beamtenrechtliche Versorgung des Antragsgegners war daher auszugleichen.

C. Kontext der Entscheidung

Das OLG Brandenburg setzt sich mit den beiden in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassungen zum Lauf der Beschwerdefrist auseinander. Eine ausdrückliche Regelung dazu, ob die Fristen des § 63 FamFG auch für Muss-Beteiligte, die nicht am Verfahren beteiligt wurden, in Gang gesetzt wird, gibt es nicht.
Die Auffassung, die allein auf den 2. Halbsatz des § 62 Abs. 3 Satz 2 FamFG abstellt und sich dabei auf die Gesetzesbegründung zu § 63 FamFG (BT-Drs. 16/9733, S. 289) bezieht, geht davon aus, dass auch ein materiell Betroffener, der übergangen wurde, nur solange fristgemäß Beschwerde einlegen könne, bis die Frist für den letzten am Verfahren formell Beteiligten abgelaufen ist. Diese Lösung diene der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Die Hinzuziehungspflicht nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG und die Benachrichtigungspflicht des Gerichts gemäß § 7 Abs. 4 FamFG stellten sicher, dass die dem Gericht bekannten Beteiligten zu dem Verfahren hinzugezogen oder in die Lage versetzt werden, einen Antrag auf Hinzuziehung zu stellen (Keidel, FamFG, 18. Aufl., § 63 Rn. 45c; Unger in: Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG, 4. Aufl., § 63 Rn. 21, 22; Bumiller/Harders, FamFG, 10. Aufl., § 63 Rn. 6; Althammer in: Johannsen/Henrich, Familienrecht, 6. Aufl., § 63 Rn. 11; OLG Hamm, Beschl. v. 07.09.2010 – I-15 W 111/10 – FamRZ 2011, 396; OLG Celle, Beschl. v. 04.10.2011 – 17 W 16/11 – FamRZ 2012, 321).
Die andere, höchstrichterlich vertretene Ansicht (BGH, Beschl. v. 11.03.2015 – XII ZB 572/13 – FamRZ 2015, 1006; BGH, Beschl. v. 04.06.2014 – XII ZB 353/13; BGH, Beschl. v. 05.12.2012 – I ZB 48/12 – NJW-RR 2013, 751) äußert zu Recht verfassungsrechtliche Bedenken. Ein zu Unrecht nicht am Verfahren Beteiligter könne nicht an die Ergebnisse eines Verfahrens gebunden werden, auf das er keinen Einfluss nehmen konnte, weil er keine Kenntnis vom Verfahren erlangt hat.
Verfassungskonform ist § 63 FamFG dahin auszulegen, dass für einen am Verfahren nicht Beteiligten, aber nach § 59 Abs. 1 FamFG Betroffenen, die Rechtsmittelfrist gar nicht bzw. erst durch die Zustellung der Entscheidung zu laufen beginnt (Abramenko in: Prütting/Helms, FamFG, 3. Aufl., § 63 Rn. 7a; Musielak/Borth, FamFG, 5. Aufl., § 63 Rn. 10; Fischer in: MünchKomm zum FamFG, 2. Aufl., § 63 Rn. 35 ff.; OLG Köln, Beschl. v. 29.01.2013 – II-26 UF 109/12 – FamRZ 2013, 1913; OLG Dresden, Beschl. v. 22.11.2013 – 19 UF 686/13; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.01.2015 – 8 UF 189/14).
Die Bezugnahme des OLG Brandenburg auf den Beschluss des BGH vom 04.06.2014 (XII ZB 353/13) für ein Sorgerechtsverfahren, an dem die Mutter nicht beteiligt wurde, verdeutlicht die Richtigkeit dieser Auffassung schon wegen des sonst hinzunehmenden Grundrechtsverstoßes anschaulich. Auch die Entscheidung des BGH vom 11.03.2015 (XII ZB 572/13 – FamRZ 2015, 1006) in einer Trennungsunterhaltssache bestätigt diese Auslegung. Voraussetzung für den Fristenlauf nach § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG ist, dass die schriftliche Bekanntgabe an einen Beteiligten nicht bewirkt werden konnte.
Nach Auffassung des BGH (Beschl. v. 11.03.2015 – XII ZB 572/13 Rn 27-30) hat der Gesetzgeber diese Formulierung nur deshalb gewählt, um die im erstinstanzlichen Verfahren förmlich Beteiligten von den materiell Betroffenen abzugrenzen, die nicht beteiligt worden sind und für die die Fünf-Monats-Frist nicht zur Anwendung gelangen soll. Nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung sollte § 63 Abs. 3 FamFG lauten: „Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses“. Mit dieser Regelung, die der Harmonisierung der Prozessordnung dienen sollte, wurde inhaltlich an § 517 HS. 2 ZPO angeknüpft (BT-Drs. 16/6308 S. 206). Die Gesetz gewordene Fassung geht auf eine Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zurück. Die Änderung diente allein dem Wunsch, klarzustellen, wann die Beschwerdefrist endet und Rechtskraft eintritt, wenn erstinstanzlich nicht alle materiell Betroffenen als Beteiligte zu dem Verfahren hinzugezogen wurden. Es sollte namentlich verhindert werden, dass ein übergangener und damit nicht beteiligter Versorgungsträger innerhalb von sechs Monaten nach Erlass des Beschlusses Beschwerde einlegen kann. Mit der Umformulierung sollte (aber) klargestellt werden, dass eine unterbliebene schriftliche Bekanntgabe des Beschlusses an den im erstinstanzlichen Verfahren nicht hinzugezogenen, aber materiell Beeinträchtigten die „Beschwerdeauffangfrist von fünf Monaten“ nach Erlass des Beschlusses nicht auslöst (BT-Drs. 16/9733, S. 289). Damit wollte der Gesetzgeber allein den Lauf der Rechtsmittelfrist für Beteiligte einerseits und am Verfahren nicht Beteiligte, aber materiell Betroffene, andererseits voneinander abgrenzen.
Neben dem Willen des Gesetzgebers spricht auch eine teleologische Auslegung der Norm für das Ergebnis. Die Auffangfrist des § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG soll der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit für die Beteiligten dienen, wenn eine Bekanntgabe der Entscheidung an einen erstinstanzlich Beteiligten innerhalb der Fünf-Monats-Frist unterbleibt (BGH, Beschl. v. 10.07.2013 – XII ZB 411/12 Rn. 18 – FamRZ 2013, 1566).

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung macht deutlich, dass die Rechtsmittelfrist des § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG erst mit schriftlicher Bekanntgabe an den jeweiligen Beteiligten zu laufen beginnt. § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG setzt voraus, dass eine Zustellung an einen am Verfahren Beteiligten nicht erfolgreich ausgeführt werden konnte. Nur für diesen beginnt die Rechtsmittelfrist spätestens nach fünf Monaten. Für einen formell nicht am Verfahren Beteiligten, der materiell von der Entscheidung betroffen ist und daher am Verfahren zu beteiligen gewesen wäre, beginnt die Rechtsmittelfrist erst mit (nachgeholter) schriftlicher Bekanntgabe des Beschlusses.
Eine andere Auslegung des § 68 Abs.3 Satz 2 FamFG, welche die Rechtssicherheit (Rechtskraft der Entscheidung) nach Fristablauf in den Vordergrund rückt, kann nicht durchgreifen, weil diese gegen elementare Verfahrensgrundsätze (Anspruch auf rechtliches Gehör – Art. 103 Abs. 1 GG, faires Verfahren – Art. 20 Abs. 3 GG, Gewährleistung von Rechtsschutz – Art. 19 Abs. 4 GG) verstößt.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Glück gehabt! Die Antragstellerin hätte aus eigener Anstrengung durch ein weiteres Versorgungsausgleichsverfahren keine Möglichkeit mehr gehabt, die monatliche Rente von 213,78 Euro zu retten. § 10a VAHRG, der nach dem bis zum 01.09.2009 geltenden Recht eine umfassende Fehlerkorrektur ermöglichte, insbesondere die Beseitigung von Rechenfehlern und Rechtsanwendungsfehlern im Ausgangsverfahren, ist entfallen. Für den nach neuem Recht durchgeführten Versorgungsausgleich gibt es nur noch das Abänderungsverfahren nach den §§ 225, 226 FamFG. Mit diesem Verfahren findet aber keine Totalrevision des Versorgungsausgleichs statt, sondern nur die Anpassung des jeweiligen Anrechts. Gemäß § 225 Abs. 2 FamFG ist dafür eine tatsächliche oder rechtliche Veränderung des Anrechts erforderlich. Die Nichtberücksichtigung des Anrechts stellt jedoch keine Veränderung im Sinne der Vorschrift dar. Nur wenn das Anrecht später noch eine wesentliche Wertveränderung erfahren hätte (5% des bisherigen Ausgleichswertes und 1% der monatlicher Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV am Ehezeitende – § 225 Abs.3 FamFG) hätte eine Fehlerkorrektur unter Einschluss des nicht ausgeglichenen Anteils noch stattfinden können.
Für Altentscheidungen nach dem bis zum 01.09.2009 geltenden Recht, sieht § 51 VersAusglG weitere Abänderungsmöglichkeiten vor, wobei § 51 Abs. 2 VersAusglG auf § 225 Abs. 2 und Abs. 3 FamFG verweist. Auch hier führen also Rechen- oder Rechtsanwendungsfehler zu keiner Korrekturmöglichkeit. Nur wenn ein Anrecht eine wesentliche Wertveränderung erfahren hat, ist eine Totalrevision (aller Anrechte) einschließlich Fehlerkorrektur eröffnet (BGH, Beschl. v. 27.01.2016 – XII ZB 213/14 Rn. 16 – BGHZ 198, 91; BGH, Beschl. v. 22.10.2014 – XII ZB 323/13 Rn. 15 f. – FamRZ 2015, 125 und BGH, Beschl. v. 24.06.2015 – XII ZB 495/12 Rn. 25 ff.- FamRZ 2015, 1688). Im Übrigen können Anrechte, die dem Wertausgleich bei der Scheidung nach den §§ 9 bis 19 VersAusglG unterfallen, nicht Gegenstand von Ausgleichsansprüchen nach der Scheidung nach den §§ 20 ff. VersAusglG sein. Eine Korrektur unter Anwendung der §§ 20 ff VersAusglG (schuldrechtlichen Versorgungsausgleich) ist danach ausgeschlossen (BGH, Beschl. v. 24.07.2013 – XII ZB 340/11 – FamRZ 2013, 1548).