Nachfolgend ein Beitrag vom 16.8.2016 von Stockmann, jurisPR-FamR 17/2016 Anm. 6

Leitsätze

1. Dem einem minderjährigen Verheirateten bestellten Vormund kommt wegen §§ 1800, 1633 BGB keine Entscheidungsbefugnis für den Aufenthalt des Mündels zu. Dies gilt auch hinsichtlich wirksam verheirateter minderjähriger Flüchtlinge, wenn nach dem Recht des Herkunftstaates insoweit ebenfalls keine elterliche Sorge besteht (Art. 15, 16, 20 KSÜ).
2. Eine in Syrien nach syrischem Eheschließungsrecht wirksam geschlossene Ehe einer zum Eheschließungszeitpunkt 14-Jährigen mit einem Volljährigen ist als wirksam anzuerkennen, wenn die Ehegatten der sunnitischen Glaubensrichtung angehören und die Ehe bereits vollzogen ist.
3. Die Unterschreitung des Ehemündigkeitsalters des § 1303 BGB bei einer Eheschließung im Ausland führt selbst bei Unterstellung eines Verstoßes gegen den ordre public (Art. 6 EGBGB) nicht zur Nichtigkeit der Ehe, wenn nach dem für die Eheschließung gem. Art. 11, 13 EGBGB anzuwendenden ausländischen Recht die Ehe bei Unterschreitung des dort geregelten Ehemündigkeitsalters nicht unwirksam, sondern nur anfechtbar oder aufhebbar wäre.

A. Problemstellung

Die Norm des § 1633 BGB betreffend die Beschränkung des Sorgerechts bei verheirateten Minderjährigen hat bei Eheschließungen, die nach deutschem Eherecht erfolgen, kaum Bedeutung, da das Ehemündigkeitsalter nach § 1303 BGB und das Volljährigkeitsalter regelmäßig identisch sind. Die Regelung wird aber relevant, wenn die Eheschließung im Ausland in Anwendung des dort teils deutlich niedrigeren Ehemündigkeitsalters erfolgt ist. Entscheidende Vorfrage ist dann, ob die ausländische Eheschließung hier anerkannt werden kann.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Eine damals 14-jährige Syrerin heiratete im Februar 2015 in ihrem Heimatland beim zuständigen Scharia-Gericht ihren 21-jährigen Cousin. Zwar sieht das syrische Personenstandsrecht vor, dass die Frau bei der Eheschließung das 17. Lebensjahr vollendet haben soll. Eine Heirat kann aber auch dann erfolgen, wenn die Frau das 13. Lebensjahr vollendet hat und der Richter, der in diesem Fall die Trauung selbst vornimmt, die Reife der Frau im Hinblick auf die Eheschließung als gegeben ansieht.
Die jungen Eheleute lebten zunächst in Syrien in ehelicher Lebensgemeinschaft zusammen, flüchteten dann wegen der dortigen Kriegsereignisse gemeinsam über die „Balkanroute“ nach Deutschland. Hier stellte das AG Aschaffenburg im September 2015 das Ruhen der elterlichen Sorge für die Frau fest, ordnete Vormundschaft für diese an und bestellte durch einstweilige Anordnung das Jugendamt zum Vormund. Dieses trennte die Eheleute, brachte die junge Frau in einer Jugendhilfeeinrichtung für weibliche minderjährige unbegleitete Flüchtlinge unter und untersagte den nicht überwachten Kontakt zum Ehemann: Es sei damit zu rechnen, dass die Eheleute sexuelle Handlungen miteinander durchführen wollten, dies sei nach § 182 StGB strafbar.
In der Folgezeit forderte der Ehemann das Amtsgericht auf, die Entscheidung zu überprüfen und begehrte die „Rückführung“ seiner Frau zu ihm. Gleichzeitig übersandte er beglaubigte Ausfertigungen der Heiratsurkunde und der Eheschließungsbestätigung samt deutscher Übersetzungen. Bereits Wochen zuvor hatte die für Syrien zuständige Deutsche Botschaft dem Jugendamt mitgeteilt, dass von der Echtheit dieser Urkunden ausgegangen werden könne.
Das Amtsgericht legte das Schreiben des Ehemannes als Antrag für ein neu einzuleitendes Verfahren auf Regelung des Umgangs mit seiner Ehefrau aus und sprach ihm einen wöchentlichen – nicht überwachten – Umgang von Freitagabend bis Sonntagabend zu. Der Ehemann sei jedenfalls eine enge Bezugsperson nach § 1685 Abs. 2 Satz 1 BGB. Eine Verwirklichung des Straftatbestandes nach § 182 Abs. 3 StGB drohe nicht, da eine Ausnutzung einer fehlenden sexuellen Selbstbestimmung der jungen Frau nicht zu befürchten sei. Sie sei nicht mit anderen deutschen 15-jährigen Mädchen vergleichbar, habe vielmehr bereits in Syrien vor der gemeinsamen Flucht mit ihrem Mann zusammengelebt. Auch sei nicht von einer Zwangsheirat auszugehen.
Gegen diese Entscheidung hat das Jugendamt Beschwerde eingelegt und beantragt, dem Ehemann in jeder Woche nur einen dreistündigen überwachten Umgang zu gewähren. Bei einem unbegleiteten Umgang beider sei zu befürchten, dass ungeschützter Geschlechtsverkehr stattfinde.
Das OLG Bamberg hat die Beschwerde des Jugendamtes zurückgewiesen und die angefochtene Entscheidung ersatzlos aufgehoben.
Das anzuwendende Recht für den Bereich des Umgangs und des Aufenthalts im Rahmen der Personensorge als Teilbereich der elterlichen Verantwortung bestimme sich über Art. 15 Abs. 1 KSÜ nach deutschem Recht. Gemäß Art. 20 KSÜ sei dieses Übereinkommen auch für Staatsangehörige von Nichtvertragsstaaten wie Syrien anwendbar.
Die Eheschließung sei unter ausführlicher Auseinandersetzung mit dem syrischen Recht als wirksam anzusehen. Sie verstoße auch nicht gegen den ordre public. Es gebe auch keinen Automatismus dahingehend, dass bei Unterschreitung des Ehemündigkeitsalters nach § 1303 BGB die nach ausländischem Recht wirksam geschlossene Ehe nicht anerkannt werden könne. Im Übrigen sei auch eine entgegen § 1303 BGB geschlossene Ehe lediglich gemäß § 1314 BGB aufhebbar. Konsequenz sei, dass § 1633 BGB i.V.m. § 1800 BGB Anwendung finde und deshalb stehe der jungen Frau die eigene volle Entscheidungsbefugnis für ihren Aufenthalt und ihren Umgang zu, da dem Vormund insoweit keine Entscheidungsbefugnis zukomme. Eine solche ergebe sich auch nicht aufgrund Art. 16 Abs. 3 und 4 KSÜ i.V.m. dem syrischen Kindschaftsrecht, da aufgrund der Eheschließung in Syrien die elterliche Verantwortung auch nach syrischem Recht erloschen sei.
Wegen dieser Beschränkung der Entscheidungsbefugnis des Vormunds stehen der Frau das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Entscheidungsbefugnis für ihren Umgang mit anderen Personen ausschließlich selbst zu. Der amtsgerichtliche Beschluss zur Regelung des Umgangs sei ohne Rechtsgrundlage erfolgt. Mangels diesbezüglichem Personensorgerechts des Vormunds sei das Amtsgericht nicht befugt gewesen, zum Umgangsrecht Anordnungen zu treffen. Der Vormund habe zu respektieren, dass die Frau berechtigt ist, zu jeder Zeit zu ihrem Ehemann zu ziehen.

C. Kontext der Entscheidung

Zu der Vorfrage, ob die Anerkennung im Ausland erfolgter Eheschließungen Minderjähriger, die nach deutschem Recht noch nicht ehemündig sind, gegen den deutschen ordre public verstößt, liegen zwei gegensätzliche obergerichtliche Entscheidungen vor: Einmal (KG Berlin, Urt. v. 07.06.1989 – 18 U 2625/88 – FamRZ 1990, 45) bestanden keine Einwendungen gegen die Heirat einer 15-jährigen unter Anwendung türkischen Rechts. Andererseits (KG Berlin, Beschl. v. 21.11.2011 – 1 W 79/11) wurde die Eheschließung einer 14-jährigen im Libanon wegen eines starken Inlandsbezuges nicht anerkannt: Der Ehepartner, ein deutscher Staatsangehöriger, war nur zur Eheschließung in den Libanon gereist, ein eheliches Zusammenleben im Libanon fand nicht statt.
Demgegenüber lebten in dem Fall des OLG Bamberg die jungen Eheleute etwa ein halbes Jahr zusammen, bevor sie in Deutschland Zuflucht suchten. Hier erscheint der Inlandsbezug deutlich schwächer.

D. Auswirkungen für die Praxis

Es besteht Anlass, auf die klare Rechtsprechung des BGH zur Anerkennung ausländischer Entscheidungen hinzuweisen: Hierbei ist nicht auf den nationalen (kollisionsrechtlichen) ordre public nach Art. 6 EGBGB abzustellen, den die deutschen Gerichte bei Anwendung ausländischen Rechts zu beachten haben, sondern auf den großzügigeren anerkennungsrechtlichen ordre public international. Mit diesem ist eine ausländische Entscheidung nicht schon dann unvereinbar, wenn der deutsche Richter aufgrund zwingenden deutschen Rechts zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts im konkreten Fall zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach deutscher Vorstellung untragbar erscheint (BGH, Beschl. v. 10.12.2014 – XII ZB 463/13 Rn. 28; BGH, Beschl. v. 17.06.2015 – XII ZB 730/12 Rn. 34). Das Recht der Entscheidungsanerkennung verfolge als Ziel die Wahrung des internationalen Entscheidungseinklangs und die Vermeidung sog. hinkender Rechtsverhältnisse. Deshalb bleibe, so der BGH, die Versagung der Anerkennung wegen Verstoßes gegen den ordre public auf Ausnahmefälle beschränkt.