Nachfolgend ein Beitrag vom 19.1.2016 von Kieninger, jurisPR-FamR 2/2016 Anm. 3

Leitsätze

1. Ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt kann auch dadurch entstehen, dass das Einkommen des für den Kindesunterhalt barunterhaltspflichtigen Ehegatten durch den Vorwegabzug des Kindesunterhalts unter das Einkommen des kinderbetreuenden Ehegatten absinkt.
2. Der auf Seiten des kinderbetreuenden Ehegatten entstehenden Belastung ist im Rahmen der Bemessung seiner Erwerbsobliegenheit und durch die (teilweise) Nichtberücksichtigung überobligatorisch erzielten Einkommens Rechnung zu tragen.
3. Unterhalt ist stets zeitbezogen zu ermitteln und im Verfahren geltend zu machen. Fordert der Unterhaltsberechtigte für bestimmte Zeiträume zu viel Unterhalt, so ist sein Antrag insoweit abzuweisen und kann nicht mit anderen Zeiträumen verrechnet werden, in denen er weniger verlangt, als ihm zusteht.

A. Problemstellung

Besteht ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt auch dann, wenn das Einkommen des Berechtigten nur deshalb niedriger ist als das Einkommen des Verpflichteten, weil vom Einkommen des Berechtigten der von diesem geleistete Barunterhalt für die vom Verpflichteten betreuten gemeinsamen Kinder abgezogen wird?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Nach der Trennung der Eheleute betreute die Ehefrau die beiden gemeinsamen 13 und 14 Jahre alten Töchter der Beteiligten, für welche der vollerwerbstätige Ehemann Kindesunterhalt leistete. Die Ehefrau war neben der Kinderbetreuung im Umfang von 70% als Beamtin erwerbstätig. Das bereinigte Einkommen der Ehefrau überstieg das um den Kindesunterhalt verminderte bereinigte Einkommen des Ehemanns um rund 200 Euro monatlich.
Amtsgericht und Oberlandesgericht sprachen dem Ehemann Trennungsunterhalt zu. Die Gerichte gingen davon aus, dass – wie i.R.d. § 1573 Abs. 2 BGB beim nachehelichen Unterhalt – die Einkommensdifferenz der Eheleute im Wege der Halbteilung auszugleichen sei, wobei auf Seiten der Ehefrau das Einkommen aus ihrer Teilzeittätigkeit und auf Seiten des Ehemanns das um den gezahlten Kindesunterhalt verminderte Einkommen aus seiner Vollzeittätigkeit anzusetzen seien. Dem so ermittelten Unterhaltsanspruch des Ehemanns stehe nicht entgegen, dass erst dadurch ein Einkommensgefälle zu seinen Ungunsten entstehe, dass er den Kindesunterhalt zahle. Denn die maßgeblichen persönlichen Verhältnisse i.S.d. § 1578b BGB würden auch durch den zu zahlenden Kindesunterhalt einerseits und die durch die Kinderbetreuung bedingte Teilerwerbstätigkeit der Ehefrau bestimmt.
Der BGH hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts gebilligt und ausgeführt, dass die Berücksichtigung des Barunterhalts für die Kinder bei der Bedarfsbestimmung nicht davon abhänge, ob der unterhaltsverpflichtete oder der unterhaltsberechtigte Elternteil die Kinder betreue. In beiden Fällen würden die ehelichen Lebensverhältnisse durch den Kindesunterhalt geprägt und der betreuende Ehegatte müsse wirtschaftlich mittragen, dass sich das verfügbare Einkommen durch den Kindesunterhalt vermindere. Sinke durch den Abzug des Kindesunterhalts das Einkommen des nicht betreuenden Elternteils unter das Einkommen des betreuenden Elternteils, so sei das Entstehen eines Aufstockungsunterhalts die notwendige Folge.
Zwar könne der Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils (teilweise) entgegenstehen, dass die ihm mögliche Erwerbstätigkeit zusammen mit der Kinderbetreuung zu einer überobligationsmäßigen Belastung führen könne. Diesen Gesichtspunkt habe das Oberlandesgericht aber ausreichend dadurch berücksichtigt, dass bei der Ehefrau nur das Einkommen aus einer Teilerwerbstätigkeit von 70% angesetzt worden sei, bei deren Umfang die Kinderbetreuung bereits beachtet worden sei.
In einem anderen Punkt hatte die Rechtsbeschwerde der Ehefrau gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts dagegen Erfolg. Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts hatte der Ehemann kein Rechtsmittel eingelegt. Das Oberlandesgericht kam in seinen Berechnungen für einige Zeiträume zu einem höheren, für andere Zeiträume zu einem niedrigeren Unterhaltsanspruch des Ehemanns als das Amtsgericht. In seiner Entscheidung hat das Oberlandesgericht die Summen des zu niedrig bemessenen und des zu hoch bemessenen Unterhalts saldiert und die Beschwerde der Ehefrau aufgrund des Saldos zurückgewiesen, obwohl dem Ehemann auch nach der Berechnung des Oberlandesgerichts für einzelne Zeiträume ein niedrigerer als der vom Amtsgericht zugesprochene Unterhalt zustand. In diesem Punkt änderte der BGH die Entscheidung des Oberlandesgerichts ab. Der Unterhalt sei jeweils zeitbezogen zu ermitteln und im Verfahren geltend zu machen. Daher müssten Ansprüche, mit denen zu viel Unterhalt geltend gemacht worden sei, abgewiesen werden. Der überhöht geltend gemachte Unterhalt dürfe nicht mit dem Unterhalt aus anderen Zeiträumen verrechnet werden, in denen weniger geltend gemacht worden sei, als dem Berechtigten zustehe.

C. Kontext der Entscheidung

In der Rechtsprechung war von einzelnen Obergerichten in Zweifel gezogen worden, dass ein Vorwegabzug des Kindesunterhalts bei der Einkommensermittlung auch dann stattfindet, wenn erst hierdurch ein Unterhaltsanspruch des nicht betreuenden Elternteils entsteht (OLG Köln, Urt. v. 20.02.2001 – 14 UF 101/00 – NJW-RR 2001, 1371; OLG Jena, Urt. v. 29.01.2004 – 1 UF 366/03 – FamRZ 2004, 1207; OLG Hamburg, Urt. v. 23.04.1992 – 2 UF 7/92 – FamRZ 1992, 1187). Diesen Zweifeln tritt die vorliegende Entscheidung deutlich entgegen. Der Einwand, dass in solch einem Fall der betreuende Elternteil indirekt zum Barunterhalt der Kinder beitragen müsse, ist nach Auffassung des BGH unberechtigt, weil der betreuende Elternteil bei der Unterhaltsberechnung nach Quoten immer im Ergebnis mittragen müsse, dass sich durch den Bedarf der Kinder das verfügbare Einkommen der Eltern vermindere. Der betreuende Elternteil werde durch die vollständige Übernahme der Barunterhaltspflicht durch den nicht betreuenden Elternteil von seiner eigenen Barunterhaltspflicht für die Kinder befreit. Verfüge er danach über ein höheres Einkommen, sei die Differenz nach den üblichen Grundsätzen auszugleichen.
Der BGH nimmt im Anschluss an diese Ausführungen Bezug auf seine ständige Rechtsprechung zur Möglichkeit einer überobligationsmäßigen Belastung bei gleichzeitiger Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung (grundlegend BGH, Urt. v. 18.04.2012 – XII ZR 65/10 – FamRZ 2012, 1040). Dieser Gesichtspunkt sei jeweils für den konkreten Einzelfall zu prüfen. Im vorliegenden Fall sei nicht von einer überobligationsmäßigen Belastung der Ehefrau auszugehen, da berücksichtigt worden sei, dass sie nur im Umfang einer Teilerwerbstätigkeit von 70% arbeite. Dass bereits die Teilerwerbstätigkeit überobligatorisch sei, habe auch die Ehefrau nicht behauptet.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Bedeutung der Entscheidung liegt zunächst darin, dass sie den Bedenken am Vorwegabzug des Kindesunterhalts bei einer hierdurch entstehenden Unterhaltsberechtigung des barunterhaltspflichtigen Elternteils eine klare Absage erteilt und insoweit die Rechtslage klärt.
Geklärt wurde zudem, dass der richtige Ort für eine mögliche Korrektur des rechnerisch ermittelten Unterhalts unter dem Gesichtspunkt der übermäßigen Belastung des kinderbetreuenden Elternteils der Umfang der Erwerbsobliegenheit dieses Elternteils ist, in die Berechnungsgrundsätze bei der Bedarfsbemessung im übrigen dagegen nicht eingegriffen wird. Hätte die Ehefrau im vorliegenden Fall ein Einkommen aus einer Vollerwerbstätigkeit erzielt, hätte auch dies den Grundsatz des Vorwegabzugs des Kindesunterhalts nicht berührt, es wäre aber zu prüfen gewesen, ob ein Teil des Einkommens der Ehefrau als überobligationsmäßig außer Betracht bleiben muss.
Hinsichtlich der beanstandeten Verrechnung des zu viel verlangten Unterhalts mit dem zu wenig verlangten Unterhalt aus anderen Zeiträumen bringt die Entscheidung nichts Neues, verdeutlicht aber dem Anwender in der Praxis die insoweit geltenden Grundsätze. Diese gelten indes nur für streitige Entscheidungen, da diese streng auf den Streitgegenstand des Verfahrens bezogen sind. Dagegen bleibt es den Gerichten und den Beteiligten unbenommen, im Vergleichswege – insbesondere bei längeren Unterhaltszeiträumen – Saldierungen auch mit strenggenommen nicht streitgegenständlichen Ansprüchen vorzunehmen, wenn dies der materiellen Rechtslage oder dem Befriedungsinteresse der Beteiligten besser entspricht.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Bei der Einkommensermittlung auf Seiten der Ehefrau stellte sich die Frage nach einem möglichen Karrieresprung. Die Ehefrau war nach der Trennung als Beamtin im mittleren Dienst von der Besoldungsgruppe A 8 nach A 9 befördert worden. Der BGH billigt die Auffassung des Oberlandesgerichts, welches das erhöhte Einkommen der Ehefrau als eheprägend angesehen hat. Die Beförderung habe sich innerhalb der Laufbahn des mittleren Dienstes vollzogen und stelle keine unerwartete und vom Normalverlauf abweichende Entwicklung dar. Ein Karrieresprung ergebe sich auch nicht daraus, dass die Ehefrau mit 41 Jahren bereits die Besoldungsendstufe des mittleren Dienstes erreicht habe.