Nachfolgend ein Beitrag vom 8.11.2016 von Götsche, jurisPR-FamR 23/2016 Anm. 3

Leitsätze

1. Der gerichtlichen Anordnung eines paritätischen Wechselmodells gegen den Willen eines Elternteils steht – de lege lata – das Fehlen einer Rechtsgrundlage entgegen.
1a. Eine Anordnung in Gestalt einer Umgangsregelung nach § 1684 Abs. 3 Satz 1 BGB kommt weder bei wortlautorientierter noch bei teleologischer Gesetzesauslegung in Betracht.
1b. Für eine Analogie zu § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB ist kein Raum, weil die historische Normgenese gegen die Annahme einer Gesetzeslücke spricht.
1c. Die Zuweisung eines periodisch alternierenden Aufenthaltsbestimmungsrechts ist mit der Systematik der in §§ 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 1687 Abs. 1 Satz 2 BGB verankerten Wertungen strukturell nicht vereinbar.
2. Es gibt in rechtstatsächlicher Hinsicht derzeit keine hinreichend gesicherten humanwissenschaftlichen Erkenntnisse, wonach die erzwungene Anordnung eines Wechselmodells dem Kindeswohl förderlich ist.
3. Das Gelingen eines Wechselmodells setzt ein – im Rahmen einer Einzelfallentscheidung zu überprüfendes – hohes Maß an gegenseitiger Kooperation, Kommunikation und Kompromissbereitschaft der Kindeseltern voraus.

A. Problemstellung

Kann ein Wechselmodell gegen den Willen eines Elternteils – sei es im Wege einer sorgerechtlichen, sei es im Wege einer umgangsrechtlichen gerichtlichen Anordnung – bestimmt werden?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Beteiligten sind die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern des 2008 geborenen Kindes. Im Einvernehmen der Eltern lebt das Kind bei der Mutter, der Vater erhält Umgang alle zwei Wochenenden sowie an einem weiteren Tag aller zwei Wochen.
Der Vater begehrte das Wechselmodell, dem sich die Mutter widersetzte. Das Jugendamt und die Sachverständige rieten von dem Wechselmodell angesichts des Elternstreits ab.
Das mit der Beschwerde des Vaters befasste OLG Jena hat – wie bereits das Amtsgericht – ein Wechselmodell abgelehnt.
Eine Anordnung in Gestalt einer Umgangsregelung nach § 1684 Abs. 3 BGB scheide aus, da das Umgangsrecht nicht dazu diene, eine gleichberechtigte (paritätische) Teilnahme beider Eltern am Leben des Kindes zu ermöglichen. Ebenso wenig komme § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB als Rechtsgrundlage für die Anordnung eines Wechselmodells in Betracht. Eine periodisch wechselnde Zuweisung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Eltern finde im Gesetzeswortlaut keine Stütze. Wegen der aus dem ständigen Aufenthaltswechsel des Kindes nahezu zwangsläufig resultierenden engen Überschneidung der jeweiligen elterlichen Lebensbereiche erscheine vielmehr ein Konsens in wesentlichen Erziehungs- und Betreuungsfragen sowie die Bereitschaft zu wiederholter, kindeswohlgemäßer Anpassung bei Änderung der Umstände unverzichtbar. Eine solche Kooperation sei aber bei Uneinigkeit der Eltern schon über das Wechselmodell als solches in aller Regel nicht zu erwarten. Gegen den Willen eines Elternteils komme die Einrichtung eines Wechselmodells daher nicht in Betracht. Zudem fänden sich auch in der humanwissenschaftlichen Fachliteratur keine stichhaltigen Belege, wonach die Anordnung eines Wechselmodells gegen den Willen eines Elternteils dem Kindeswohl überhaupt förderlich sei.

C. Kontext der Entscheidung

Überwiegend wird das Wechselmodell als Teil des Aufenthaltsbestimmungsrechts (wo wird das Kind betreut?) verstanden. Es ist zwar davon auszugehen, dass eine abstrakte Festlegung auf ein bestimmtes Betreuungsmodell nicht angezeigt ist und dass entscheidender Maßstab für die Regelung im Einzelfall letztlich die für das konkrete Kind beste Alternative ist: das Kindeswohl. Die ganz überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung lehnt aber die Einrichtung des Wechselmodells jedenfalls gegen den Willen eines Elternteils ab (vgl. nur KG Berlin, Beschl. v. 22.05.2015 – 18 UF 133/14 – FamRB 2015, 413). Auch das BVerfG hat eine entsprechende Verfassungsbeschwerde nicht angenommen (BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 24.06.2015 – 1 BvR 486/14 – FamRZ 2015, 1585; Jokisch, FuR 2016, 85, 90).
Scheitert eine gemeinsame Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts an der Uneinigkeit der Kindeseltern, so ist auf der zweiten Prüfungsstufe des § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB festzustellen, welcher Elternteil – allein – zu dessen Ausübung besser geeignet ist. Hierbei gelten die allgemeinen sorgerechtlichen Kriterien (Bindungen des Kindes an Eltern und Geschwister, die elterliche Erziehungsbefähigung und Fördermöglichkeit, der Kontinuitätsgrundsatz und der Kindeswille).
Bei entgegenstehendem Elternwillen begegnet auch eine Ausdehnung der Umgangsregelung, die einem Wechselmodell nahekommt, Bedenken. Das Umgangsrecht soll dem Berechtigten lediglich die Möglichkeit geben, sich laufend von der Entwicklung und dem Wohlergehen des Kindes zu überzeugen und die zwischen ihnen bestehenden natürlichen Bande zu pflegen. Dagegen dient das Umgangsrecht nicht dazu, eine gleichberechtigte Teilhabe beider Elternteile am Leben des Kindes etwa in Form eines Wechselmodells sicherzustellen. Die Umgangsausgestaltung darf also nicht zu einem ungewollten Wechselmodell führen (vgl. nur OLG Saarbrücken, Beschl. v. 08.09.2014 – 6 UF 62/14 – FamRZ 2015, 62).

D. Auswirkungen für die Praxis

Dass ein Wechselmodell funktionieren kann, wenn es von den Eltern gemeinsam getragen und mit Überzeugung praktiziert wird, und hieraus zugleich positive Auswirkungen für das Kindeswohl hervorgehen, unterliegt wohl keinem Zweifel mehr. Der Berater sollte bei jedem noch so schwach entgegenstehenden Willen eines Elternteils aber stets auch das Kindeswohl – welches entscheidungserheblich auch für die Einrichtung eines Wechselmodells ist – beachten. Die beim Wechselmodell auftretenden regelmäßigen Aufenthaltswechsel stellen insbesondere im Schulalltag höhere Anforderungen an die Eltern als ein Umgang lediglich in der Freizeit bzw. im Rahmen einer gelegentlichen Hausaufgabenbetreuung und Lernwiederholung (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 21.05.2015 – 18 UF 231/14 – FamRZ 2015, 1736). Zudem müssen beide Eltern ein möglichst einheitliches Erziehungskonzept entwickeln und zugleich die Erziehungsfähigkeit des anderen anerkennen. Das Wechselmodell verlangt damit deutlich mehr als nur ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen bzw. eine tragfähige soziale Beziehung (vgl. Heilmann, NJW 2015, 3346). Darüber hinaus müssen die Eltern in der Lage sein, bestehende Konflikte einzudämmen und sich hochmotiviert an den Bedürfnissen des Kindes zu orientieren.
Bei ablehnender Haltung eines Elternteils wird deshalb eine Wechselmodell in aller Regel scheitern. Sind sich die Eltern dagegen einig, steht dem Wechselmodell an sich nichts entgegen (wobei auch hier das Kindeswohl den Entscheidungsmaßstab bildet). Zur Vereinbarung zum Wechselmodell vgl. noch Horndasch, FuR 2016, 558, 564.