Nachfolgend ein Beitrag vom 5.7.2016 von Stockmann, jurisPR-FamR 14/2016 Anm. 3

Leitsatz

Allein der Umstand, dass der Antragsteller durch eine Straftat die Ursache für ein späteres gerichtliches Verfahren gesetzt hat, für dessen Durchführung er um Verfahrenskostenhilfe nachsucht, lässt seine Rechtsverfolgung nicht als mutwillig erscheinen.

A. Problemstellung

Kann Verfahrenskostenhilfe gewährt werden, wenn der Antragsteller die Lebenssituation, für deren Bewältigung er gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen will, selbst herbeigeführt hat?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Antragsteller ist Vater eines Kleinkindes. 2013 tötete er seine Ehefrau, die Mutter des Kindes. Er wurde deswegen rechtskräftig zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und befindet sich seither in Strafhaft. Das Jugendamt wurde zum Vormund für das Kind bestellt, das nunmehr bei Pflegeeltern lebt.
Der Antragsteller hat um Verfahrenskostenhilfe für die gerichtliche Regelung von Umgangskontakten zwischen ihm und seinem Kind nachgesucht. Das Amtsgericht hat diesen Antrag zurückgewiesen, weil die Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg habe. Ein Umgang des Antragstellers mit seinem Sohn sei zum jetzigen Zeitpunkt ausgeschlossen.
Das Oberlandesgericht hat die sofortige Beschwerde des Antragstellers hiergegen zurückgewiesen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung sei mutwillig. Es sei nicht erforderlich, öffentliche Mittel für eine bedürftige Person bereitzustellen, die die Notwendigkeit eines gerichtlichen Verfahrens durch ihr vorangegangenes schwerwiegendes und vorsätzliches Fehlverhalten selbst ausgelöst habe. Zwangsläufige Folge der vorsätzlichen Tat des Antragstellers sei die Beendigung der bisherigen Umgangskontakte zwischen ihm und dem Kind.
Der BGH hat demgegenüber Verfahrenskostenhilfe bewilligt.
Die Voraussetzungen für die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe dürften aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht überspannt werden. Letztere gebieten vielmehr eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung ihres Rechtsschutzes.
Hinsichtlich der Erfolgsaussicht sei zu beachten, dass das Umgangsrecht eines Elternteils unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG stehe. Eine Einschränkung oder ein Ausschluss nach § 1684 Abs. 4 FamFG sei nach der Rechtsprechung des BVerfG nur veranlasst, wenn nach den Umständen des Einzelfalls der Schutz des Kindes dies erfordere, um eine Gefährdung seiner Entwicklung abzuwehren. Diesen Anforderungen würden die Gerichte nur gerecht werden, wenn sie sich mit den Besonderheiten des Einzelfalls auseinandersetzten. Auch das gerichtliche Verfahren und der Zugang hierzu müssen in seiner Ausgestaltung geeignet und angemessen sein, um der Durchsetzung der materiellen Grundrechtsposition wirkungsvoll zu dienen.
Ferner sei zu beachten, dass durch die – mit der Ablehnung von Verfahrenskostenhilfe faktisch einhergehende – Zurückweisung des Antrages auf gerichtliche Regelung des Umgangsrechts ein Zustand eintrete, der dem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz nicht gerecht werde, unter dem das Umgangsrecht des jeweiligen Elternteils stehe. Denn durch eine Entscheidung, durch die das Umgangsrecht weder versagt noch in irgendeiner Weise eingeschränkt werde, die aber eine gerichtliche Hilfe zur tatsächlichen Ausgestaltung verweigere, wisse der umgangsberechtigte Elternteil nicht, in welcher Weise er das Recht tatsächlich wahrnehmen dürfe und in welchem zeitlichen Abstand er einen neuen Antrag auf gerichtliche Regelung zu stellen berechtigt sei. Demgemäß habe das zur Umgangsregelung angerufene Familiengericht entweder Umfang und Ausübung der Umgangsbefugnis konkret zu regeln oder, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich sei, die Umgangsbefugnis ebenso konkret einzuschränken oder auszuschließen; es dürfe sich aber jedenfalls im Regelfall nicht auf die Ablehnung einer gerichtlichen Regelung beschränken.
Gemessen hieran könne dem Umgangsbegehren eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht von vornherein abgesprochen werden, obgleich der Antragsteller die Mutter des gemeinsamen Kindes vorsätzlich getötet habe.
Auch sei das Begehren nicht mutwillig: Nach der Legaldefinition des § 114 Abs. 2 ZPO sei die Rechtsverfolgung mutwillig, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bestehe. Dies könne vorliegend nicht angenommen werden. Es komme nicht darauf an, dass der Antragsteller durch die von ihm begangene Straftat weitere Maßnahmen ausgelöst habe, die letztlich auch das nunmehr angestrebte gerichtliche Verfahren bedingen. Vielmehr sei allein entscheidend, dass sich der Antragsteller in einer Lage befinde, bei der zur Durchsetzung seiner Rechte das Beschreiten des Rechtswegs unverzichtbar erscheine und eine bemittelte Person in derselben Lage sich exakt in derselben Weise verhalten würde.

C. Kontext der Entscheidung

Das Tatbestandsmerkmal der Mutwilligkeit dient in § 114 ZPO zur Beschränkung des Anspruchs auf staatliche Hilfestellung beim Rechtsschutz für Unbemittelte auf wirklich notwendig erscheinende Begehren und zwar schon seit der Zeit, als das hierfür zur Verfügung gestellte Institut noch „Armenrecht“ hieß. Seit 01.01.2014 hat der Gesetzgeber das Kriterium der Mutwilligkeit in § 114 Abs. 2 ZPO auch legaldefiniert. Über § 76 Abs. 1 FamFG ist diese Regelung auf die Verfahrenskostenhilfe für die Nichtstreitverfahren des FamFG anzuwenden.
Aus dem Vorgehen des Gesetzgebers hatte im vorliegenden Fall das Beschwerdegericht gefolgert, der Begriff der Mutwilligkeit sei weit auszulegen. Da eine Kosteneinsparung intendiert gewesen sei, müsse auch das dem konkreten Verfahren vorausgegangene Verhalten des Antragstellers im Hinblick auf eine eventuelle Mutwilligkeit bewertet werden.
Demgegenüber hebt der BGH hervor, dass die gesetzgeberische Definition der „Mutwilligkeit“ an den vom BVerfG in ständiger Rechtsprechung vorgegebenen Maßstab anknüpft. Eine extensive Auslegung habe der Gesetzgeber nicht gewollt.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung des BGH dürfte künftig eine extensive Bewertung von Begehren als „mutwillig“ verhindern. Zutreffend wird klargestellt, dass es allein darauf ankommt, ob eine bemittelte Person, die sich in gleicher Lage befindet, ebenfalls gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen würde.
Den Umstand, dass der Antragsteller die Lebenssituation selbst herbeigeführt hat, kann man ihm moralisch und strafrechtlich vorwerfen, dies darf aber aus rechtsstaatlichen Gründen nicht zum Ausschluss vom Zugang zu den Gerichten führen. Es kommt ja auch niemand auf die Idee, einem Straftäter einen Pflichtverteidiger mit dem Argument zu verweigern, der Betroffene habe die Situation, dass er sich strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt sieht, selbst verursacht.
Gleichermaßen einsichtig dürfte es sein, dass Sorgeberechtigten, die Beteiligte eines Verfahrens nach § 1666 BGB sind, Verfahrenskostenhilfe nicht mit der Begründung verweigert werden kann, sie seien für die im Raum stehende Kindeswohlgefährdung verantwortlich.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Der BGH hat dem Antragsteller nicht nur Verfahrenskostenhilfe bewilligt, sondern auch einen Rechtsanwalt beigeordnet. Er wies darauf hin, dass es für die Frage, ob die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Umgangsrechtsverfahren gemäß § 78 Abs. 2 FamFG wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage erforderlich ist, jeweils einer Einzelfallprüfung bedarf. Dabei seien nicht nur objektive Kriterien, sondern auch subjektive Umstände zu berücksichtigen. Entscheidend sei wiederum, ob ein bemittelter Rechtssuchender in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Im vorliegenden Fall lasse die Besonderheit, dass der Vater, der die Mutter zuvor getötet hat, ein Umgangsrecht begehrt, die Sache als schwierig erscheinen. Zum anderen befinde sich der Antragsteller in einer Justizvollzugsanstalt, was die Durchführung eines Umgangsrechtsverfahrens noch zusätzlich erschwere.
Zum Umgangsbegehren selbst lässt der BGH erkennen, dass zur Klärung der entscheidenden Frage, ob aus Kindeswohlgründen die Beibehaltung der Vater-Sohn-Beziehung den Vorzug verdient oder ob die Gefahr einer Retraumatisierung des Kindes überwiegt, ein Sachverständigengutachten einzuholen sein wird.