Nachfolgend ein Beitrag vom 10.5.2016 von Maes, jurisPR-FamR 10/2016 Anm. 2

Orientierungssätze

1. Haben sich die getrenntlebenden Eltern zweier 5 und 11 Jahre alter Kinder zu einer Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts im sog. Wechselmodell entschieden, d.h. dass sich die Kinder in wöchentlichem Turnus einmal bei dem Vater und einmal bei der Mutter aufhalten und dort betreut werden, ist für die Berechnung der Unterhaltsansprüche der Kinder davon auszugehen, dass auch das praktizierte Wechselmodell nicht zu einer (vollständigen) Befreiung von der Barunterhaltspflicht führt. Die gesetzliche Regelung in § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB betrifft nur den Fall des sog. Residenzmodells. Dies muss schon deshalb gelten, weil andernfalls beide Elternteile vom Barunterhalt befreit wären, obwohl nur der Betreuungsbedarf des Kindes gedeckt wäre.
2. Im Fall des Wechselmodells haben beide Elternteile für den Barunterhalt einzustehen. Der Unterhaltsbedarf des Kindes bzw. der Kinder bemisst sich in diesem Fall nach dem beiderseitigen Einkommen der Eltern und umfasst neben dem sich daraus ergebenden – erhöhten – Bedarf insbesondere die Mehrkosten des Wechselmodells (vor allem Wohn- und Fahrtkosten), so dass der von den Eltern zu tragende Bedarf regelmäßig deutlich höher liegt als beim herkömmlichen Residenzmodell (Anschluss BGH, Beschl. v. 05.11.2014 – XII ZB 599/13 – DNotZ 2015, 141).
3. Mehrbedarf ist derjenige Teil des angemessenen Lebensbedarfs eines Kindes (§ 1610 Abs. 2 BGB), der von den pauschalierten Regelsätzen der Unterhaltsleitlinien nicht erfasst wird. Er ist grundsätzlich konkret darzulegen und wird wie der Regelbedarf nach § 1606 Abs. 2 Satz 1 BGB zwischen den Eltern aufgeteilt. Allerdings sind nur solche Mehrkosten beim Kindesunterhalt zu berücksichtigen, die dem Unterhaltsbedarf des Kindes und nicht der Lebensführung des Betreuenden zugerechnet werden können. Das ist bei Umgangskosten und dem sonstigen durch die wechselseitige Betreuung entstehenden Mehraufwand nicht anders zu beurteilen als bei den Kindergartenkosten. Mehrbedarf des Kindes liegt insbesondere in Wohnmehrkosten, Fahrtkosten und dem doppelten Erwerb persönlicher Gegenstände, nicht aber in Kosten einer Nachmittagsbetreuung, die es dem Betreuenden ermöglicht, seiner Erwerbstätigkeit nachzugehen.
4. Bei der Berechnung des Haftungsanteils des jeweiligen Elternteils ist das Kindergeld in die übrige Barunterhaltsberechnung einzubeziehen. Dabei ist das Kindergeld unter Anwendung von § 1612b Abs. 1 Satz 2 BGB zur Hälfte bei der einkommenabhängigen Quotelung des Barunterhalts nach § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB abzuziehen. Sodann ist in einem weiteren Rechenschritt, mit dem die Differenz der jeweiligen Barunterhaltshaftung wegen der beiderseits erbrachten Versorgungsleistungen halbiert wird, das von den Bezugsberechtigten eingekommene Kindergeld mit voller Anrechnung einzubringen.

A. Problemstellung

Bislang ist umstritten, wie mit Kindergeld und Bedarf der Kinder beim paritätischen Wechselmodell umzugehen ist. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Vater der Kinder weiterhin das Ziel, im Wechselmodell keine Ausgleichsbeträge an die Mutter zahlen zu müssen (AZ beim BGH: XII ZB 565/15).

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Eltern zweier minderjähriger Kinder praktizierten nach ihrer Trennung ein paritätisches Wechselmodell mit wöchentlichem Wechsel. Das aktuelle unterhaltsrelevante Einkommen des Vaters betrug 2.871,90 Euro, das der Mutter 1.407,07 Euro.
Das OLG Dresden hat wegen des laufenden Unterhalts im Wesentlichen die Entscheidung des Familiengerichts bestätigt, wonach der Vater sog. Ausgleichsbeträge an die das Kindergeld beziehende Mutter zahlen muss, und zwar 166,22 Euro für das Kind J. und 156,86 Euro für das Kind L.
In seiner Entscheidung folgt das OLG Dresden der Berechnungsmethode von Bausch/Gutdeutsch/Seiler in FamRZ 2012, 258. Danach sei der Tabellenbedarf des Kindes nach dem zusammengerechneten Nettoeinkommen der Eltern, zuzüglich Mehrbedarf wegen des Wechselmodells wie Mietanteil, Fahrtkosten, Hortkosten zu ermitteln (Rn. 46 ff.). Für die Ermittlung der Haftungsquote sei der Sockelbetrag vom jeweiligen Nettoeinkommen der Eltern abzuziehen, nämlich den angemessenen Selbstbehalt von derzeit 1.300 Euro. Daraus folge für den Vater eine Haftungsquote von 93,62%, für die Mutter von 6,38% (Rn. 182 ff.). In einem weiteren Rechenschritt werden dem Vater die von ihm verauslagten Fahrtkosten gutgebracht (Rn. 185), der Mutter das (nicht) verauslagte Essen. Weiter sei ihr das hälftige, von ihr bezogene Kindergeld zuzurechnen (Rn. 186). In einem dritten Berechnungsschritt (Rn. 187) werde die Differenz der Haftungsanteile durch 2 geteilt und dem Vater die Hälfte des anrechenbaren Kindergeldes, also ein Viertel des gesamten Kindergeldes von 46,00 Euro gutgebracht. Insgesamt folgen daraus für den Vater die oben genannten Ausgleichszahlungen (Rn. 187 u. 197).

C. Kontext der Entscheidung

Das OLG Dresden hat, soweit ersichtlich, als erstes Gericht den Kindesunterhalt im paritätischen Wechselmodell mit einem Ausgleichsbetrag zugunsten des weniger verdienenden Elternteils festgelegt.
Im Wesentlichen werden drei Berechnungsmethoden vertreten:
1. Das Kindergeld ist vor der Berechnung hälftig zu teilen. Es wird nicht auf den Bedarf des Kindes angerechnet (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.06.2013 – 7 UF 45/13) bzw. zur Hälfte (OLG Schleswig, Beschl. v. 21.01.2015 – 12 UF 69/14).
2. Das Kindergeld wird hälftig auf den Bedarf angerechnet und in eine Ausgleichsberechnung auf der Grundlage der Haftungsanteile der Eltern mit einbezogen (Bausch/Gutdeutsch/Seiler, FamRZ 2012, 258). Diese Berechnungsmethode, der sich das OLG Dresden anschließt, ist im Berechnungsprogramm „WinFam“ von Werner Gutdeutsch fest eingebaut, ohne einen alternativen Rechenweg zuzulassen. WinFam wird von vielen Gerichten und Rechtsanwälten verwendet.
3. Das Kindergeld ist vollständig auf den Bedarf des Kindes anzurechnen (Klinkhammer letztmalig in: Wendl-Dose, Unterhaltsrecht, 8. Aufl., § 2 Rn. 450). In der aktuellen 9. Auflage wird Bausch/Gutdeutsch/Seiler gefolgt.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die vom OLG Dresden nach der „Gutdeutsch-Methode“ ermittelten Ausgleichszahlungen zulasten des besser verdienenden Vaters sind ungerecht und konterkarieren das Wechselmodell. Dem Vater müsste aus finanziellen Erwägungen heraus geraten werden, seine Betreuungsleistung einzustellen und zum Residenzmodell zurückzukehren. Im vorliegenden Fall hat der Vater nahezu für den gesamten Bedarf der Kinder aufzukommen, obwohl er wie die Mutter die Kinder zur Hälfte betreut. Seine Haftungsquote für das Kind J. beträgt 93,62%, konkret 672,24 Euro des Bedarfes ab 01.01.2015 von 718,04 Euro, wobei er davon 166,22 Euro (korrekt wären 146,22 Euro) als Ausgleich an die Mutter zahlen muss, die diesen Betrag neben ihrer Quote von 45,80 Euro für den Bedarf des Kindes J. zu verwenden hat. Das Kindergeld von 184,00 Euro darf sie für sich behalten, ohne es für den Bedarf des Kindes verwenden zu müssen. Beim Residenzmodell mit voller Betreuung der Kinder durch die Mutter müsste der Vater für J. lediglich den Tabellenunterhalt von 420 Euro zuzüglich Fahrtkosten von 150 Euro zahlen, insgesamt 570 Euro und damit 100 Euro weniger als beim Wechselmodell. Im Hinblick auf den BGH-Beschluss vom 12.03.2014 (XII ZB 234/13) wäre sogar eine Herabgruppierung in der Düsseldorfer Tabelle vorzunehmen, womit die Zahlbeträge noch niedriger lägen.
Es wird deutlich, dass die „Gutdeutsch-Methode“ in dem Bestreben, den einkommensschwächeren Elternteil zu entlasten, zu extrem ungerechten Ergebnissen führt. Damit behindert sie die gesellschaftliche Entwicklung hin zum Wechselmodell und hin zum erweiterten Umgang.
Der BGH hatte diese Entwicklung schon mit seinem Urteil vom 01.06.2011 (XII ZR 45/09) zum Betreuungsunterhalt gefördert. In Rn. 24 der juris-Zitierung machte er deutlich, dass grundsätzlich auch der barunterhaltspflichtige Elternteil als Betreuungsperson in Betracht zu ziehen sei, wenn er dies ernsthaft und verlässlich anbiete. Demgegenüber müssten rein unterhaltsrechtliche Erwägungen zurücktreten. Die vom BGH gewünschte Beteiligung der Väter an der Betreuung der Kinder wird durch die ungerechten Unterhaltsergebnisse aller Berechnungsmethoden erheblich erschwert. Es beginnt bereits bei der Ermittlung der Haftungsquote. Seit dem Urteil des BGH vom 05.11.1985 (IV b 69/84) wird vor Ermittlung der Haftungsquote bei jedem Elternteil der angemessene Selbstbehalt von derzeit 1.300 Euro vom Nettoeinkommen abgezogen, um den einkommensschwächeren Elternteil zu schützen. Alle Deutschen Oberlandesgerichte haben das in Ziff.13.3 ihrer Unterhaltsleitlinien festgeschrieben. Im vorliegenden Fall verschiebt sich dadurch die Haftungsquote des Vaters entgegen der in § 1606 Abs. 3 BGB vorgeschriebenen anteiligen Haftung von 67,10% zu seinen Lasten auf 93,62%. Diese gesetzeswidrige Ungerechtigkeit wird noch vergrößert durch die nur hälftige Anrechnung des Kindergeldes, ebenfalls contra legem. Sie ist in § 1612b Abs. 1 Satz 1 BGB nur für das Residenzmodell geregelt, in dem nur ein Elternteil seiner Unterhaltspflicht durch Betreuung des Kindes nachkommt. Beim Wechselmodell betreuen aber zwei Elternteile, womit nur noch § 1612b Abs. Satz 1 Ziff. 2 BGB anwendbar sein kann mit voller Anrechnung des Kindergeldes auf den Bedarf des Kindes. Das würde gerechterweise zu einer Entlastung des Elternteils mit der höheren Haftungsquote führen. Warum dem Vater selbst diese legitime Entlastung versagt bleiben soll, erschließt sich nicht.
Richtigerweise müsste die Mutter im vorliegenden Fall das gesamte Kindergeld für den Bedarf der Kinder verwenden, ganz unabhängig von ihrem Betreuungsanteil, weil diese staatliche Leistung in ihrer Doppelfunktion beide Eltern gleichermaßen bei ihrer Unterhaltspflicht entlasten soll, also denjenigen mit der höheren Haftungsquote entsprechend mehr. Hier mit der Gleichwertigkeit von Barunterhalt und Betreuung gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB zu argumentieren, geht an der Sache vorbei. Das OLG Dresden weist in Ziff. 1 seiner Leitsätze zu Recht daraufhin, dass diese Vorschrift für das Residenzmodell gilt, also gerade nicht für das gesetzlich nicht geregelte Wechselmodell. Der Mutter mit geringerem Einkommen ist bereits dadurch geholfen, ihre Haftungsquote durch den angemessenen Selbstbehalt zu beschränken. Der womöglich noch ungedeckte Bedarf der Kinder wäre vom Vater zu übernehmen. Eine Ausgleichszahlung fände nicht statt. Ganz abgesehen davon entspricht es nicht der Lebenswirklichkeit, dass Eltern im Wechselmodell den Bedarf der Kinder nach irgendwelchen Quoten decken, sondern so, wie es ihren Einkommensverhältnissen entspricht. Der Ausgleichsbetrag ist demgegenüber ein künstliches Konstrukt. Warum darf der Vater nicht direkt den Bedarf der Kinder nach seiner Haftungsquote decken, sondern muss einen Teil dieses Geldes als Ausgleichsbetrag an die Mutter zahlen? Es ist zu hoffen, dass der BGH hier für mehr Gerechtigkeit und Einfachheit sorgt.