Nachfolgend ein Beitrag vom 2.8.2016 von Götsche, jurisPR-FamR 16/2016 Anm. 3

Leitsätze

1. Die Rechtsverfolgung auf Herstellung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach § 1626a BGB kann mutwillig i.S.v. § 114 Abs. 2 ZPO sein, wenn der Antragsteller nicht vor der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens versucht, die Beurkundung einer gemeinsamen Sorgeerklärung nach § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 SGB VIII im Einvernehmen mit der Kindesmutter herbeizuführen.
2. Auch die Neufassung des § 1626a BGB erfordert für die Herstellung einer gemeinsamen elterlichen Sorge eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Kindeseltern, ein Mindestmaß an Übereinstimmung sowie eine hinreichende Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft der Kindeseltern.

A. Problemstellung

Begehrt der Antragsteller für sein Verfahren die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe, darf die Rechtsverfolgung nicht mutwillig sein, § 114 ZPO (§ 76 Abs. 1 FamFG). Besteht eine Verpflichtung, in sorgerechtlichen Angelegenheiten zunächst eine außergerichtliche Verständigung (vor allem unter Einbindung des Jugendamts) anzustreben?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kindesvater und die Kindesmutter sind die nicht miteinander verheirateten Eltern des in 2010 geborenen betroffenen Kindes. Der Kindesvater hat die Vaterschaft anerkannt. Die Kindesmutter ist allein sorgeberechtigt. Die Kindeseltern leben getrennt.
Mit anwaltlichem Schreiben aus Oktober 2015 forderte der Kindesvater die Kindesmutter auf, eine Erklärung zur Miteinräumung des „hälftigen Sorgerechts“ gegenüber dem Jugendamt bis zum 05.11.2015 abzugeben. Eine entsprechende Erklärung der Kindesmutter erfolgte nicht. Der Kindesvater begehrte daraufhin die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für den beabsichtigen Antrag, ihm und der Kindesmutter die elterliche Sorge gemeinsam zu übertragen. Das Amtsgericht hatte den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung mutwillig sei.
Das OLG Hamm hat auf die sofortige Beschwerde des Kindesvaters den Beschluss des Amtsgerichts abgeändert.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist die Rechtsverfolgung nicht mutwillig. Zwar könne einem Hilfsbedürftigen zunächst abverlangt werden, dass er die ihm zur Verfügung stehenden kostenfreien Angebote – insbesondere die Vermittlungsbemühungen des Jugendamtes – zur Erreichung seines Zieles wenigstens versuchsweise wahrnehme, bevor er gerichtliche Hilfe in Anspruch nehme (OLG Hamm, Beschl. v. 14.10.2014 – 6 WF 110/14 – NZFam 2015, 510; OLG Brandenburg, Beschl. v. 02.02.2015 – 9 WF 323/14 – FamRZ 2015, 1040; OLG Köln, Beschl. v. 17.12.2012 – 4 WF 156/12 – FamRZ 2013, 1241). Angesichts des Umstandes, dass das Anwaltsschreiben aus Oktober 2015 seitens der Kindesmutter ohne entsprechende Reaktion blieb, habe der Kindesvater nicht annehmen können, ohne gerichtliche Hilfe sein Begehren durchsetzen zu können. Denn eine Beratung durch das Jugendamt oder eine andere Beratungsstelle könne nur dann sinnvoll genutzt werden, wenn beide Eltern hierzu bereit und tatsächlich in der Lage seien (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 21.08.2015 – 18 WF 97/15 – FamRZ 2016, 250).

C. Kontext der Entscheidung

Eine Rechtsverfolgung ist dann mutwillig, wenn ein verständiger, nicht hilfsbedürftiger Beteiligter seine Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde (OLG Hamm, Beschl. v. 10.10.2013 – 2 WF 213/13 – MDR 2013, 1466). Es entspricht mittlerweile der vom Oberlandesgericht zitierten überwiegenden Ansicht, dass auch in Kindschaftssachen ein Elternteil zunächst sich außergerichtlich um eine Einigung bemühen muss, um den kostenträchtigen Gang zum Gericht möglichst zu vermeiden und weil eine elterliche Einigung aus Sicht des Kindeswohls stets die optimale Lösung darstellt. Mutwilligkeit liegt daher grundsätzlich vor, wenn der die Einräumung der Mitsorge begehrende Beteiligte ohne Rücksprache mit dem anderen Elternteil, d.h. ohne überhaupt die Möglichkeit, eine Einigung hinsichtlich der Sorgeregelung abzuklären, ein gerichtliches Verfahren einleitet (OLG Hamm, Beschl. v. 08.07.2010 – 2 WF 137/10; OLG Hamm, Beschl. v. 18.12.2003 – 2 WF 420/03 – FamRZ 2004, 1116). Anderes gilt nur, wenn die Gegenseite sich von vornherein unzugänglich gezeigt hat oder wenn eine Verständigung aus anderen Gründen unwahrscheinlich erscheint. Dies gilt in sorgerechtlichen Verfahren wie auch gleichermaßen in Umgangsangelegenheiten (für Umgangssachen vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 31.07.2013 – 13 WF 148/13 – FuR 2014, 181).

D. Auswirkungen für die Praxis

In Kindschaftssachen sollte der um Verfahrenskostenhilfe Ersuchende darlegen, weshalb eine außergerichtliche Einigung der Kindeseltern gescheitert ist bzw. aussichtslos erscheint. Vor Einleitung des Verfahrens ist zudem regelmäßig zunächst das Jugendamt zwecks Vermittlung im Elternstreit zu kontaktieren. Dafür trägt der Antragsteller die Darlegungs- und Beweislast, letztendlich auch im Rahmen des Verfahrenskostenhilfe-Prüfungsverfahrens.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Das OLG Hamm hat ferner ausgeführt, dass auch die Neufassung des § 1626a BGB für die Begründung eines gemeinsamen elterlichen Sorgerechts eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern erfordere. Für die negative Kindeswohlprüfung könne auf im Rahmen der Rechtsprechung zu § 1671 Abs. 1 Nr. 2 BGB entwickelte Maßstäbe zurückgegriffen werden (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 20.06.2013 – 18 UF 38/13 – FamRZ 2014, 490). Erforderlich sei daher ein Mindestmaß an Übereinstimmung sowie eine hinreichende Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft der Eltern (ebenso KG Berlin, Beschl. v. 15.04.2014 – 19 UF 120/13 – FamRZ 2014, 1375; OLG Celle, Beschl. v. 19.05.2014 – 10 UF 91/14 – NZFam 2014, 738; OLG Schleswig, Beschl. v. 07.04.2014 – 15 UF 140/13 – FamRZ 2014, 1374; OLG Brandenburg, Beschl. v. 19.09.2013 – 9 UF 96/11 – NJW 2014, 233).