Nachfolgend ein Beitrag vom 10.5.2016 von Götsche, jurisPR-FamR 10/2016 Anm. 5
Leitsätze
1. Die Unbilligkeit i.S.d. § 19 Abs. 3 VersAusglG ist nicht schon deshalb zu verneinen, weil der über ausländische Anwartschaften verfügende Ehegatte (hier: der Ehemann) daneben ausgleichsreife inländische Anwartschaften erworben hat, deren Wert über dem Wert der inländischen Anrechte des anderen Ehegatten (hier: der Ehefrau) liegt. Allein dadurch, dass der Ehefrau die Hälfte des ehezeitlichen Anrechts des Ehemannes in der allgemeinen Rentenversicherung übertragen wird, ist dem Halbteilungsgrundsatz nicht hinreichend Rechnung getragen.
2. Von der Ermittlung der Höhe der ausländischen Anwartschaften kann deshalb nicht abgesehen werden.
A. Problemstellung
Ausländische Anrechte gelten im Versorgungsausgleich als nicht ausgleichsreif und unterfallen deshalb dem Ausgleich nach der Scheidung, § 19 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 4 VersAusglG. Bei Vorhandensein ausländischer Anrechte findet ein Wertausgleich bei der Scheidung jedoch in Bezug auf die sonstigen Anrechte der Ehegatten nicht statt, soweit dies für den anderen Ehegatten unbillig wäre (§ 19 Abs. 3 VersAusglG). Bei Unbilligkeit sind die ausländischen Anrechte daher bereits im Wertausgleich bei der Scheidung im Sinne einer Ausgleichssperre mit zu berücksichtigen. Ist bei der Beurteilung der Unbilligkeit auch zu berücksichtigen, welche weiteren Anrechte der Inhaber der ausländischen Anrechte erworben hat?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Dem Versorgungsausgleich lagen folgende Anrechte zugrunde:
Anrechte des Ehemannes
– in der allgemeinen Rentenversicherung mit einem vorgeschlagenen Ausgleichswert von 9,4782 Entgeltpunkten (korrespondierender Kapitalwert von 61.034,10 Euro).
– in Österreich, vom Amtsgericht nicht ermittelt.
Anrechte der Ehefrau
– in der allgemeinen Rentenversicherung mit einem vorgeschlagenen Ausgleichswert von 3,4986 Entgeltpunkten (korrespondierender Kapitalwert von 22.528,95 Euro).
– Fiktive österreichische Pension bei der österreichischen Pensionsversicherungsanstalt i.H.v. monatlich 5,33 Euro Ehezeitanteil.
Das KG Berlin hält den Umstand, dass der Ehemann mehr Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung als die Ehefrau erworben hat, bei der Prüfung der Unbilligkeit für nicht maßgebend.
Das Gesetz sehe im Versorgungsausgleich eine Verrechnung der beiderseitigen Anrechte durch das Familiengericht nicht vor. In Übereinstimmung mit diesem Prinzip sei bei der Billigkeitsprüfung jedes einzelne Anrecht und nicht ein etwaiger Verrechnungssaldo mehrerer Anrechte zu betrachten. Vorliegen gebiete es der Halbteilungsgrundsatz zu verhindern, dass die frühere Ehefrau durch Teilung ihres Anrechts in der allgemeinen Rentenversicherung insoweit die Hälfte ihrer ehezeitlichen Versorgungsanwartschaften (i.H.v. 3,4986 Entgeltpunkten) verliere und gleichzeitig hinsichtlich der Teilhabe an den (der Höhe nach bislang nicht ermittelten) nicht ausgleichsreifen österreichischen Anwartschaften des früheren Ehemannes auf den schwächeren schuldrechtlichen Ausgleichsanspruch nach der Scheidung verwiesen werde.
Insbesondere da der Wert der ausländischen Anrechte vom Amtsgericht nicht ermittelt wurde, hat das KG Berlin an das Amtsgericht zurückverwiesen.
C. Kontext der Entscheidung
Nach einer Ansicht ist die Unbilligkeit nach § 19 Abs. 3 VersAusglG grundsätzlich dann zu verneinen, wenn der über ausländische Anwartschaften verfügende Ehegatte daneben ausgleichsreife inländische Anwartschaften erworben hat, deren Wert über dem Wert der inländischen Anrechte des anderen Ehegatten liegt (so OLG Brandenburg, Beschl. v. 14.06.2011 – 10 UF 249/10 – FamRZ 2012, 310). Da hier der Ehemann höhere Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung als die Ehefrau erworben hat, wäre nach dieser Ansicht eher keine Ausgleichssperre für die Anrechte der Ehefrau auszusprechen gewesen.
Nach der anderen Meinung, der das KG Berlin ausdrücklich folgt, kann bereits dann, wenn ein Ehegatte über ausländische Anwartschaften verfügt, die mindestens so hoch sind, wie die inländischen Anrechte des anderen Ehegatten, der Ausgleich dieser inländischen Anrechte für den anderen Ehegatten unbillig sein, und zwar obwohl der über die ausländischen Anwartschaften verfügende Ehegatte bei weitem höhere ausgleichsreife Anrechte erworben hat als der andere Ehegatte (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 23.11.2012 – 6 UF 60/12 – FamRZ 2013, 1492). Wegen des noch offenen Werts der ausländischen Anrechte des Ehemanns durfte damit die Unbilligkeit noch nicht verneint werden.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Unbilligkeit nach § 19 Abs. 3 VersAusglG ist von Amts wegen zu beachten. Gleichwohl sollte der Vertreter des für die ausländischen Anrechte Ausgleichsberechtigten (hier der Ehefrau) auf die Norm hinweisen und auf eine möglichst vollständige Aufklärung der ausländischen Anrechte drängen. Denn davon kann abhängen, ob diese Anrechte eine Ausgleichsperre für den Ausgleich eigener Anrechte (hier der Ehefrau) auslöst.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Die Ehefrau hatte zuletzt im Scheidungsverbund die Abfindung der ausländischen Anrechte des Ehemanns begehrt. Das KG Berlin hat darauf hingewiesen, dass über eine schuldrechtliche Abfindung eines Anrechts (§ 23 VersAusglG) bereits in der Erstentscheidung über den Wertausgleich bei der Scheidung entschieden werden kann (vgl. bereits BGH, Beschl. v. 17.04.2013 – XII ZB 371/12 – FamRZ 2013, 1021). Könnte die Ehefrau sich hier erfolgreich abfinden lassen, wäre keine Unbilligkeit nach § 19 Abs. 3 VersAusglG mehr gegeben (vgl. Götsche in: HK-VersAusglG, 2. Aufl. 2015, § 19 Rn. 42).