Nachfolgend ein Beitrag vom 19.1.2016 von Rehbein, jurisPR-FamR 2/2016 Anm. 4

Leitsätze

1. Bei der Teilung von Anrechten in der gesetzlichen Rentenversicherung bleibt der Zugangsfaktor unberücksichtigt.
2. Zur Beschränkung des Versorgungsausgleichs wegen grober Unbilligkeit.

A. Problemstellung

Wie berechnet sich der Ehezeitanteil, wenn die ausgleichspflichtige Person bereits eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht, der wegen vorzeitigen Rentenbezugs ein geminderter Zugangsfaktor (§ 77 SGB VI) zugrunde liegt?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Ehemann hat während der Ehezeit eine vorzeitige Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beantragt. Die Altersrente begann im Jahr 2007. Bei der Berechnung der Rente wurde ein geminderter Zugangsfaktor nach § 77 Abs. 2 SGB VI berücksichtigt, weil die Altersrente vor Erreichen der Regelaltersgrenze beansprucht worden ist.
Bei der Berechnung des Ehezeitanteils hat der Rentenversicherungsträger die Bewertung des Ehezeitanteils nach § 41 VersAusglG anhand der in der Ehezeit erworbenen Entgeltpunkte des Ehemannes vorgenommen. Den der Rente zugrunde liegenden geminderten Zugangsfaktor hat der Rentenversicherungsträger nicht berücksichtigt.
Nachdem das Amtsgericht entsprechend dem vom Rentenversicherungsträger vorgeschlagenen Ausgleichswert über die interne Teilung des Anrechts entschieden hat, wurde vom Ehemann dagegen Beschwerde eingelegt. Nach seiner Auffassung sei der geminderte Zugangsfaktor auch bei der Bewertung des Ehezeitanteils zu berücksichtigen. Hilfsweise müsste ansonsten dies im Rahmen des § 27 VersAusglG zu einer reduzierten Teilung des Anrechts führen.
Das OLG Frankfurt hat die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts sind im neuen Versorgungsausgleichsrecht nur noch die Entgeltpunkte als maßgebende Bezugsgröße zu teilen. Somit kann abweichend vom früheren Versorgungsausgleichsrecht der Zugangsfaktor nicht mehr bei der Bewertung des Ehezeitanteils einbezogen werden. Für die Anwendung des § 27 VersAusglG ist der Rentenbezug mit gemindertem Zugangsfaktor kein ausreichender Grund für das Vorliegen einer unbilligen Härte. Nur wenn weitere Umstände hinzukommen, käme eine Anwendung des § 27 VersAusglG in Betracht.
Der BGH hat die Entscheidung des OLG Frankfurt bestätigt und die Rechtsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen.
Für ein Anrecht, das sich in der Leistungsphase befindet, regelt § 41 die Bewertung dieses Anrechts. Für Anrechte, die der unmittelbaren Bewertung unterliegen, findet § 39 Abs. 1 VersAusglG entsprechend Anwendung (§ 41 Abs. 1 VersAusglG). Für Anrechte der gesetzlichen Rentenversicherung bedeutet dies, dass die Bewertung nach der Summe der Entgeltpunkte vorgenommen wird (§§ 43 Abs. 1 i.V.m. 39 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG).
Bei der Berechnung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wird unterschieden zwischen der Summe der Entgeltpunkte sowie der Summe der persönlichen Entgeltpunkte (§ 66 SGB VI). Die persönlichen Entgeltpunkte errechnen sich, indem die Entgeltpunkte mit dem sich aus § 77 SGB VI ergebenden Zugangsfaktor multipliziert werden. Der Zugangsfaktor vermindert sich im Falle des vorzeitigen Rentenbezuges, also des Rentenbezuges vor Erreichen der maßgebenden Regelaltersgrenze (§ 77 Abs. 2 SGB VI). Er erhöht sich dagegen, bei späterem Bezug einer Regelaltersrente (§ 77 Abs. 3 SGB VI).
Nach der Rechtsprechung des BGH zu dem bis zum 31.08.2009 geltenden Versorgungsausgleichsrecht, war im Falle des vorzeitigen Rentenbezuges der geminderte Zugangsfaktor insoweit bei der Bewertung des Ehezeitanteils nach § 1587a Abs. 2 Nr. 2 BGB a.F. zu berücksichtigen, als der dafür maßgebende vorzeitige Rentenbezug auf die Ehezeit entfallen ist (BGH, Beschl. v. 09.05.2007 – XII ZB 77/06 – FamRZ 2007, 1542; ausf. dazu Rehbein in: Götsche/Rehbein/Breuers, § 41 VersAusglG Rn. 10 ).
Nach dem Wortlaut des § 39 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG ist Grundlage für die Bewertung der Anrechte die Summe der Entgeltpunkte. § 109 Abs. 6 SGB VI bezieht sich ebenfalls auf die Bewertung des Anrechts auf Grundlage der Entgeltpunkte. Nach der Gesetzesbegründung zu § 41 VersAusglG ist die Formulierung bewusst so gewählt worden, um entgegen der zu dem bis 31.08.2009 ergangenen Rechtsprechung des BGH nach neuem Recht nunmehr den Zugangsfaktor auch im Falle des Bezuges einer vorzeitigen Rente mit gemindertem Zugangsfaktor bei der Bewertung unberücksichtigt zu lassen (BT-Drs. 16/10144, S. 80; ausf. Ruland, Versorgungsausgleich, 4. Aufl. 2015 Rn. 383; Wick, Versorgungsausgleich, Rn. 177; a.A. Bergner, NZFam 2015, 889, wonach auch persönliche Entgeltpunkte als maßgebende Bezugsgröße i.S.d. § 5 Abs. 1 VersAusglG zulässig wären und im Falle des vorzeitigen Rentenbezuges zu verwenden wären).
Der BGH hat sich der Auffassung des OLG Frankfurt angeschlossen. Danach ergibt sich aus den §§ 5 Abs. 1 i.V.m. 39 Abs. 2 VersAusglG, dass weder der Rentenbetrag noch die weiteren für seine Berechnung maßgebenden Faktoren eine den Ehezeitanteil prägende Bezugsgröße sein können. Aufgrund der geänderten Rechtslage hält der BGH die zum alten Recht ergangene Rechtsprechung nicht mehr für anwendbar. Die Entscheidung über den vorzeitigen Rentenbezug hängt von der eigenen Entscheidung und individuellen Umständen ab. Somit beruht der vorzeitige Rentenbezug auf personenbezogenen Umständen, die im Versorgungsausgleich nicht zu berücksichtigen sind.

C. Kontext der Entscheidung

Anders als das OLG Frankfurt hatte zuvor das OLG Hamm entschieden, dass die alte Rechtsprechung des BGH auch unter Geltung des neuen Versorgungsausgleichsrechts weiter anzuwenden ist (OLG Hamm, Beschl. v. 17.03.2014 – II-5 UF 61/13, 5 UF 61/13 – FamRZ 2015, 1801). Nach Auffassung des OLG Hamm wäre dem Halbteilungsgrundsatz nur dann ausreichend Rechnung getragen, wenn die Rechtsprechung des BGH zum alten Versorgungsausgleichsrecht auch unter Geltung des neuen Rechts entsprechend weiter angewendet wird.

D. Auswirkungen für die Praxis

Mit der Entscheidung des BGH sollte nunmehr für die Rechtsprechung die Frage geklärt sein, dass ein in der Ehezeit begonnener vorzeitigen Rentenbezug aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit gemindertem Zugangsfaktor keinen Einfluss auf die Bewertung der Anrechte hat, unabhängig davon, inwieweit der vorzeitige Rentenbezug auf einer gemeinsame Entscheidung der Ehegatten beruhte. Ebenso wie das OLG Frankfurt ist das BGH in seiner Begründung zwar irrtümlich davon ausgegangen, dass in derartigen Fällen die Bewertung auf Grundlage des § 109 Abs. 6 SGB VI erfolgt. Diese Norm ist nur anzuwenden im Falle des Bestehens einer Anwartschaft (Rehbein in: Götsche/Rehbein/Breuers, § 41 VersAusglG Rn. 4 f.), nicht dagegen, wenn sich das Anrecht bereits in der Leistungsphase befindet (ebenso Bergner, NZFam 2015, 889). Zu Recht weist der BGH aber darauf hin, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zu § 41 VersAusglG deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass die zum vorherigen Recht maßgebende Rechtsprechung zur Berücksichtigung des Zugangsfaktors für die Bewertung beim Rentenbezug nicht mehr weiter zur Geltung kommen soll. Insofern ist dem BGH auch zuzustimmen, dass für eine weitergehende Berücksichtigung von Berechnungsfaktoren der Rentenberechnung im Hinblick auf die §§ 5 Abs. 1 i.V.m. 39 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG kein Raum bleibt (ebenso Ruland, Versorgungsausgleich, Rn. 383).
Der BGH trägt mit dieser Rechtsprechung auch dazu bei, das Versorgungsausgleichsrecht nicht noch mit weiteren Komplikationen zu belasten. Die Entscheidung des OLG Hamm zur anderen Rechtsauslegung mit der dort angestellten Berechnung macht dies sehr deutlich.
Mit dieser Entscheidung wird auch dem Halbteilungsgrundsatz ausreichend Rechnung getragen. Der BGH folgt auch hierbei der Gesetzesbegründung zu § 41 VersAusglG. Soweit sich im Einzelfall durch die Bewertung des Anrechts bei vorzeitigem Rentenbezug im Ergebnis eine maßgebliche Verletzung des Halbteilungsgrundsatzes tatsächlich ergibt, bleibt eine Korrektur über § 27 VersAusglG möglich. Für eine Annahme des Vorliegens der Voraussetzungen des § 27 VersAusglG müssen aber noch weitere individuelle Gründe hinzukommen, die im Einzelnen vom Betroffenen darzulegen sind (Breuers in: jurisPK-BGB, § 27 VersAusglG Rn. 80 f.).
Um den Unwägbarkeiten einer Entscheidung zu § 27 VersAusglG haben die Parteien auch die Möglichkeit durch eine Vereinbarung unter Ehegatten nach den §§ 6 bis 8 VersAusglG möglichen Belastungen des belasteten Rentenbeziehers entgegenzutreten. Insofern gehört diese naheliegende Gestaltungsmöglichkeit zu den Prüfpflichten des Beraters (Lange in: jurisPK-BGB, § 41 VersAusglG Rn. 16).
Die Entscheidung des BGH ist nicht allein für die Bewertung bei vorzeitigem Rentenbezug aus der gesetzlichen Rentenversicherung bedeutsam. Auch bei anderen Versorgungen, für die die unmittelbare Bewertung nach § 39 VersAusglG gilt und die einen Versorgungsabschlag bei vorzeitigem Rentenbezug vorsieht, ist diese Entscheidung entsprechend anwendbar (z.B. Alterssicherung der Landwirte oder berufsständische Versorgung – Wick, Versorgungsausgleich, Rn. 177; Holzwarth in: Johansen/Henrich, § 41 VersAusglG Rn. 12). In seiner Begründung weist der BGH darauf hin, dass er mit der jüngsten Entscheidung sich auch von seiner früheren zu einer unmittelbar bewerteten berufsständischen Versorgung ergangenen Rechtsprechung abgrenzt (BGH, Beschl. v. 07.03.2012 – XII ZB 599/10 – FamRZ 2012, 851). Obwohl es für den damaligen Beschluss gar nicht entscheidungsrelevant war (weil Beginn der vorzeitigen Rente nach Ende der Ehezeit lag), wies der BGH unter Rn. 24 darauf hin, dass er die zum früheren Recht ergangene Rechtsprechung bei vorzeitigem Rentenbezug auch unter Geltung des neuen Rechts für weiterhin anwendbar hielte. Diese Auffassung scheint der BGH nach den Ausführungen in Rn. 14 der jüngsten Entscheidung nicht weiter zu verfolgen.
Offen bleibt damit noch die Frage, inwieweit bei zeitratierlicher Bewertung ein Versorgungsabschlag bei einer vor Ende der Ehezeit begonnenen Versorgung bei der Bewertung zu berücksichtigen ist. Nach der Gesetzesbegründung soll dort die am Ende der Ehezeit geleistete Versorgung unter Berücksichtigung des Versorgungsabschlags maßgebend sein. Dies soll teilweise durch das Zeit-Zeitverhältnis kompensiert werden, da sich der Gesamtzeitraum bei der Bewertung verkürzt (BT-Drs. 16/10144, 80; ebenso Holzwarth in: Johansen/Henrich, § 41 Rn. 13; Wick Versorgungsausgleich, Rn. 187). Fraglich ist allerdings, ob diese Kompensation tatsächlich so zum Tragen kommt. Darüber hinaus ist der Versorgungsabschlag ein Ausgleich für den längeren Versorgungsbezug, sodass der Barwert der Versorgung sich nicht verändert. Insofern ist diese Differenzierung des Gesetzgebers zwischen unmittelbarer und zeitratierlicher Bewertung hinsichtlich der Berücksichtigung eines Versorgungsabschlages für vorzeitigen Versorgungsbezug nicht plausibel (Hauß in: Schulz/Hauß, § 3 Rn. 10; § 5 Rn. 17 f.; Ruland, Versorgungsausgleich, Rn. 416; Rehbein in: Götsche/Rehbein/Breuers, § 41 Rn. 19). In seiner Entscheidung weist der BGH aber auch darauf hin, dass ein vorzeitiger Rentenbezug in der Ehezeit eine personenbezogene Entscheidung ist. Da nur anrechtsbezogene Entscheidungen beim Versorgungsausgleich zu beachten sind, bleibt dies bei der Bewertung des Ehezeitanteils unberücksichtigt. Für den vorzeitigen Versorgungsbezug kann sich keine andere Betrachtung ergeben. Insofern sollte die Entscheidung des BGH auch für den vorzeitigen Versorgungsbezug mit Versorgungsabschlag vor Ende der Ehezeit bei der zeitratierlichen Bewertung nach § 41 Abs. 2 VersAusglG berücksichtigt werden.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Ein weiteres Thema der Entscheidung des BGH war die Frage des Vorliegens einer unbilligen Härte. Der BGH hat dazu die Auffassung der Vorinstanz bestätigt, dass zwar grundsätzlich eine lange Trennungszeit, in der der andere Ehegatte aus nicht ehebezogenen Gründen keine Anwartschaften mehr erworben hat, in besonderen Fällen eine unbillige Härte darstellen kann (BGH, Beschl. v. 13.02.2013 – XII ZB 527/12 – FamRZ 2013, 690). Da hier die Trennungszeit von 6 Jahren in Relation zur Ehezeit von 43 Jahren vergleichsweise gering war und darüber hinaus nur die ausgleichspflichtige Person davon in 2 Jahren weitere Anrechte erworben hat, kann der Anrechtserwerb in der Trennungszeit hier keine unbillige Härte begründen. Ebenfalls verneint wurde vom BGH, dass die Inanspruchnahme der ausgleichsberechtigten Person aus einer Bürgschaft für Verbindlichkeiten der ausgleichsberechtigten Person das Vorliegen einer unbilligen Härte rechtfertigt, da die Verbindlichkeiten aus einem Erwerbsgeschäft der ausgleichsberechtigten Person resultierten, von dessen Erfolg die ausgleichspflichtige Person während der Ehezeit ebenso partizipiert hätte und folglich von einer gemeinsamen Lebensplanung auszugehen ist. Auch allein die Berücksichtigung der ungekürzten Versorgung beim Versorgungsausgleich ist für sich betrachtet kein Grund für die Annahme des Vorliegens einer unbilligen Härte (BGH, Beschl. v. 07.03.2012 – XII ZB 599/10 – FamRZ 2012, 851; Götsche, FamRB 2015, 454).