Nachfolgend ein Beitrag vom 5.1.2016 von Viefhues, jurisPR-FamR 1/2016 Anm. 5

Leitsatz

Ein Berufspraktikum im Anschluss an die Fachhochschulreife ist keine allgemeine Schulausbildung, auch wenn der Zugang zur Fachhochschule das Absolvieren eines Praktikums voraussetzt.

A. Problemstellung

Der Unterhaltsanspruch volljähriger Kinder hängt in der Praxis entscheidend davon ab, ob sie eine Ausbildung durchführen.
Jedoch können sich die beiderseits unterhaltspflichtigen Eltern dem volljährigen Kind gegenüber auf einen erhöhten Selbstbehalt berufen – derzeit noch 1.300 Euro. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Unterhalt beanspruchende Kind als privilegierter Volljähriger i.S.d. § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB einzustufen ist. Dann greift die verstärkte Haftung, die auch gegenüber minderjährigen Kindern gilt. Konkret bedeutet dies, dass der niedrige Selbstbehalt von derzeit 1.080 Euro gegenüber minderjährigen Kindern gilt und die Eltern u.U. auch zu einer Nebentätigkeit verpflichtet sind.
Auch eine erstinstanzliche Entscheidung wie die des AG Marl kann zu diesen Abgrenzungsfragen wertvolle Erkenntnisse liefern.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die volljährige Tochter des Antragstellers besuchte bis Juli 2014 die zweijährige Berufsfachschule für Medientechnik eines Berufskollegs, womit sie die sogenannte schulische Fachhochschulreife erwarb. Damit erhält sie die Zugangsberechtigung zur Fachhochschule, wenn sie anschließend ein Praktikum oder eine abgeschlossene Berufsausbildung absolviert. Seit August 2014 absolviert sie ein Praktikum in einem Fotostudio mit 24 Stunden pro Monat. Sie erhält eine Vergütung i.H.v. 150 Euro, ab dem 01.01.2004 i.H.v. 204 Euro. Die Mutter der Antragsgegnerin ist erwerbstätig.
Im Rahmen eines Abänderungsverfahrens will der Vater durchsetzen, dass er keinen Unterhalt mehr zahlen muss. Er bezieht eine Rente i.H.v. 816,22 Euro sowie eine Unfallrente i.H.v. 335,54 Euro.
Das AG Marl – Familiengericht – hat seinem Antrag stattgegeben.
Maßgeblich ist, dass der Vater lediglich Einkünfte i.H.v. 1147,76 Euro hat und daher nicht leistungsfähig ist. Denn hier ist der gegenüber nicht privilegierten volljährigen Kindern geltende Selbstbehalt i.H.v. 1.300 Euro anzuwenden, weil sich die Antragsgegnerin nicht mehr in der allgemeinen Schulausbildung i.S.v. § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB befindet.
Der Begriff der allgemeinen Schulausbildung ist unter Heranziehung der zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 BAföG entwickelten Grundsätze auszulegen. Danach hat eine Eingrenzung des Begriffs in drei Richtungen zu erfolgen: Nach dem Ausbildungsziel, der zeitlichen Beanspruchung des Schülers und nach der Organisationsstruktur der Schule (BGH, Urt. v. 09.01.2002 – XII ZR 34/00 – NJW 2002, 2026). Das von der Antragsgegnerin derzeit ausgeübte Praktikum ist der sogenannte berufsbezogene Teil der Qualifikation für das Studium an einer Fachhochschule. Zusätzlich zu dem Abschluss der zwölften Klasse ist noch ein Praktikum oder eine Berufsausbildung Zugangsvoraussetzung für das Studium an einer Fachhochschule. Dies macht das Praktikum jedoch nicht zum Bestandteil der allgemeinen Schulausbildung. Derartige praktische Tätigkeiten sind zwar als Zulassungsvoraussetzung erforderlich, weil sie der allgemeinen Einführung in die Arbeitswelt dienen, sind aber selbst keiner geordneten Ausbildung vergleichbar (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 28.07.2009 – 12 S 753/08, zu § 2 Abs. 4 Satz 1 BAföG). Anders als das in der Schulordnung des Berufskollegs für den Bildungsgang Medientechnik enthaltene vierwöchige Betriebspraktikum wird das Praktikum der Antragsgegnerin im Fotostudio durch keinerlei Ausbildungsbestimmungen inhaltlich festgelegt. Damit handelt es sich nicht um eine Schulausbildung i.S.v. § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB. Im Übrigen setzt diese voraus, dass die Schulausbildung die Zeit und die Arbeitskraft des Kindes voll oder zumindest überwiegend in Anspruch nimmt, so dass eine Erwerbstätigkeit, durch die der Schüler seinen Lebensunterhalt verdienen könnte, neben der Schuldausbildung nicht möglich ist. Angesichts des zeitlichen Umgangs von nur 24 Stunden pro Monat wäre der Antragsgegnerin die Ausübung einer Erwerbstätigkeit möglich und zumutbar, wodurch sie ihren Bedarf selbst decken könnte.

C. Kontext der Entscheidung

Erforderlich ist, dass das Kind noch im Haushalt der Eltern bzw. eines Elternteils lebt und sich in der allgemeine Schulausbildung befindet. Der BGH hat die Kriterien für eine allgemeine Schulausbildung nach drei Faktoren eingegrenzt (BGH, Urt. v. 10.05.2001 – XII ZR 108/99 – FamRZ 2001, 1068; BGH, Urt. v. 09.01.2002 – XII ZR 34/00 – NJW 2002, 2026):
Nach dem Ausbildungsziel: Der Schulbesuch muss auf den Erwerb eines allgemeinen Schulabschlusses zielen, der Zugangsvoraussetzung für die Aufnahme einer Berufsausbildung oder den Besuch einer Hochschule oder Fachhochschule ist. Dies ist bei einem Hauptschulabschluss, dem Realschulabschluss und den verschiedenen Formen der Hochschulreife immer der Fall.
Nach der zeitlichen Beanspruchung des Schülers: Die Schulausbildung muss die Zeit und die Arbeitskraft des Kindes voll oder zumindest überwiegend in Anspruch nehmen. Eine Erwerbstätigkeit, durch die der Schüler seinen Lebensunterhalt verdienen könnte, darf neben der Schulausbildung also nicht möglich sein.
Nach der Organisationsstruktur der Schule: Die Schulausbildung setzt die Teilnahme an einem kontrollierten Unterricht voraus; die Teilnahme darf nicht der freien Entscheidung des Schülers überlassen bleiben.
Zur Abgrenzung und der umfangreichen Rechtsprechung vgl. Viefhues in: jurisPK-BGB Rn. 984 ff.; Botur in: Büte/Poppen/Menne, Unterhaltsrecht, 2015, § 1603 Rn. 77 ff.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das Unterhalt beanspruchende Kind muss im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung die Voraussetzungen des § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB im Einzelnen darlegen, um die verschärfte Haftung der Eltern zu erreichen.
Die Einstufung als sog. privilegierter Volljähriger ändert nichts an der beiderseitigen Unterhaltspflicht der Eltern.