Nachfolgend ein Beitrag vom 22.5.2018 von Adamus, jurisPR-FamR 10/2018 Anm. 5
Orientierungssatz
Von einem Eltern-Kind-Verhältnis kann ausgegangen werden, wenn die zwischen den Beteiligten entstandene Beziehung dem Verhältnis zwischen volljährigen Kindern und ihren leiblichen Eltern entspricht. Ein derartiges Verhältnis kann auch mit einer langjährigen Hausangestellten entstehen, zu der ein vertrauensvolles Verhältnis besteht, das über eine Freundschaft hinausgeht und das von gegenseitiger Unterstützung geprägt ist.
A. Problemstellung
Wann ist eine Erwachsenenadoption sittlich gerechtfertigt i.S.d. § 1767 Abs. 1 BGB?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Ehe des 1927 geborenen und am 30.11.2014 verstorbenen Annehmenden (A) war kinderlos geblieben. Seine Ehefrau war 2009 vorverstorben. Mit notarieller Urkunde vom 12.11.2014 haben A und die Anzunehmende (T) die Annahme als Kind des A beantragt. Die beiden Söhne der T haben der Adoption zugestimmt. Im Adoptionsantrag haben A und T vorgetragen, dass seit der ersten Begegnung im Jahre 1996 eine große wechselseitige Sympathie bestanden habe. T war seit 1996 im Haushalt des A und seiner Ehefrau stundenweise beschäftigt. In den Folgejahren habe sich das Verhältnis intensiviert und verfestigt und mehr als freundschaftliche Züge angenommen. T habe die Eheleute nach Erkrankungen in den Jahren 2000 und 2003 in jeder Hinsicht unterstützt. In der Trennungsphase der T von ihrem Ehemann (2004 bis 2007, Scheidung 2009) sei T im Hause des A und seiner Ehefrau ein- und ausgegangen. Seit dem Tod der Ehefrau habe sich das Verhältnis zwischen den Beteiligten weiter verfestigt, seitdem seien T und A per Du. Es bestehe die Bereitschaft zur gegenseitigen Unterstützung. Auch zu den Kindern der T bestehe ein inniges Verhältnis. A hat T im Jahr 2014 zwei Vorsorgevollmachten für ihn erteilt und sie als Bevollmächtigte eingesetzt. In dem gemeinschaftlichen Testament der Eheleute A und Testamenten des A ist T mit Vermächtnissen bedacht worden.
Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Es sei nicht hinreichend sicher festzustellen, dass zwischen dem A und T ein Eltern-Kind-Verhältnis entstanden sei. Es sei nicht auszuschließen, dass die gewünschte finanzielle Absicherung der T im Vordergrund gestanden habe.
Das OLG Braunschweig hat die Beschwerde der T als begründet angesehen.
Die formellen Voraussetzungen für die Annahme als Kind gemäß §§ 1767, 1770 BGB seien gegeben. Ebenso lägen die materiellen Voraussetzungen einer Adoption der volljährigen T vor. Gemäß § 1767 Abs. 1 BGB könne ein Volljähriger als Kind angenommen werden, wenn die Annahme sittlich gerechtfertigt sei; dies sei insbesondere dann anzunehmen, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Anzunehmenden ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits entstanden sei.
Von einem Eltern-Kind-Verhältnis könne ausgegangen werden, wenn die zwischen den Beteiligten entstandene Beziehung dem Verhältnis zwischen volljährigen Kindern und ihren leiblichen Eltern entspreche. Das Verhältnis eines volljährigen Kindes sei naturgemäß anders geartet als das eines minderjährigen Kindes und nicht mehr vorwiegend durch Betreuung, Schutz und Erziehung des Kindes geprägt. Für die Annahme einer Eltern-Kind-Beziehung seien Gemeinsamkeiten, familiäre Bindungen und innere Zuwendung erforderlich, wie sie zwischen Eltern und erwachsenen Kindern typischerweise vorlägen, insbesondere ein enger persönlicher Kontakt und die Bereitschaft zu dauerhaftem gegenseitigem Beistand, ggf. in Verbindung mit wirtschaftlicher Hilfe.
Anhand der vorliegenden Umstände und den Angaben der hierzu angehörten Zeugen könne mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass zwischen A und T ein Eltern-Kind-Verhältnis entstanden sei, denn zwischen den Beteiligten bestand ein inniges, vertrauensvolles Verhältnis. Nach der Überzeugung des Oberlandesgerichts ist das zwischen den Beteiligten entstandene Eltern-Kind-Verhältnis das Hauptmotiv der Adoption, wirtschaftliche Gründe stünden nicht im Vordergrund.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des OLG Braunschweig steht im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung zur Volljährigenadoption, mit der sich das Oberlandesgericht umfassend beschäftigt.
Kernpunkt der Entscheidung ist die Auseinandersetzung mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der „sittlichen Rechtfertigung“ i.S.v. § 1767 Abs. 1 BGB. Diese ist anzunehmen, wenn ein Eltern-Kind-Verhältnis zwischen Annehmenden und Anzunehmenden entstanden ist und – entsprechend der Minderjährigenadoption nach §§ 1767 Abs. 2, 1741 BGB – auch dann, wenn seine Entstehung für die Zukunft zu erwarten ist.
Ein Eltern-Kind-Verhältnis zwischen dem Annehmenden und dem anzunehmenden Volljährigen setzt ein solches Maß an innerer Verbundenheit zwischen den Beteiligten voraus, dass sich die Beziehung klar von einer guten Bekanntschaft oder engen Freundschaft abhebt und in die Nähe einer echten, gelebten Beziehung zwischen einem Elternteil und dessen erwachsenem Kind rückt. Dies ist anhand der gewonnenen Erkenntnisse im Einzelfall zu würdigen. Anhaltspunkte sind vorliegend (u.a.) die Integration der Anzunehmenden und der Abkömmlinge in das familiäre Beziehungsgeflecht, das Vertrauensverhältnis (Erteilung einer Vorsorgevollmacht, Beteiligung bei wichtigen Entscheidungen) und wechselseitige Versorgungsleistungen.
Die Eltern-Kind-Beziehung muss dabei der Hauptzweck der Adoption sein. Es ist daher z.B. nicht ausreichend, wenn der Hauptzweck der Adoption das Interesse ist, sich mit einer stärkeren Bindung des Anzunehmenden Pflegeleistungen auch in Zukunft zu sichern (OLG München, Beschl. v. 05.05.2009 – 31 Wx 017/09), Steuern zu sparen (OLG München, Beschl. v. 19.12.2008 – 31 Wx 49/08) oder den Anzunehmenden finanziell abzusichern (OLG München, Beschl. v. 08.06.2009 – 31 Wx 022/09; w.N. Götz in: Palandt, BGB, 76. Aufl. 2017, § 1767 Rn. 7). Finanzielle Motive stehen allerdings nicht im Weg, wenn diese nur Nebenzweck sind und in den Hintergrund treten.
Nur wenn nach Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände begründete Zweifel an der sittlichen Rechtfertigung verbleiben, ist der Adoptionsantrag abzulehnen (OLG Nürnberg, Beschl. v. 04.08.2014 – 9 UF 468/14; OLG Bremen, Beschl. v. 09.11.2016 – 4 UF 108/16).
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Volljährigenadoption ist immer dann möglich, wenn zwischen den Beteiligten ein Verhältnis entstanden ist, dass annähernd einer Eltern-Kind-Beziehung entspricht und die innere Verbundenheit Antrieb/Hauptmotiv für die Adoption ist. Eine Adoption wird in den Fällen abgelehnt, wo der Altersunterschied zu gering ist, weil hier ein echtes Eltern-Kind-Verhältnis nicht entstehen kann (z.B. OLG Bremen, Beschl. v. 09.11.2016 – 4 UF 108/16; KG, Beschl. v. 27.03.2013 – 17 UF 42/13). Der Tod des Annehmenden nach Antragstellung hindert hingegen – wie vorliegend – unter Berücksichtigung der Voraussetzungen des § 1753 Abs. 2 BGB nicht den Ausspruch der Adoption.
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