Nachfolgend ein Beitrag vom 1.3.2016 von Viefhues, jurisPR-FamR 5/2016 Anm. 3

Leitsatz

Ein volljähriges, studierendes Kind, hat sein Vermögen sukzessive zur Deckung seines Lebensbedarfs einzusetzen und darf das Vermögen nicht anderweit verbrauchen. Bei einem Verstoß gegen diese Obliegenheit muss es sich so behandeln lassen, als ob noch Vermögen vorhanden wäre und bedarfsdeckend eingesetzt werden könnte.

A. Problemstellung

Macht ein volljähriges Kind Unterhaltsansprüche gegen seine Eltern geltend, stellt sich zuerst die Frage der Bedürftigkeit des Kindes. Dabei geht es nicht nur um die eigenen Einkünfte, die in aller Regel nicht vorhanden sind, sondern auch um das Vermögen des Kindes und die Entscheidung, ob und ggf. in welchem Umfang das Kind sein Vermögen einzusetzen hat, um seinen Lebensunterhalt mit diesen eigenen Mitteln selbst sicherzustellen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die 1994 geborene Antragstellerin ist die Adoptivtochter des Antragsgegners aus dessen geschiedener Ehe mit ihrer Mutter. Sie studiert und unterhält am Studienort einen eigenen Hausstand. Im September 2011 verfügte die Antragstellerin über Vermögen in Höhe von mindestens 56.200 Euro; ein Teilbetrag von 25.000 Euro wurde ihr im Juli 2009 vom Antragsgegner unentgeltlich zugewandt.
Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Kindesunterhalt. Das Familiengericht hat den Unterhaltsantrag abgewiesen.
Die Beschwerde der Antragstellerin hatte vor dem OLG Zweibrücken keinen Erfolg. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist die Antragstellerin – jedenfalls derzeit – nicht unterhaltsbedürftig.
Volljährige Kinder, die sich in Ausbildung befänden und ihren Lebensbedarf nicht durch eigenes Erwerbseinkommen decken könnten, hätten hierzu auch den Stamm ihres Vermögens einzusetzen, bevor sie einen (oder beide) Elternteile auf Ausbildungsunterhalt in Anspruch nehmen könnten; ihnen sei lediglich ein so genannter Notgroschen für Fälle plötzlich auftretenden (Sonder-)Bedarfs zu belassen. Dies folge im Umkehrschluss aus § 1602 Abs. 2 BGB, wonach minderjährige unverheiratete Kinder lediglich die Einkünfte aus ihrem Vermögen, nicht jedoch das Vermögen selbst, bedarfsdeckend zu verwenden hätten (BGH, Urt. v. 05.11.1997 – XII ZR 20/96 Rn. 26 ff.). Einzusetzen sei nicht lediglich zweckgebunden zur Finanzierung der Ausbildung zugewandtes Vermögen, sondern jegliches zur freien Verfügung des volljährigen Kindes stehendes Vermögen ungeachtet seiner Herkunft und etwaiger mit der Zuwendung verbundener Vorstellungen des Zuwendenden oder des Kindes.
Ein Kind, das mit Eintritt seiner Volljährigkeit über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfüge, habe deshalb vorhandenes Vermögen sukzessive zur Deckung seines Lebensbedarfs während der Ausbildung einzusetzen; ihm könne unterhaltsrechtlich nicht gestattet werden, sein Vermögen anderweitig zu verbrauchen. Bei Verstoß gegen diese Obliegenheit müsse es sich so behandeln lassen, als ob noch Vermögen vorhanden und bedarfsdeckend eingesetzt werden könnte.
Bei pflichtgemäßer Verwendung ihres Vermögens stünden der Antragstellerin derzeit – und voraussichtlich für die gesamte Ausbildungszeit – noch ausreichende eigene Mittel zur Deckung ihres Lebensbedarfs zur Verfügung.
Der Vermögensverbrauch durch Übertragung auf die Mutter sei unterhaltsrechtlich ebenso wenig hinzunehmen wie ein eigener Verbrauch für nicht zum allgemeinen Lebensbedarf zählende Aufwendungen. Durch die Übertragung des Vermögens auf die Mutter im Juli 2015 habe die Antragstellerin ihre Bedürftigkeit ohne unterhaltsrechtlich zu billigenden Grund herbeigeführt. Es bestünde keine Zahlungsverpflichtung der Antragstellerin gegenüber der Mutter, weil ein (Rück-)Zahlungsanspruch der Mutter nicht gegeben sei.

C. Kontext der Entscheidung

Dem Einsatz der Vermögenssubstanz – nicht der Vermögenserträge, die als Einkünfte anzusehen sind – wird in Unterhaltsverfahren nicht immer die notwendige Aufmerksamkeit gewährt. Die Entscheidung macht deutlich, dass Vermögen des Kindes in aller Regel bedarfsdeckend anzurechnen ist.
Auch der Unterhaltspflichtige muss grundsätzlich den Stamm seines Vermögens einsetzen. Beim Ehegattenunterhalt ist eine gesetzliche Billigkeitsregelung in § 1577 Abs. 3 BGB und § 1581 Satz 2 BGB vorhanden. Beim Verwandtenunterhalt (Kindesunterhalt, Elternunterhalt) gilt auch hier § 1603 Abs. 1 BGB, wonach nicht unterhaltspflichtig ist, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Hierzu außerstande ist jedoch nicht, wer über verwertbares Vermögen verfügt (BGH, Beschl. v. 07.08.2013 – XII ZB 269/12 – FamRZ 2013, 1554 m. Anm. Hauß, FamRZ 2013, 1557; BGH, Urt. v. 21.11.2012 – XII ZR 150/10 – FamRZ 2013, 203 m. Anm. Hauß, FamRZ 2013, 206).
Soweit Vermögen vorhanden ist, muss also in diesem Rahmen auch das Kapital verbraucht und der Vermögensstamm verwertet werden. Allerdings sind auch die sonstigen Verpflichtungen des Unterhaltsschuldners zu berücksichtigen, der auch seinen eigenen angemessenen Unterhalt nicht zu gefährden braucht. Eine Verwertung des Vermögensstammes scheidet daher aus, wenn sie den Unterhaltsschuldner von fortlaufenden Einkünften abschneiden würde, die er zur Erfüllung weiterer Unterhaltsansprüche oder anderer berücksichtigungswürdiger Verbindlichkeiten oder zur Bestreitung seines eigenen Unterhalts benötigt (BGH, Beschl. v. 07.08.2013 – XII ZB 269/12 – FamRZ 2013, 1554 m. Anm. Hauß, FamRZ 2013, 1557; BGH, Urt. v. 21.11.2012 – XII ZR 150/10 Rn. 34 – FamRZ 2013, 203).

D. Auswirkungen für die Praxis

In der Praxis sollte ein Auskunftsverlangen gegen das Unterhalt beanspruchende volljährige Kind nicht nur die Frage enthalten, ob das Kind seine Ausbildung seinen Obliegenheiten entsprechend durchführt, sondern ggf. auch, ob das Kind über eigenes Vermögen verfügt. Erst im Leistungsverfahren kann das Kind mit dem Einwand gehört werden, das Geld zu eigenen Zwecken zu benötigen.