Nachfolgend ein Beitrag vom 1.3.2016 von Hamdan, jurisPR-FamR 5/2016 Anm. 4

Leitsätze

1. Zur Auswahl eines Vormundes für unbegleitete Flüchtlinge.
2. Es besteht kein Vorrang eines Berufsvormundes gegenüber der Amtsvormundschaft.

A. Problemstellung

Die Vormundschaft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ist eines der aktuellsten Themen im Vormundschaftsrecht. Dies beweisen nicht zuletzt die Appelle des Berliner Rechtsanwaltvereins, der Berliner Rechtsanwaltskammer sowie des Bochumer Anwalt- und Notarverein e.V. an ihre Mitglieder, sich für das Jahr 2016 als ehrenamtliche Vormünder für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Diesem Aufruf sind bislang mehr als 750 Rechtsanwälte gefolgt.
Häufig stehen dem für die Vormundschaftsbestellung zuständigen Familiengericht allerdings das Jugendamt als Amtsvormund und Rechtsanwälte (als Berufsvormund) zur Auswahl. Auswahlkriterien dürfen dann aber nicht die möglichen Kosten der Vormundschaft sein. Vielmehr ist das Wohl des Mündels in den Vordergrund zu stellen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

In dem dem OLG Celle zur Überprüfung vorgelegten Verfahren hatte das Familiengericht für einen minderjährigen Flüchtling, der unbegleitet nach Deutschland gekommen war und sich in der Obhut des Landkreises befand, das Jugendamt des Landkreises zum Vormund bestellt. Auf die hiergegen erhobene Beschwerde des Landkreises hob das OLG Celle die Bestellung zum Vormund auf und verwies das Verfahren an das Familiengericht zurück, weil das Familiengericht das ihm nach § 1779 BGB bei der Auswahl des Vormunds zustehende Ermessen nicht ausgeübt habe.
Zu einer ordnungsgemäßen Ermessensentscheidung gehöre nämlich zwingend, wie das OLG Celle ausführt, zunächst die Feststellung, welche Personen als Vormund geeignet sind. Das Gericht habe von Amts wegen zu ermitteln (§ 26 FamFG), welche Personen als Vormund in Betracht kommen. Dies sei in dem vorliegenden Verfahren unterlassen worden. Ferner fehle es an einer Begründung, warum das Jugendamt zum Vormund bestellt worden sei. Aufgrund dieser schweren Ermessensfehler war die Entscheidung daher gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG aufzuheben und an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen.

C. Kontext der Entscheidung

Die jüngsten Entscheidungen zu der Frage, was bei der Auswahl eines Vormunds für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling zu beachten ist, betrafen zumeist die Frage, ob dem Mündel neben dem Amtsvormund zur Ausübung der asyl- und ausländerrechtlichen Vertretung ein Rechtsanwalt als Mitvormund zu bestellen ist (dies bejahend: OLG Frankfurt, Beschl. v. 08.01.2015 – 6 UF 292/14; OLG Bamberg, Beschl. v. 07.01. 2015 – 7 UF 261/14; OLG Frankfurt, Beschl. v. 11.09.2014 – 6 UF 239/14; OLG Frankfurt, Beschl. v. 19.02.2014 – 6 UF 28/14; OLG Frankfurt, Beschl. v. 28.01.2014 – 6 UF 289/13; dies verneinend: OLG Frankfurt, Beschl. v. 10.09.2014 – 1 UF 211/14; OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.12.2013 – 5 UF 310/13). Die Bestellung eines Mitvormundes wird in der Entscheidung des OLG Celle indes gar nicht thematisiert. Für die konkrete Entscheidung über die Beschwerde des Landkreises war dies aufgrund der vom OLG Celle festgestellten Ermessensfehler auch nicht notwendig. Die Bedeutung der Entscheidung für die Frage des Verhältnisses von Amtsvormund und Berufsvormund ergibt sich erst aus einem sehr ausführlichen obiter dictum des Oberlandesgerichts.

D. Auswirkungen für die Praxis

Über die eigentliche Zurückweisung des Verfahrens wegen eines Ermessensfehlers hinaus ist diese Entscheidung nämlich vor allem aufgrund der Hinweise des Oberlandesgerichts für das weitere Verfahren von (praktischer) Relevanz. Das OLG Celle stellt dabei nicht nur die bei der Auswahlentscheidung zu beachtenden Grundsätze deutlich klar, sondern listet zudem die Abwägungskriterien auf, die bei der Frage, ob für ein Mündel ein Berufsvormund zu bestellen oder die Amtsvormundschaft des Jugendamtes anzuordnen ist, zu beachten sind. Vor einer Entscheidung über die Bestellung eines Vormunds für einen unbegleitet eingereisten minderjährigen Flüchtling kann diese Entscheidung als eine Art Checkliste wertvolle Hilfestellung geben.
Auszugehen ist stets von dem in § 1776 BGB festgelegten Grundsatz: Ist für ein minderjähriges Kind ein Vormund zu bestellen, so ist zunächst die Person berufen, die von den Eltern des Mündels als Vormund benannt ist. Lässt sich eine solche Bestimmung der Eltern nicht feststellen oder ist die benannte Person nach § 1778 BGB zu übergehen, ist in einem zweiten Schritt zu ermitteln, welche Personen als für dieses Amt geeignet anzusehen sind. Unter diesen Personen ist in einem dritten Schritt sodann ein Vormund nach freiem Ermessen auszuwählen, wobei die Kriterien des § 1779 Abs. 2 Satz 2 BGB zu beachten sind. Dies sind neben dem mutmaßlichen Willen der Eltern die persönlichen Bindungen des Mündels, die Verwandtschaft oder Schwägerschaft mit dem Mündel sowie das religiöse Bekenntnis des Mündels. Dabei ist auch zu berücksichtigen, in welcher Betreuungssituation sich das Kind befindet und welche Aufgaben von dem Vormund zu erledigen sind.
Für die Auswahl unter mehreren grundsätzlich geeigneten Vormündern enthält das Gesetz nur eine Regelung: Gemäß § 1791b Abs. 1 Satz 1 BGB ist die ehrenamtliche Vormundschaft der Amtsvormundschaft vorzuziehen. Steht jedoch kein ehrenamtlich tätiger Vormund zur Auswahl, kommen gleichberechtigt, d.h. ohne dass sich aus dem Gesetz eine Rangfolge ableiten lässt, ein berufsmäßig tätiger Vormund, ein Vormundschaftsverein oder ein Amtsvormund in Betracht. Ist mangels eines ehrenamtlich tätigen Vormunds in diesem dritten Schritt zwischen einem Berufsvormund und dem Jugendamt als Amtsvormund zu entscheiden, können folgende Abwägungskriterien des OLG Celle herangezogen werden:
(1.) Grundsätzlich ist die Vormundschaft zu wählen, die dem Wohl des Mündels am besten dient.
(2.) Gibt es Fremdsprachenkenntnisse, die eine Verständigung mit dem Mündel erleichtern?
(3.) Gibt es Fachkenntnisse, die für den betroffenen Mündel von besonderem Nutzen sind (Erfahrungen mit traumatisierten Kindern; besondere Kenntnisse im Ausländer- und Asylrecht etc.)?
(4.) Hat der Vormund dieselbe Religionszugehörigkeit wie das Mündel?
(5.) Gibt es besondere Kenntnisse über die Möglichkeiten, vorbereitenden Deutschunterricht für den Mündel zu organisieren und einen angemessenen Schulbesuch anzuleiten?
(6.) Kann der Vormund den Kontakt zu den Eltern des Kindes herstellen?
Bei der Auswahl sollte schließlich die Zielrichtung des § 1793 BGB nicht außer Acht gelassen werden. Gemäß § 1793 Abs. 1 BGB tritt der Vormund anstelle der Eltern und hat insbesondere für die Person des Kindes zu sorgen. § 1793 Abs. 1a BGB verpflichtet den Vormund sogar, mit dem Mündel persönlichen Kontakt zu halten. Dieser Aspekt sollte zum Wohl des Mündels nicht vernachlässigt werden.
Gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII hat das Jugendamt die Ausübung der Vormundschaft einem einzelnen Beamten oder Angestellten zu übertragen, so dass dem Mündel eine konkrete Ansprechperson zur Verfügung steht. Dabei ist gerade bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zu berücksichtigen, dass die Jugendämter durch die Inobhutnahme gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII von Beginn an mit dem Mündel in Kontakt stehen und darüber hinaus aufgrund der sozialpädagogischen Kompetenz ihrer Mitarbeiter die Möglichkeit haben, ausländische Kinder, die aufgrund ihrer Vergangenheitserinnerungen und eventueller Traumata besonders begleitet werden müssen, zu betreuen oder auch an geeignete Beratungsstellen zu vermitteln (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.03.2012 – 18 UF 274/11 Rn. 37). Personelle Defizite eines Jugendamtes, die einer Aufgabenerfüllung i.S.d. § 1793 BGB entgegenstehen, müssen in dem Verfahren substantiiert vorgetragen werden.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Auch der Anregung des Jugendamtes, neben einem Vormund einen Ergänzungspfleger für den „Aufgabenkreis Vertretung in asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten“ zu bestellen, hat das OLG Celle eine Absage erteilt. Seiner Auffassung nach rechtfertigt allein der Umstand, dass einem Vormund die Sachkunde für das asyl- und ausländerrechtliche Verfahren fehlt, nicht die Bestellung eines Ergänzungspflegers. Verfüge der Vormund nicht über die zur sachgerechten Besorgung einzelner Geschäfte des Mündels erforderliche Sachkunde, sei es seine Sache, diesen Mangel an Eignung in eigener Verantwortung durch die Inanspruchnahme fachspezifischer Hilfen auszugleichen. Insoweit sei die Situation des Vormunds mit der der Eltern eines Kindes vergleichbar, die sich bei Bedarf der Hilfe von Fachleuten bedienen müssten. Damit liegt das OLG Celle auf der Linie des BGH (Beschl. v. 29.05.2013 – XII ZB 124/12; Beschl. v. 29.05.2013 – XII ZB 530/11). Anders als etwa vom AG Heidelberg (Beschl. v. 21.07.2015 – 31 F 67/15) mit ausführlicher Begründung angenommen, ergibt sich für das OLG Celle auch nichts anderes aus Art. 6 der am 01.01.2014 in Kraft getretenen Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (sog. Dublin-III-VO).