Nachfolgend ein Beitrag vom 25.4.2017 von Götsche, jurisPR-FamR 8/2017 Anm. 3

Leitsätze

1. Eine gerichtliche Umgangsregelung, die im Ergebnis zu einer gleichmäßigen Betreuung des Kindes durch beide Eltern im Sinne eines paritätischen Wechselmodells führt, wird vom Gesetz nicht ausgeschlossen. Auch die Ablehnung des Wechselmodells durch einen Elternteil hindert eine solche Regelung für sich genommen noch nicht. Entscheidender Maßstab der Regelung ist vielmehr das im konkreten Einzelfall festzustellende Kindeswohl.
2. Die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Umgangsregelung setzt eine bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern voraus (Fortführung des Beschl. v. 15.06.2016 – XII ZB 419/15 – FamRZ 2016, 1439). Dem Kindeswohl entspricht es daher nicht, ein Wechselmodell zu dem Zweck anzuordnen, eine Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit erst herbeizuführen.
3. Ist das Verhältnis der Eltern erheblich konfliktbelastet, so liegt die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Anordnung in der Regel nicht im wohlverstandenen Interesse des Kindes.
4. Das Familiengericht ist im Umgangsverfahren zu einer umfassenden Aufklärung verpflichtet, welche Form des Umgangs dem Kindeswohl am besten entspricht. Dies erfordert grundsätzlich auch die persönliche Anhörung des Kindes (im Anschluss an Beschl. v. 15.06.2016 – XII ZB 419/15 – FamRZ 2016, 1439).

A. Problemstellung

Darf eine gerichtliche Umgangsregelung auch ein Umgangsrecht im Umfang eines strengen oder paritätischen Wechselmodells, also einer etwa hälftigen Aufteilung der Betreuung zwischen den Eltern, zum Inhalt haben?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die gemeinsam sorgeberechtigten, voneinander geschiedenen Eltern haben eine Umgangsregelung vereinbart, nach welcher der Sohn den Vater alle 14 Tage am Wochenende besucht. Außerdem vereinbarten sie Ferienumgang. Der Vater erstrebt eine Ausweitung des Umgangs in der Form eines paritätischen Wechselmodells sowie eine gleiche Aufteilung der Ferien und Feiertage.
Der BGH hält eine Umgangsregelung, die einem Wechselmodell gleichkommt, für zulässig.
Eine zum paritätischen Wechselmodell führende Umgangsregelung stehe wie eine gleichlautende Elternvereinbarung mit dem gemeinsamen Sorgerecht in Einklang. Eine Vorgabe, in welchem Umfang ein Umgang maximal angeordnet werden könne, enthalte das Gesetz nicht. Daher sei es vom Gesetzeswortlaut auch umfasst, durch Festlegung der Umgangszeiten beider Eltern die Betreuung des Kindes hälftig unter diesen aufzuteilen.
Die gerichtliche Festlegung des Umgangsumfangs habe keinen grundsätzlichen Einfluss auf das Verhältnis von Sorge- und Umgangsrecht. Sich ggf. aus dem Wechselmodell ergebende sorgerechtliche Folgen ließen sich wie bei einem von den Eltern vereinbarten Wechselmodell und allgemeinen Umgangsregelungen aus § 1687 BGB entnehmen. Ob auf entsprechenden Antrag eines Elternteils und mit welchem Inhalt auch eine auf das gleiche Ergebnis gerichtete Sorgerechtsregelung möglich sei, lässt der BGH offen.
Für die Umgangsregelung seien die gleichen Grundsätze zugrunde zu legen, wie sie für die gemeinsame elterliche Sorge gelten. Dafür sei jeweils eine Einzelfallentscheidung geboten, orientiert am Kindeswohl. Heranzuziehen seien hierzu die anerkannten Kriterien, wie etwa Erziehungseignung der Eltern, Bindungen und Willen des Kindes sowie Förderungs- und Kontinuitätsprinzip. Die Kindeswohldienlichkeit setze eine elterliche Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit voraus, wobei es keines Konsenses über die Betreuung im Wechselmodell bedürfe. Ein paritätisches Wechselmodell auf der Ebene des Umgangs scheide damit ebenso wie eine gemeinsame elterliche Sorge im Fall hoher elterlicher Konfliktbelastung aus.

C. Kontext der Entscheidung

Die ganz überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung lehnt die Einrichtung des Wechselmodells jedenfalls gegen den Willen eines Elternteils ab (vgl. zuletzt OLG Dresden, Beschl. v. 08.02.2017 – 20 UF 853/16). Die wohl h.M. ging bislang davon aus, dass deshalb auch die Umgangsausgestaltung nicht zu einem ungewollten Wechselmodell führen darf (OLG Schleswig, Beschl. v. 16.06.2016 – 10 UF 197/15 – FamRZ 2016, 1945; OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.02.2016 – 10 UF 213/14 – FamRZ 2016, 1473; OLG Jena, Beschl. v. 07.04.2016 – 2 UF 651/15 – FamRZ 2016, 2122; OLG Jena, Beschl. v. 12.09.2016 – 4 UF 678/15 – FamRZ 2016, 2126; OLG Dresden, Beschl. v. 27.06.2016 – 20 UF 456/16 – MDR 2016, 1456, OLG Dresden, Beschl. v. 29.07.2011 – 21 UF 354/11, 21 UF 0354/11 – FamRZ 2011, 1741; OLG München, Beschl. v. 31.08.2016 – 16 UF 1019/16 – FamRZ 2016, 2120). Der BGH relativiert dies. Er sieht eine „wechselmodellgleiche“ Umgangsregelung als zulässig an, wenn dies die dem Kindeswohl bestdienende Entscheidung darstellt. Damit bleibt aber weiter unklar, ob das Wechselmodell eher dem Sorge- oder dem Umgangsrecht zuzuordnen ist.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das einzelfallbezogen zu prüfende Kindeswohl ist der zentrale Aspekt, gleich ob es um das elterliche Sorgerecht oder das Umgangsrecht geht. Bei hoher elterlicher Konfliktbelastung entspricht das Wechselmodell in der Regel nicht dem Kindeswohl. Es ist auch regelmäßig ungeeignet, das Wechselmodell anzuordnen, um die Eltern zu einem harmonischen Zusammenwirken zu veranlassen.
Schließt der Elternkonflikt dagegen ausnahmsweise die (umgangsrechtliche) Anordnung des Wechselmodells nicht aus, so muss zudem festgestellt werden, ob
auf Seiten des Kindes eine auf sicherer Bindung beruhende tragfähige Beziehung zu beiden Elternteilen besteht,
der Kindeswillen auf die wechselnde Betreuung gerichtet ist,
geeignete Rahmenbedingungen bestehen, so etwa Nähe der elterlichen Haushalte oder Erreichbarkeit von Schule und Betreuungseinrichtungen.