Nachfolgend ein Beitrag vom 20.6.2017 von Schürmann, jurisPR-FamR 12/2017 Anm. 1

Leitsatz

Der volljährige Unterhaltsberechtigte kann den Anspruch auf Auskehr des Kindergeldes gegen einen Elternteil, gegen den ein Titel über Barunterhalt besteht, ohne ein Abänderungsverfahren eigenständig geltend machen. Der Anspruch auf Auskehr des Kindergeldes ergibt sich aus § 1601 BGB (analog).

A. Problemstellung

Kindergeld ist für den Unterhalt des Kindes zu verwenden, gehört aber zum Einkommen des bezugsberechtigten Elternteils. Was ändert sich, wenn das Kindergeld an den barunterhaltspflichtigen Elternteil ausgezahlt wird, nachdem bereits ein Unterhaltstitel besteht?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Antragstellerin ist Studentin. Sie wohnte anfangs noch im Haushalt ihrer Mutter. Bereits 2013 hatte sie sich mit ihrem Vater, dem Antragsgegner, in einem gerichtlichen Vergleich auf einen monatlich zu zahlenden Unterhalt von 700 Euro geeinigt.
Nachdem die Antragstellerin einen eigenen Haushalt begründet hatte, wurde das Kindergeld ab Mai 2015 an den Antragsteller ausgezahlt. Mit ihrem Antrag begehrt sie von diesem, das erhaltene Kindergeld für den Zeitraum von Mai 2015 bis April 2016 zusätzlich an sie auszukehren. Dazu führt sie aus, dass das Kindergeld seinerzeit auf ihren Unterhalt angerechnet und ihr von ihrer Mutter immer ausgehändigt worden sei. Der Antragsgegner wendet sich gegen eine weitere Zahlungspflicht u.a. mit dem Einwand, der geleistete Betrag übersteige bereits ihren angemessenen Bedarf. Das Amtsgericht hatte dem Antrag stattgegeben.
Die Beschwerde des Antragsgegners ist im Wesentlichen erfolglos geblieben.
Der Anspruch auf Auskehr der Kindergeldes sei ebenfalls unterhaltsrechtlicher Natur und ergebe sich aus einer analogen Anwendung des § 1601 BGB. Hierfür bedürfe es keiner Überprüfung des bestehenden Unterhaltsverhältnisses. Vielmehr genüge es für einen Anspruch auf Auskehrung des Kindergeldes, dass der Antragsgegner dieses beziehe. Selbst wenn er überhaupt keinen Barunterhalt mehr schulde, könne er das Kindergeld nicht für sich vereinnahmen. Nach den im vorangegangenen Verfahren gewechselten Schriftsätzen sei auch davon auszugehen, dass das Kindergeld entsprechend der Regelung des § 1612b Abs. 1 BGB auf den Unterhalt angerechnet worden sei.

C. Kontext der Entscheidung

Das OLG Stuttgart bezieht sich zur Begründung seiner Auffassung auf die Rechtsprechung des BGH zur Aufteilung des Kindergeldes zwischen beiden Eltern (BGH, Urt. v. 26.10.2005 – XII ZR 34/03 – FamRZ 2006, 99; BGH, Urt. v. 17.01.2007 – XII ZR 166/04 – FamRZ 2007, 542). Zwar spricht der BGH dort von einem unterhaltsrechtlichen Anspruch auf „Auskehr des Kindergeldes“, wenn der bezugsberechtigte Elternteil in seinem Haushalt keine dem Umfang des Kindergeldes entsprechende Unterhaltsleistungen erbringt oder sich ein auswärts studierendes Kind vollumfänglich selbst unterhalten muss. Diese Ausführungen stehen indes im Kontext mit der jeweiligen Unterhaltspflicht der Eltern. Es greift daher zu kurz, diesen Ausführungen einen eigenständigen von Unterhaltspflichten unabhängigen Anspruch auf Auskehrung des Kindergeldes zu entnehmen. Ein solcher besteht beispielsweise nicht, wenn das eigene Einkommen eines Kindes genügt, um seinen Bedarf zu decken.
Kindergeld ist stets Einkommen des jeweils Bezugsberechtigten (BSG, Urt. v. 25.04.2013 – B 8 SO 8/12 R; BSG, Urt. v. 08.02.2007 – B 9b SO 5/06 R; BGH, Beschl. v. 14.12.2016 – XII ZB 207/15). Bei konkurrierender Berechtigung ist die gesetzliche Rangfolge des § 64 Abs. 2, 3 EStG maßgebend. Bei einem nicht im Haushalt eines Berechtigten lebenden Kind erhält das Kindergeld derjenige, der den (höchsten) Unterhalt für das Kind zahlt. Nur wenn trotz bestehender Bedürftigkeit kein Unterhalt gezahlt wird oder dieser nicht die Höhe des Kindergeldes erreicht, kann das Kind eine Auszahlung an sich beanspruchen (§ 74 Abs. 1 EStG; zur Bemessung vgl. BFH, Urt. v. 03.07.2014 – III R 41/12 – FamRZ 2015, 260).
Eine andere Beurteilung lässt sich auch nicht aus § 11 Abs. 1 SGB II, § 92 SGB XII oder den familienrechtlichen Regeln zur Anrechnung des Kindergeldes auf den Bedarf (§ 1612b BGB) herleiten. Es handelt sich in allen Fällen um Zurechnungsvorschriften, die eine zweckentsprechende Verwendung des Kindergeldes gewährleisten sollen. Es entspricht einem allgemeinen sozialrechtlichen Prinzip, dass als Mindestbeitrag das Kindergeld auch dann für den Lebensunterhalt einzusetzen ist, wenn mangels Leistungsfähigkeit keine weitergehende Unterhaltspflicht besteht (vgl. (§ 74 Abs. 1 Satz 3 EStG; § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB I; § 94 Abs. 3 SGB VIII).

D. Auswirkungen für die Praxis

Der Entscheidung ist nicht zu folgen. Denn unterhaltsrechtlich sind die vorstehenden Grundsätze zur Verwendung des Kindergeldes nicht isoliert zu betrachten. Sie stehen vielmehr im Kontext mit der individuellen Unterhaltspflicht. Diese hängt vom Bedarf des Kindes sowie der Pflicht der Eltern zur Leistung von Barunterhalt ab.
Hierbei gibt es drei Grundmuster:
1. Der mit dem Kind zusammenlebende Elternteil bezieht das Kindergeld, nur der andere Elternteil ist barunterhaltspflichtig. Es ist der um das halbe oder ganze Kindergeld (§ 1612b Abs. 1 BGB) verminderte Betrag aufzubringen; die Differenz in Höhe des Kindergeldes ist von dem mit dem Kind zusammenlebenden Elternteil aufzufüllen. Durch das bezogene Kindergeld braucht jener kein eigenes Einkommen einzusetzen.
2. Beide Eltern sind barunterhaltspflichtig. Den um das Kindergeld verminderten Bedarf haben beide Eltern anteilig im Verhältnis ihrer Einkommen aufzubringen (§1606 Abs. 1 BGB). Die Differenz ist von dem das Kindergeld beziehenden Elternteil aufzufüllen. Lebt dieser mit dem Kind in einem Haushalt, geschieht dies regelmäßig durch materielle Zuwendungen einschließlich des zur Verfügung gestellten Wohnraums. Lebt dieser nicht mit dem Kind zusammen, erhöht sich die Zahlungspflicht um das einzusetzende Kindergeld.
3. Der allein zum Barunterhalt verpflichtete Elternteil bezieht zugleich das Kindergeld. Seine Unterhaltspflicht umfasst den vollen Bedarf des Kindes – als Tabellenunterhalt, Festbetrag für Studierende oder bei besonderen Umständen nach konkreter Berechnung. Einer besonderen Verrechnung des Kindergeldes bedarf es nicht. Diese mindert im Saldo nur den vom Barunterhaltspflichtigen aus seinem übrigen Einkommen aufzubringenden Betrag.
Besteht bereits ein Titel über den Unterhalt, regelt dieser den vollen Unterhalt, wie er von dem barunterhaltspflichtigen Elternteil zu zahlen ist. Ändert sich die Bezugsberechtigung des Kindergeldes, wodurch dem Kind ein entsprechend geringerer Unterhalt zur Verfügung steht, besagt dies nicht, dass sich der titulierte Unterhalt automatisch um diesen Betrag erhöht – der Vater nunmehr statt 700 Euro insgesamt 888 Euro an Unterhalt schuldet. Es handelt sich vielmehr um eine grundlegende Veränderung der für die Bemessung des Unterhalts maßgeblichen Verhältnisse. Bereits die Begründung eines eigenen Hausstandes durch das noch in der Ausbildung befindliche Kind berührt die Grundlagen der früheren Vereinbarung. So wäre der Bedarf nunmehr mit dem Satz für Studierende zu bemessen. Auch stellt sich erneut die Frage nach der Barunterhaltspflicht beider Elternteile.
Die Anpassung eines bereits titulierten Unterhalts hat daher im Rahmen eines Abänderungsverfahrens zu erfolgen. Bei einem Wechsel der Bezugsberechtigung muss das volljährige Kind dabei die Gründe vortragen, aus denen ihm ein Festhalten an dem unter anderen Voraussetzungen vergleichsweise vereinbarten Unterhalt nicht zuzumuten ist (§ 239 FamFG, § 313 BGB). Dies erfordert die Darlegung seines aufgrund der veränderten Lebensumstände bestehenden Bedarfs einschließlich der Haftungsanteile beider Eltern (BGH, Beschl. v. 07.12.2016 – XII ZB 422/15 – FamRZ 2017, 370).
Auf ein Abänderungsverfahren kann auch deshalb nicht verzichtet werden, weil ein Unterhaltsverhältnis nur einheitlich festgestellt werden kann. So hat das Oberlandesgericht die Pflicht zur Auskehr des Kindergeldes ebenfalls aus dem Unterhaltsrecht abgeleitet – mit der Folge, dass nunmehr zwei getrennte Titel über den Unterhalt bestehen.