Nachfolgend ein Beitrag vom 10.4.2017 von Dürr, jurisPR-SteuerR 15/2017 Anm. 5

Leitsätze

1. Die Besteuerung Alleinerziehender nach dem Grundtarif anstelle einer Besteuerung nach dem Splittingtarif ist verfassungsgemäß.
2. Krankheitskosten sind als außergewöhnliche Belastungen um die zumutbare Belastung zu mindern (Anschluss an BFH, Urt. v. 02.09.2015 – VI R 32/13 – BFHE 251, 196 = BStBl II 2016, 151).

A. Problemstellung

Die Klägerin macht die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung Alleinerziehender mit dem Grundtarif (§ 25 EStG) anstelle des Splittingtarifs (§§ 26, 26b EStG) geltend (Verstoß gegen den Gleichheitssatz, Art. 3 GG, und gegen das Gebot des Schutzes der Familie und der Kinder, Art. 6 GG). Außerdem wendet sie sich gegen die Kürzung von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastung um die zumutbaren Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG), da das aus Art. 3 GG abgeleitete Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verletzt sei.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin ist selbstständig als Steuerberaterin tätig. Sie ist seit 2006 verwitwet und lebte im Streitjahr 2008 mit ihren in den Jahren 1993 und 1998 geborenen Töchtern zusammen. Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer für das Streitjahr nach dem Grundtarif (§ 32a Abs. 1 EStG) fest. Die geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen wegen Krankheitskosten setzte es – ohne Prüfung – mit 1.479 Euro an. Nach Abzug der deutlich höheren zumutbaren Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) wirkten sie sich steuerlich nicht aus. Für die Töchter zog das Finanzamt die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG (insgesamt 11.616 Euro) ab und erhöhte im Gegenzug die Einkommensteuer nach § 31 Satz 4 EStG um das Kindergeld i.H.v. 3.696 Euro. Ferner zog es den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EStG) i.H.v. 1.308 Euro von der Summe der Einkünfte ab.
Die dagegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht ab. Die Besteuerung Alleinerziehender und die Berücksichtigung einer zumutbaren Belastung seien nicht verfassungswidrig (FG Hannover, Urt. v. 06.05.2013 – 7 K 114/10 – EFG 2014, 926). Auch die Revision blieb ohne Erfolg.
Der BFH führt aus, das Splittingverfahren baue auf der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Ehe als eine Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs auf. Die wechselseitige Verpflichtungsbefugnis bei Geschäften zur Deckung des Lebensbedarfs (§ 1357 BGB, § 8 Abs. 2 LPartG), die Eigentumsvermutung zugunsten der Gläubiger des anderen Partners (§ 1362 BGB, § 8 Abs. 1 LPartG), die eingeschränkte Verfügungsberechtigung über eigenes Vermögen (§§ 1365 bis 1369 BGB, § 6 Satz 2 LPartG) sowie die Regelungen über den Zugewinnausgleich (§§ 1371 bis 1390 BGB, § 6 Satz 2 LPartG) und den Versorgungsausgleich (§ 1587 BGB in Verbindung mit den Vorschriften des Versorgungsausgleichsgesetzes, § 20 LPartG) ließen den Grundsatz erkennen, dass das während der Ehe oder Lebenspartnerschaft Erworbene gemeinschaftlich erwirtschaftet ist. In Übereinstimmung mit diesem Grundgedanken des Familienrechts gehe das Splitting-Verfahren davon aus, dass zusammenlebende Eheleute und Lebenspartner eine Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs bilden, in der ein Partner an den Einkünften und Lasten des anderen wirtschaftlich jeweils zur Hälfte teilhat. Hiervon ausgehend beständen gegen das Splitting-Verfahren als solches keine verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfG, Beschl. v. 07.05.2013 – 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06, 2 BvR 288/07 – BVerfGE 133, 377, betreffend den Ausschluss eingetragener Lebenspartner vom Ehegattensplitting).
Mit dieser dem Splitting-Verfahren zugrunde liegenden Situation sei die Lage Alleinerziehender weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht vergleichbar. Die güterrechtlichen Regelungen und der Versorgungsausgleich seien im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern nicht anwendbar. Es liege keine institutionell geregelte und andere Personen ausschließende Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs vor. Denn unbeschadet der gegenseitigen Unterhaltsverpflichtung von Verwandten in gerader Linie (§§ 1601 ff. BGB) sei das Verhältnis fast immer einseitig durch Fürsorge, Erziehung und Unterhalt der Kinder durch den Elternteil geprägt.
Das Begehren lasse sich auch nicht auf Art. 6 Abs. 1 GG stützen. Dieser besondere Gleichheitssatz untersage es, Eltern oder alleinerziehende Elternteile gegenüber Kinderlosen schlechter zu stellen. Er gebiete indes nicht die Gewährung des Splitting-Tarifs für Alleinerziehende. Art. 6 Abs. 1 GG erfordere, dass bei der Besteuerung der Familie das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei bleiben müsse (BVerfG, Beschl. v. 08.06.2004 – 2 BvL 5/00 – BVerfGE 110, 412). Der Verschonung des Kinderexistenzminimums werde durch das Kindergeld oder die – wie hier – günstigeren Kinderfreibeträge genügt (BFH, Urt. v. 20.12.2012 – III R 29/12 – BFH/NV 2013, 723).
Unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 02.09.2015 (VI R 32/13 – BStBl II 2016, 151, Anm. Geserich, jurisPR-SteuerR 6/2016 Anm. 4) bestätigt der BFH auch, dass Krankheitskosten nur insoweit zu berücksichtigen sind, als sie die zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) übersteigen. Denn das einkommensteuerrechtlich maßgebliche Existenzminimum richte sich grundsätzlich nach dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau. Da auch Empfänger von Sozialleistungen Zuzahlungen aus den ihnen zur Verfügung gestellten Sozialleistungen bis zur Belastungsgrenze selbst zu erbringen hätten (§ 61 SGB V), gehörten diese nicht zum einkommensteuerrechtlichen Existenzminimum.
Schließlich lehnt der BFH auch einen Anspruch der Klägerin auf einen höheren Entlastungsbetrag für Alleinerziehende ab. Der Betrag sei auch dann nicht zu erhöhen, wenn der andere Elternteil nicht zum Unterhalt der Kinder beiträgt (BFH, Urt. v. 17.09.2015 – III R 36/14 – BFH/NV 2016, 545).

C. Kontext der Entscheidung

Der BFH bezieht sich im Wesentlichen auf den Beschluss des BVerfG vom 07.05.2013 (2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06, 2 BvR 288/07 – BVerfGE 133, 377, zum Ausschluss eingetragener Lebenspartner vom Ehegattensplitting) und auf den BFH-Beschluss in dem der Streitentscheidung vorangegangenen Aussetzungsverfahren (BFH, Beschl. v. 17.10.2012 – III B 68/12 – BFH/NV 2013, 362). Der BFH verneint einen Gleichheitsverstoß damit, dass die Sachverhalte nicht vergleichbar seien. Außerdem sei dem Gesetzgeber in der Ausgestaltung der einkommensteuerrechtlichen Belastung ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt. Ein Verstoß gegen Art. 6 GG (Schutz von Ehe und Familie) wird damit zurückgewiesen, das Kinderexistenzminimum werde durch Kindergeld/Kinderfreibeträge ausreichend verschont. Gleichwohl erscheint es ungerecht, dass ein Zwei-Personen-Haushalt je nachdem unterschiedlich belastet wird, ob es sich um eine Splitting-Gemeinschaft (Ehe/Lebenspartnerschaft) oder um einen Alleinverdiener mit Kind handelt. Entsprechendes gilt – wie im Streitfall – für einen Drei-Personen-Haushalt.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der Klägerin ist zuzugestehen, dass die gegenwärtige Rechtslage nicht ausgeglichen ist. Ihre Einkommensteuer war für sie als Alleinverdienerin mit zwei Kindern um 7.500 Euro höher als für einen Drei-Personen-Haushalt bestehend aus Eltern (Lebenspartnern) und einem Kind. Gleichwohl verneint der BFH einen Verfassungsverstoß. Denn nicht jede als ungerecht empfundene Situation führt zur Verfassungswidrigkeit. Unabhängig davon, ob die Problematik auch an das BVerfG herangetragen wird, sollten entsprechende Fälle auch im Hinblick auf eine mögliche gesetzliche Neuregelung (Stichwort: Familiensplitting oder Erhöhung der Freibeträge) besonders beachtet werden.
Gegen das Urteil zur Minderung der außergewöhnlichen Belastung um die zumutbare Belastung in Krankheitsfällen (BFH, Urt. v. 02.09.2015 – VI R 32/13 – BStBl II 2016, 151, Anm. Geserich, jurisPR-SteuerR 6/2016 Anm. 4) wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt (Az. des BVerfG: 2 BvR 180/16). Im Hinblick darauf wurden Veranlagungen insoweit nur vorläufig durchgeführt (BMF-Schreiben v. 11.04.2016 – BStBl I 2016, 450; BMF-Schreiben v. 20.01.2017 – BStBl I 2017, 66). Nachdem das BVerfG die Verfassungsbeschwerde nicht angenommen hat (BVerfG, Beschl. v. 23.11.2016 – 2 BvR 180/16) hat sich die Problematik für die Praxis erledigt. Weitere Rechtsbehelfe dürften derzeit aussichtslos erscheinen.