Nachfolgend ein Beitrag vom 11.4.2017 von Zschiebsch, jurisPR-FamR 7/2017 Anm. 5

Leitsätze

1. Die sittliche Rechtfertigung für die Volljährigenadoption ist Gegenstand einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls. Dabei kommt es auf die Herstellung eines echten Eltern-Kind-Verhältnisses an, das seinem ganzen Inhalt nach dem durch die natürliche Abstammung geschaffenen familiären Band ähnelt. Verbleiben nach Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände begründete Zweifel an der sittlichen Rechtfertigung ist der Antrag auf Annahme abzulehnen.
2. Die Begründung eines solchen Eltern-Kind-Verhältnisses kommt regelmäßig dann nicht in Betracht, wenn eine ungestörte, intakte Beziehung des Anzunehmenden zu mindestens einem leiblichen Elternteil besteht, soweit nicht dieser Elternteil Lebensgefährte oder Lebensgefährtin des Annehmenden ist, und zwischen Annehmenden und Anzunehmenden kein der natürlichen Generationenfolge entsprechender Altersunterschied (hier: 61 Jahre) besteht.

A. Problemstellung

Ist eine Volljährigenadoption sittlich gerechtfertigt, wenn der Anzunehmende intakte Beziehungen mit mindestens einem Elternteil, der nicht Lebenspartner oder Ehegatte des Annehmenden ist, unterhält und zwischen dem Annehmenden und dem Anzunehmenden ein erheblicher Altersunterschied besteht, der der natürlichen Generationenfolge nicht mehr entspricht?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Beteiligten beantragten, dass die Anzunehmende von dem 61 Jahre älteren Annehmenden gemäß den §§ 1767, 1770 BGB als Kind angenommen wird. Der Vater der Anzunehmenden ist gestorben, zu ihrer Mutter hat sie eine intakte und enge Bindung. Nach den Ausführungen der Beteiligten kennen sich die Anzunehmende und der Annehmende seit mehreren Jahren, verbringen die Freizeit und die Festtage miteinander und unterstützen sich gegenseitig. Zwischen der Anzunehmenden und dem Annehmenden sei eine Beziehung entstanden, wie sie sich der Annehmende zwischen Vater und Tochter, nicht zwischen Großvater und Enkelin vorstelle. Der Annehmende habe auch ein enges Verhältnis zu Verwandten der Anzunehmenden, insbesondere zu ihrer Mutter.
Das OLG Bremen hat die Anträge abgewiesen.
Es sei zweifelhaft, ob zwischen den Beteiligten ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits bestehe oder dessen Entstehung zu erwarten sei.
Eine familiäre Bindung in Form eines Vater-Tochter-Verhältnisses sei nicht festzustellen, auch wenn zwischen dem Annehmenden und der Anzunehmenden ein gutes persönliches Verhältnis mit häufigen persönlichen Kontakten bestehe. Die Begründung eines Eltern-Kind-Verhältnisses im Wege der Volljährigenadoption komme regelmäßig nicht in Betracht, wenn eine ungestörte, intakte Beziehung des Anzunehmenden zu mindestens einem leiblichen Elternteil – wie hier zu ihrer Mutter – bestehe, soweit nicht dieser Elternteil Lebensgefährte oder Lebensgefährtin des Annehmenden sei. Der Respekt vor einer langen natürlichen Eltern-Kind-Beziehung fordere, diese nicht im Nachhinein durch Wegadoption zu zerstören oder ihr zumindest ihren angemessenen Rang zu nehmen, denn auch wenn rechtlich gesehen bei einer Volljährigenadoption dem Anzunehmenden seine leiblichen Eltern erhalten bleiben, sei das Hinzutreten eines weiteren Elternteils in der persönlichen Beziehungsebene nicht unproblematisch, zumindest aber sei es angesichts der langen natürlichen Eltern-Kind-Beziehung nicht angemessen. Im Übrigen sei eine Annahme im Zweifel nicht sittlich gerechtfertigt, wenn zwischen dem Annehmenden und der Anzunehmenden kein der natürlichen Generationenfolge entsprechender Altersunterschied bestehe, sondern vielmehr aufgrund des Altersunterschiedes von 61 Jahren im Fall der Adoption eine Generation übersprungen werden würde.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung steht im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung und der herrschenden Literaturmeinung. Gemäß § 1767 Abs. 1 HS. 1 BGB kann ein Volljähriger als Kind angenommen werden, wenn die Annahme sittlich gerechtfertigt ist. Nach § 1767 Abs. 1 Hs. 2 BGB ist die sittliche Rechtfertigung der Annahme eines Volljährigen als Kind insbesondere dann anzunehmen, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Anzunehmenden ein gelungenes Eltern-Kind-Verhältnis bereits entstanden ist (OLG Hamm, Beschl. v. 29.06.2012 – II-2 UF 274/11, 2 UF 274/11). Andernfalls muss bei objektiver Betrachtung bestehender Bindungen und ihrer Entwicklungsmöglichkeiten das Entstehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses in der Zukunft konkret zu erwarten sein, § 1767 Abs. 2 Satz 1 BGB, § 1741 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dafür müssen aber deutliche Anzeichen vorliegen. Ein gelungenes Eltern-Kind-Verhältnis zwischen Erwachsenen wird regelmäßig geprägt durch eine emotionale Verbundenheit entsprechend der unterschiedlichen Lebenserfahrungen, die Verbundenheit mit dem Anderen, die Pflege eines kontinuierlichen Kontakts und die daraus resultierende Bereitschaft zum gegenseitigen Beistand, der in prinzipiell allen Wechselfällen des Lebens dauerhaft und grundsätzlich unbedingt gewährt wird, wie ihn sich leibliche Eltern und Kinder typischerweise leisten. Entscheidend kann letztlich nur aus dem äußeren Erscheinungsbild der Beziehungen geschlossen werden, ob ein Eltern-Kind-Verhältnis besteht bzw. zu erwarten ist. Es ist im Vergleich mit üblichen intakten Familiensituationen festzustellen. Mangels fassbarer Kriterien, ob ein enger persönlicher Kontakt zwischen erwachsenen Menschen die Voraussetzungen eines Eltern-Kind-Verhältnisses erfüllt, stellt die Rechtsprechung auf Indizien ab (OLG Bamberg, Beschl. v. 18.10.2011 – 2 UF 234/11).
Zwischen Annehmendem und Anzunehmendem soll ein erheblicher Altersunterschied bestehen, der in etwa dem entspricht, der üblicherweise zwischen Eltern und leiblichen Kindern besteht. Sowohl ein zu geringer als auch ein zu großer Altersunterschied, der dem Abstand der Generationen von Eltern und Kindern nicht entspricht, stellt ein gewichtiges Anzeichen gegen eine Eltern-Kind-Beziehung dar (BayObLG, Beschl. v. 14.10.1997 – 1Z BR 136/97; OLG Hamm, Beschl. v. 07.01.2003 – 15 W 406/02). Das OLG Nürnberg wies darauf hin, dass ein Altersunterschied von 16 Jahren nicht dem einer natürlichen Generationenfolge entspricht. Zwar können bereits 16-jährige Frauen Kinder bekommen, jedoch sei es auch im 21. Jahrhundert die Ausnahme, dass eine 16-jährige Frau Mutter wird (OLG Nürnberg, Beschl. v. 04.08.2014 – 9 UF 468/14). Das OLG Bamberg stellte fest, dass ein Altersabstand von 60 Jahren den üblicherweise bestehenden Altersunterschied zwischen Eltern und ihren Kindern deutlich übersteigt, er vielmehr dem Altersabstand zwischen Großeltern und Enkelkindern entspreche (OLG Bamberg, Beschl. v. 18.10.2011 – 2 UF 234/11).
Hat der Anzunehmende zu seinen lebenden Eltern ein intaktes Familienverhältnis, spricht dies tendenziell gegen das Bestehen und Entstehen eines weiteren echten Eltern-Kind-Verhältnisses, schließt ein solches aber nicht aus (Frank in: Staudinger, BGB, 2007, § 1767 Rn. 14 m.w.N.; Maurer in: MünchKomm BGB, 7. Aufl., 2017, § 1967 Rn. 35; OLG Schleswig, Beschl. v. 03.06.2009 – 2 W 26/09; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 09.09.2005 – 3 W 121/05). In der Regel besteht kein Bedürfnis zur Ergänzung dieser Familie mit weiteren Eltern (OLG Nürnberg, Beschl. v. 04.08.2014 – 9 UF 468/14). Der Respekt vor einer langen natürlichen Eltern-Kind-Beziehung fordert, dass diese nicht im Nachhinein durch „Wegadoption“ zerstört oder ihr zumindest ihr angemessener Rang genommen wird. Auch wenn rechtlich gesehen bei einer Volljährigenadoption dem Anzunehmenden seine leiblichen Eltern erhalten bleiben, ist das Hinzutreten eines weiteren Elternteils in der persönlichen Beziehungsebene nicht unproblematisch, zumindest aber ist es angesichts der langen natürlichen Eltern-Kind-Beziehung nicht angemessen. Zu prüfen ist auch, ob für den Anzunehmenden ein Loyalitätskonflikt zwischen den leiblichen Eltern und den Adoptiveltern zu befürchten wäre, wenn er zweimal ein Eltern-Kind-Verhältnis leben müsste (OLG Hamm, Beschl. v. 07.01.2003 – 15 W 406/02; OLG Nürnberg, Beschl. v. 04.08.2014 – 9 UF 468/14). Das OLG Nürnberg verneinte die Befürchtung des Auftretens späterer Loyalitätskonflikte in einem Fall, in dem der annehmende Onkel der Anzunehmenden auch zu ihren Eltern ein gutes Verhältnis hatte, die Eltern mit der Adoption einverstanden waren und er selbst kinderlos war (OLG Nürnberg, Beschl. v. 12.06.2015 – 10 UF 272/15).
Die Voraussetzungen der Adoption müssen positiv festgestellt werden. Verbleiben nach der Abwägung aller in Betracht kommender Umstände begründete Zweifel, ob die beantragte Adoption sittlich gerechtfertigt ist, muss der Antrag abgelehnt werden (OLG Stuttgart, Beschl. v. 26.06.2014 – 11 UF 316/13; OLG München, Beschl. v. 19.12.2008 – 31 Wx 49/08, 31 Wx 049/08).

D. Auswirkungen für die Praxis

Bestehen intakte familiäre Beziehungen zwischen dem Anzunehmenden und seinen leiblichen Eltern, rate ich den Beratern im Fall einer angedachten Volljährigenadoption, in denen der Annehmende nicht Partner eines Elternteils ist, darauf hinzuweisen, dass voraussichtlich die auf die Annahme als Kind gerichteten Anträge nur in Ausnahmefällen Aussicht auf Erfolg haben dürften (vgl. auch Friederici, NZFam 2014, 964). Dasselbe gilt bei einem Altersunterschied zwischen Annehmenden und Anzunehmenden, der der natürlichen Generationenfolge nicht entspricht.
Bei bestehenden guten Beziehungen des Anzunehmenden und seinen Eltern empfehle ich den Beratern, mögliche psychische Folgen, die infolge der Annahme als Kind eintreten können, offen anzusprechen und mit den Beteiligten zu erörtern. Aus der obergerichtlichen Rechtsprechung ist bekannt, dass nach der Annahme als Kind seelische Krisen mit Krankheitswert und psychosomatische Beschwerden wegen Identitätskrisen, starken Integritätsproblemen im Hinblick auf leibliche Eltern, trotz deren Einverständnis mit der Adoption und Loyalitätskonflikte auftreten können, mit denen bei der Beantragung der Adoption kein Beteiligter gerechnet hat (u.a. OLG Köln, Beschl. v. 10.07.2012 – II-4 UF 45/12; OLG Stuttgart, Beschl. v. 16.03.2010 – 15 UF 36/10).
Zur Frage, ob Loyalitätskonflikte des Anzunehmenden im Verhältnis zu seinen leiblichen Eltern und zu den Annehmenden zu befürchten sind, hat das Familiengericht die Beteiligten und die leiblichen Eltern anzuhören (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 11.03.1999 – 3 W 58/99 Rn. 13).