Nachfolgend ein Beitrag vom 8.11.2016 von Oldenburger, jurisPR-FamR 23/2016 Anm. 5

Leitsätze

1a. Die Entscheidung, ob ein minderjähriges Kind eine Auslandsreise unternimmt, ist nur dann als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung i.S.v. § 1628 BGB anzusehen und folglich als Sorgesache zu qualifizieren, wenn die konkrete Gefahr einer Entführung des Kindes oder seiner Zurückhaltung im außereuropäischen Ausland besteht, bei einer beabsichtigten Reise in politische Krisengebiete, wenn für die zu besuchende Region im Ausland Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes vorliegen oder bei weiten Reisen in einen dem Kind nicht vertrauten, fremden Kulturkreis.
1b. Wenn die Urlaubsreise dagegen in das Vereinigte Königreich und damit in einen europäischen Staat mit stabilen politischen Verhältnissen führt und nur einige Tage dauern soll und das Kind zudem seit seinem zweiten Lebensjahr aufgrund einer gemeinsam getroffenen Entscheidung der Eltern in der englischen Kultur und Sprache erzogen bzw. unterrichtet worden ist, handelt es sich – vorbehaltlich von konkreten Hinweisen auf das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung – bei der Entscheidung, ob das Kind die Auslandsreise antritt, um eine Regelung bzw. Ausgestaltung des Umgangs(-ortes).
2. Soweit die Beschwerde in der Hauptsache gegen eine einstweilige Anordnung unstatthaft ist, können auch Nebenentscheidungen wie beispielsweise Kostenentscheidungen nicht mit der Beschwerde angegriffen werden.

A. Problemstellung

Bei geplanten Auslandsreisen mit gemeinsamen Kindern stellt sich für getrennt lebende Eltern immer wieder die Frage, ob es sich um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung i.S.v. § 1628 BGB oder um die Frage der Ausgestaltung des Umgangsrechts handelt, für welche eine etwaige Regelungskompetenz gemäß § 1684 Abs. 3 Satz 1 BGB in Frage kommt. Auch wenn im Einzelfall nur die Ausgestaltung der Ferienunterbringung und Versorgung zwischen den Eltern im Streit steht, nicht aber das Reiseziel an sich, muss eine dementsprechende Klärung erfolgen. Unter welchen Voraussetzungen ist dann ein sorgerechtlicher Prüfungsmaßstabes anzusetzen?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die miteinander verheirateten Eltern leben seit März 2015 voneinander getrennt. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen. Die elterliche Sorge steht beiden Eltern gemeinsam zu. Beide Kinder haben ihren Lebensmittelpunkt im Haushalt der Mutter; der Vater übt ein umfangreiches Umgangsrecht aus. Die Eltern haben sich gemeinsam dazu entschlossen, ihren beiden Kindern ab dem zweiten Lebensjahr eine englischsprachige Erziehung zukommen zu lassen. Der konkrete Streit dreht sich um den Ferienaufenthalt der Kinder im Sommer 2016: Die Mutter hat die Kinder in England zu einem summer course angemeldet. Die Kinder leben in dieser Zeit in dem Internat und werden durch ein Sport- und Spielangebot beschäftigt und unterhalten. Die Mutter wird beide Kinder nach England begleiten und danach zu ihrem Wohnort zurückkehren. Der Vater ist mit dem summer course an sich einverstanden, jedoch nicht damit, dass die Kinder ohne die Mutter alleine in England bleiben.
Das Familiengericht hat im Wege einstweiliger Anordnung den Antrag des Kindesvaters, die Gestaltung eines Ferienaufenthalts der Kinder in England in Bezug auf die Kindesmutter näher zu regeln und mit Auflagen zu versehen, zurückgewiesen. Es handele sich nicht um eine Entscheidung nach § 1628 BGB. Denn der Umstand, dass die Kindesmutter plane, die Kinder im Rahmen einer dortigen internatsartigen Unterbringung (mit regelmäßigem Sprachunterricht) unter der Woche für einige Tage alleine zu lassen und zu ihrem Wohnort nach Berlin zurückzukehren, betreffe die nähere Ausgestaltung der Ferienregelung und damit eine Umgangsangelegenheit. Eine Reglementierung sei nicht geboten, ein Rechtsmittel gegen diese Umgangsentscheidung nicht zulässig.
Das KG Berlin bestätigte diese Auffassung. Es hob hervor, dass ein Rechtsmittel gegen die Zurückweisung der vom Kindesvater beanspruchten Reglementierung der Ferienregelung gemäß § 57 Satz 1 FamFG unzulässig sei. Überdies sei die Entscheidung aber auch in der Sache zutreffend: Die Ausgestaltung des Umgangs in Ferienzeiten obliege vollumfänglich dem jeweils umgangsberechtigten Elternteil. Dessen Grenze bilde dabei allein das Kindeswohl, wobei auf die Eingriffsschwelle des § 1666 Abs. 1 BGB abzustellen sei. Nur in diesem Fall wäre eine Beschwerde gegen den im Wege einstweiliger Anordnung erlassenen Zurückweisungsbeschluss statthaft. Dann hätte aber eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr vorgelegen haben müssen, dass sich bei weiterer Entwicklung ohne Intervention eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen ließe; die bloße Besorgnis künftiger Gefahren genüge indes nicht. Daran fehle es hier, denn auch eine mehrtägige Unterbringung in einem „Schulheim“ mit entsprechender Versorgung und Betreuung könne nicht ohne weiteres eine solche konkrete und erhebliche Kindeswohlgefährdung bedeuten.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung des KG Berlin reiht sich in eine Vielzahl von Entscheidungen im Spannungsfeld der Ausgestaltung von Ferienregelungen getrenntlebender Eltern ein. Soweit noch in der Entscheidung des OLG Frankfurt vom 21.07.2016 (5 UF 206/16 m. Anm. Clausius, jurisPR-FamR 19/2016 Anm. 7) von einer erheblichen Bedeutung der Angelegenheit bei einer geplanten Türkeireise ausgegangen worden ist, kann dies bei einer Reise nach England grundsätzlich bereits nicht angenommen werden. Die Rechtsprechung ist sich darüber einig, dass Ferienreisen nur dann Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung darstellen, wenn sie in weit entfernte außereuropäische Länder gehen und dort die Gefahr einer Entführung und Zurückhaltung besteht (vgl. Menne, FamRB 2015, 359), wenn Ziel der Reise politische Krisengebiete mit kriegsähnlichen Zuständen sind (so OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.08.2014 – 5 WF 115/14 – FamRZ 2015, 150) oder bspw. wenn Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes vorliegen (AG Pankow-Weißensee, Beschl. v. 08.04.2003 – 16 F 2025/03 – Kind-Prax 2004, 196). Durch die bereits zitierte Entscheidung des OLG Frankfurt wird dies aktuell noch erweitert auf die Türkei; bis dato war das für die Türkei lediglich anerkannt während des Irakkrieges. Die Auswirkungen des Krieges in Syrien und der insbesondere vom sog. Islamischen Staat in der Türkei verübten Terroranschläge haben aber das OLG Frankfurt zu einer Einbeziehung der Türkei, jedenfalls von Ballungsgebieten und bekannten Urlaubsregionen, in den Kreis konkret gefährdeter politischer Krisengebiete bewogen.
Die Entscheidung des KG Berlin setzt demgegenüber an anderer Stelle an und zeigt auf, welche Voraussetzungen für eine Reglementierung der konkreten Ausgestaltung der Umgangskontakte bei Ferienreisen zu beachten sind, wenn das grundsätzliche OK für die Reise als solches nicht im Streit steht. Aber auch in diesen Fällen wird die Eingriffsschwelle unter Berücksichtigung von § 1666 BGB hoch angesetzt. Das Kammergericht stellt darauf ab, dass bei einer Angelegenheit von erheblicher Bedeutung das Kindeswohl im Zentrum stehe und damit eine Voraussetzung für einen Eingriff nur dann vorliege, wenn eine konkrete, gegenwärtige Gefahr vorhanden sei, die eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt. Unter Hinweis auf Götz (in: Palandt, BGB, 75. Aufl., § 1666 Rn. 8) weist das Kammergericht jedoch darauf hin, dass die Besorgnis einer künftigen Gefahr als solches hierfür nicht genüge. Eine „nur“ potentielle Gefahr eines Anschlages in einem EU-Staat würde demnach wohl eher unterhalb der sorgerechtlich geprägten Eingriffsschwelle anzusiedeln sein; die Entscheidung des OLG Frankfurt zu einer kindeswohlgefährdenden „konkreten Gefahrenlage“ in der Türkei dürfte daher nach den Maßstäben der Entscheidung des Kammergerichts zumindest fragwürdig sein.

D. Auswirkungen für die Praxis

Sind sich Eltern grundsätzlich über ein Ferienziel des dann betreuenden Elternteils im Ausland einig, liegt keine sorgerechtlich zu klärende Angelegenheit von erheblicher Bedeutung vor. Etwas anderes kann sich ergeben, wenn die konkrete Ausgestaltung des Umgangs dort dissonant ist. Diese Frage wäre aber nur unter den Voraussetzungen einer Kindeswohlgefährdung i.S.v. § 1666 BGB von sorgerechtlicher Dimension. Dazu bedarf es eines konkreten schlüssigen Sachvortrages zu der Gefahrenlage für das Kind. Pauschale Behauptungen in der Art, dass die geplante Ausgestaltung des Ferienaufenthalts negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder haben könne usw., genügen diesen hohen Anforderungen nicht. Erforderlich wären Sachverhalte, die im Hinblick auf die Unterbringung und Versorgung bei temporärer Abwesenheit des betreuenden Elternteils – wie bspw. bei Reisen in Kriegsgebiete – eine gegenwärtige konkrete Gefahr für das Kindeswohl bedeuten. Nur dann kann eine obergerichtliche Prüfung vorgenommen werden. Andernfalls müssen im Wege der einstweiligen Anordnung getroffene Entscheidungen der Familiengerichte i.S.v. § 1684 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 BGB akzeptiert werden, sie wären einem Rechtsmittel nicht zugänglich, da sie ausschließlich den Bereich des Umgangsrechts betreffen, für welches die Beschwerde ausgeschlossen ist. An den erstinstanzlichen Vortrag bei solchen einstweiligen Anordnungsverfahren sind daher hohe Anforderungen zu stellen, wenn sie für den die Reglementierung beantragenden Elternteil durchsetzbar und im Rechtsmittel überprüfbar sein sollen.