Nachfolgend ein Beitrag vom 19.7.2016 von Viefhues, jurisPR-FamR 15/2016 Anm. 5

Leitsätze

1. Wechselt während des Kindesunterhaltsverfahrens die elterliche Obhut über das minderjährige Kind, so ist im Fall gemeinsamer elterlicher Sorge eine Vertretung durch den bisherigen Inhaber der Obhut nicht mehr zulässig.
2. Der bisherige Inhaber der elterlichen Obhut kann auch nach dem Entfall seiner Vertretungsbefugnis noch eine Erledigungserklärung abgeben. Hingegen ist ein Beteiligtenwechsel jedenfalls in der Beschwerdeinstanz nicht mehr zulässig.

A. Problemstellung

In der Praxis tritt nicht selten der Fall ein, dass ein Kind von einem Elternteil zum anderen wechselt. Das OLG Hamm befasst sich mit den Auswirkungen eines solchen Obhutswechsels auf ein laufendes gerichtliches Verfahren über den Kindesunterhalt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Tochter der geschiedenen Eltern lebte bei gemeinsamer elterlicher Sorge zunächst im Haushalt ihres Vaters, der für sie Unterhalt gegen ihre Mutter geltend machte. Durch Beschluss vom 24.02.2015 wurde sie vom Familiengericht zur Zahlung ab November 2012 verpflichtet. Hiergegen hat sie Beschwerde eingelegt und sich auf fehlende Leistungsfähigkeit berufen.
Seit dem 18.09.2015 wohnt die Tochter bei der Mutter. Der Kindesvater will für die bisherige Antragstellerin in das Verfahren eintreten und macht für den zurückliegenden Zeitraum einen familienrechtlichen Ausgleichsanspruch geltend. Die Antragsänderung sei sachdienlich, da für den familienrechtlichen Ausgleichsanspruch inhaltlich die gleichen Voraussetzungen vorliegen müssen, wie für den Unterhaltsanspruch. Hinsichtlich des laufenden Unterhalts hat er das Verfahren für erledigt erklärt.
Das OLG Hamm hat die Erledigung des Verfahrens für den Zeitraum ab September 2015 festgestellt und den weitergehenden Antrag zurückgewiesen.
Beide Elternteile unterhalten getrennte Wohnungen. Da die Tochter jetzt im Haushalt der Mutter lebt, besteht in Bezug auf den Kindesvater kein Obhutsverhältnis mehr. Durch den Obhutswechsel des Kindes ist eine Vertretungsbefugnis des Vaters erloschen und damit der Zahlungsantrag zum Kindesunterhalt insgesamt und ohne zeitliche Einschränkung unzulässig geworden. Folglich ist festzustellen, dass für den Zeitraum ab September 2015 die Erledigung eingetreten ist. Eine solche Erledigungserklärung kann auch noch in der Beschwerdeinstanz abgegeben werden.
Ein Beteiligtenwechsel ist jedenfalls in der Beschwerdeinstanz nicht mehr zulässig. Die Kindesmutter hat ihre Zustimmung zu einem Wechsel auf Antragstellerseite nicht erteilt. Ob diese Zustimmung durch eine Sachdienlichkeit ersetzt werden kann, kann hier offenbleiben. Denn jedenfalls ist ein Wechsel auf der Antragstellerseite nicht sachdienlich.
Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch, mit dem der Vater jetzt seinen Anspruch auf Zahlung der Rückstände begründet, unterscheidet sich grundlegend von einem Unterhaltsanspruch. Die Voraussetzungen sind nicht identisch; dies erfordert einen neuen Sachvortrag. Ein Elternteil, der einen familienrechtlichen Ausgleichsanspruch geltend macht, muss insbesondere darlegen, dass er die dem anderen Elternteil obliegende Verpflichtung erfüllt hat. Dazu sind nähere Darlegungen erforderlich, da der betreuende Elternteil in der Regel keinen Barunterhalt leistet, sondern Naturalunterhalt. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn sich der Ausgleichsanspruch auf den Mindestunterhalt beschränkt. Jedenfalls muss vorgetragen werden, dass der Mindestunterhalt in voller Höhe aus eigenen Mitteln aufgebracht wurde.
Wegen der Verschiedenheit beider Ansprüche ist es nicht sachgerecht, dass die Voraussetzungen für einen familienrechtlichen Ausgleichsanspruch erstmals in der Beschwerdeinstanz geprüft werden. Für den Kindesvater spricht zwar sein Interesse an einer schnellen Erledigung des Verfahrens. Demgegenüber wiegt es jedoch schwerer, dass die Kindesmutter eine Tatsacheninstanz verlieren würde.

C. Kontext der Entscheidung

Durch den Obhutswechsel verliert der bisher betreuende Elternteil die Befugnis, den Unterhalt für das minderjährige Kind geltend zu machen, und zwar auch hinsichtlich der Rückstände. Er muss die Erledigung des bisher von ihm betriebenen Verfahrens beantragen, um der Abweisung seines Zahlungsantrages zu entgehen (OLG Köln, Beschl. v. 04.12.2012 – 4 UF 158/12 – FamFR 2013, 92; OLG Rostock, Beschl. v. 14.01.2012 – 10 UF 146/11 – NJW 2012, 942 = FamRZ 2012, 890; OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.07.2013 – 4 UF 265/12 – NZFam 2014, 31; OLG Koblenz, Beschl. v. 21.05.2015 – 7 WF 353/15 – FuR 2016, 121 = FamRZ 2015, 1902).
Ob eine solche Erklärung auch noch in der Beschwerdeinstanz abgegeben werden kann, ist umstritten (ablehnend OLG Rostock, Beschl. v. 14.01.2012 – 10 UF 146/11 Rn. 32 – FamRZ 2012, 890).

D. Auswirkungen für die Praxis

Umstritten ist auch, ob im gleichen Verfahren der familienrechtliche Ausgleichsanspruch geltend gemacht werden kann. Materiell rechtlich ist zu bedenken, dass dieser Anspruch in seinen Voraussetzungen nicht deckungsgleich mit dem bisher verfolgten Unterhaltsanspruch ist, so dass ein neuer, geänderter Sachvortrag erforderlich wird (zum familienrechtlichen Ausgleichsanspruch vgl. auch jüngst BGH, Beschl. v. 20.04.2016 – XII ZB 45/15; OLG Nürnberg, Beschl. v. 24.10.2012 – 7 UF 969/12 – NJW 2013, 1101; OLG Brandenburg, Beschl. v. 07.05.2015 – 10 WF 41/15 – FamRZ 2016, 382; OLG Hamm, Beschl. v. 16.12.2010 – II-2 WF 279/10 – FamRZ 2011, 1407; OLG Köln, Beschl. v. 28.07.2011 – II-25 WF 178/11 – FamRZ 2012, 574; ausführlich Volker, FuR 2013, 550; Götz, FF 2013, 225, 232; Reinken, NJW 2013, 2993; Langheim, FamRZ 2013, 1529; Schröck, FK 2015, 98).
Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch unterliegt der Schranke des § 1613 Abs. 1 BGB (BGH, Beschl. v. 17.04.2013 – XII ZB 329/12 – FamRZ 2013, 1027; BGH, Beschl. v. 20.04.2016 – XII ZB 45/15) und ist im Innenverhältnis zwischen den Eltern der Höhe nach jeweils durch die Leistungsfähigkeit des in Anspruch genommenen Elternteils begrenzt (OLG Hamm, Beschl. v. 16.12.2010 – II-2 WF 279/10 Rn. 14 – FamRZ 2011, 1407).
Verfahrensrechtlich lehnt das OLG Hamm eine Änderung der Anspruchsbegründung in der Beschwerdeinstanz ab, weil damit der Gegenseite eine Tatsacheninstanz genommen würde.
Das Oberlandesgericht weist weiter darauf hin, dass dem Kindesvater und dem Kind ein möglicher familienrechtlicher Ausgleichsanspruch als Gesamtgläubiger zusteht. Auch zu diesem Konkurrenzverhältnis beider Gläubiger muss näher vorgetragen werden. Es bedarf einer näheren Begründung, warum das Kind aus dem Verfahren ausscheiden soll.
Eine weitere mittelbare Konsequenz aus dem Wechsel der Obhut darf nicht übersehen werden. Für den Elternteil, der bisher das Kind betreut hat, setzt damit eine vollschichtige Erwerbsobliegenheit ein, da ihn § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB jetzt nicht mehr vor Barunterhaltsansprüchen des Kindes schützt (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 14.11.2012 – 3 WF 126/12). Dieser Elternteil kann sich jedoch – wie bei einem Verlust der Arbeitsstelle – noch auf eine angemessene Übergangsfrist berufen. Die Länge der Übergangsfrist (Orientierungs- und Bewerbungsfrist) hängt von den Umständen des Einzelfalles ab; vielfach wird eine Frist von bis zu sechs Monaten akzeptiert (OLG Jena, Beschl. v. 29.08.2011 – 1 UF 324/11 – FamRZ 2012, 641 und OLG Saarbrücken, Urt. v. 02.03.2011 – 9 UF 89/10; siehe auch Viefhues in: jurisPK-BGB, 2014, § 1603 Rn. 473 ff.).